Interview mit Sebastian Diemer, Kreditech

Sebastian Diemer

VC Magazin: Wie schwer ist es für deutsche Unternehmen, an Kapital zu kommen?
Diemer: Im Seed-Bereich, also bei Investitionen unter 500.000 EUR, gibt es in Deutschland zahlreiche Optionen – ich würde sogar behaupten, dass es hier mit Seed-Fonds, Business Angels und Crowdfunding mehr Angebot als in vielen anderen Märkten gibt. Früher war es schwierig, eine Anfangsinvestition von 100.000 bis 200.000 EUR zu erhalten, in der Regel waren Follow-up-Investments danach aber kein Problem. Dies hat sich nun verschoben: Eine Seed-Finanzierung erhält man vergleichsweise leicht, die Anschlussfinanzierung hingegen ist problematisch. Das Funding-Volumen deutscher Investoren endet in der Regel bei Beträgen zwischen 5 und 10 Mio. EUR. Das sieht man auch bei den vergangenen Finanzierungsrunden, ob Westwing oder Lieferheld: Bei den großen Runden ist eventuell noch ein deutscher Investor involviert, der Großteil der Finanzierung kommt aber aus Großbritannien oder den USA. Dies läuft nach dem Henne-Ei-Prinzip: Die größten deutschen Fonds – wie Global Founders Capital, Holtzbrinck oder Target Partners – haben Fondsvolumen von 150 Mio. EUR und investieren nicht 10% davon in ein einzelnes Unternehmen. Die Fonds sind zu klein, um diese Finanzierungsrunden selbst zu stemmen. Das wiederum hängt damit zusammen, dass wir in Deutschland noch keine allzu großen Exits gesehen haben.

VC Magazin: Welche Gründe gibt es aus Ihrer Sicht für die zu kleinen Exits?
Diemer: Ohne größere Finanzierung keine Exits, ohne Exits keine größeren Finanzierungen. Wir hinken dem Silicon Valley hier mindestens 25 Jahre hinterher. In Deutschland ist das Modell der Venture Capital-Gesellschaften eher: „Investiere 5 Mio. EUR auf 20 Mio. EUR Bewertung, verkaufe dann für 100 Mio. EUR“. Das Modell „Investiere 15 Mio. EUR auf 60 Mio. EUR und verkaufe für 300 oder 400 Mio. EUR“ scheitert eben auch daran, dass es zu wenig 400-Mio.-EUR-Exits gibt. Das hat verschiedene Gründe, u.a. weil es kein Börsensegment gibt, und weil die deutschen Unternehmen in der Regel zu früh an strategische Käufer verkaufen. Für eine Veränderung müssen unternehmerische Freiheit und steuerliche Anreize geschaffen werden, damit der Markt sich selbst reguliert. Die BaFin macht genau das Gegenteil und nimmt Venture Capital-Fonds mit Reporting-Strukturen und ähnlichen Repressalien verstärkt in die Mangel. Des Weiteren werden die Investments von Pensionskassen steuerlich anders behandelt bzw. dürfen sie oftmals überhaupt nicht inVenture Capital-Fonds investieren. Dies führt dazu, dass selbst die erfolgreichen Fonds in Deutschland ihr Volumen nicht sonderlich steigern können, weil die Limited Partner davon abgehalten werden, noch stärker in die Fonds zu investieren. Und das schlägt sich wiederum auf die Start-ups durch. Ich halte den Weg, über staatliche Vehikel wie KfW, HTGF bzw. Investitionszuschuss Wagniskapital für den falschen Weg. Gib dem Hungrigen einen Fisch und du ernährst ihn für einen Tag. Gib ihm eine Angel… Die Politik schmeißt mit Fischen um sich und reguliert gleichzeitig die Angelproduktion.