M&A Kolumne von Dr. Matthias Birkholz, lindenpartners

Dr. Matthias Birkholz: Deutschland First? – Neuer Nationalismus bei der Regulierung der Wirtschaft
Dr. Matthias Birkholz, Lindenpartners

VW hat sich offenbar viel Mühe gegeben, ein Compliance-System aufzubauen. Der Geschäftsbericht 2014 des Unternehmens spricht stolz von einem „ganzheitlichen, integrativen Ansatz“, der basierend auf dem „international anerkannten COSO-Enterprise-Risk-Management-Rahmenwerk“ die Themen Risikomanagementsystem, Internes Kontrollsystem und Compliance-Management-System in einem einheitlichen Management-Tool vereint habe. Ein IT-gestütztes Reporting-System sollte dafür sorgen, das Ganze praktisch unter Kontrolle zu behalten. Das ist offensichtlich gründlich fehlgeschlagen.

Spätestens seit dem Urteil des Landgerichts München zur strafrechtlichen Verantwortung des Siemens-Vorstands Neubürger für ein System schwarzer Kassen hat sich in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft die Erkenntnis durchgesetzt, dass Vorstandsmitglieder im Hinblick auf mögliche Gesetzes- und Regelverstöße zur Installierung eines Überwachungssystems verpflichtet sind. Ihrer derartigen Organisationspflicht genügen sie bei entsprechender Gefährdungslage – so das Landgericht München – nur dann, wenn eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation eingerichtet wird. Unternehmenslenker sollen sich nicht einfach damit rausreden können, man habe von nichts gewusst, wenn es zu Fehlverhalten auf Hierarchiestufen unterhalb der Vorstandsebene gekommen ist.

Das ist von zahlreichen Entscheidungsträgern offenbar gründlich missverstanden worden. Diese meinen, mit der Implementierung eines teuren Compliance-Management-Systems ihre Pflicht und Schuldigkeit getan zu haben. Und berufen sich ansonsten gerade vermehrt auf ihr Nichtwissen. So wollte keines der Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank etwas mit den Manipulationen des Libor-Zinssatzes zu tun gehabt haben. Insbesondere Anshu Jain berief sich insoweit auf seine Unwissenheit vom Treiben drei Hierarchiestufen unter ihm. Ähnlich nun die Reaktion bei Volkswagen. Noch beim Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden Winterkorn wurde ihm vom Aufsichtsrat eine sehr honorige Haltung bescheinigt und betont, Herr Winterkorn habe keine Kenntnis von der Manipulation der Abgaswerte gehabt.

Die Verteidigungslinien eines Compliance-Management-Systems haben offenbar aus Sicht mancher Verantwortungsträger gar nicht wirklich den Zweck, Gesetzes- und Regelverstöße zu verhindern. Stattdessen stellen sie für diese vor allem ein Bollwerk gegen eine mögliche Haftung des Vorstands und Aufsichtsrats dar, wenn Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen offenbar wird. Auf diese Weise begünstigt manches Compliance-System möglicherweise sogar Fehlverhalten, weil sich die oberste Führungsebene auf diese Weise (vermeintlich) sicher fühlt.

Hier ist ein für manche Beteiligten schmerzlicher, aber notwendiger Lernprozess erforderlich. Anshu Jain hat bereits durch die BaFin vor Augen geführt bekommen, dass die Einrichtung einer Compliance-Organisation zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dafür ist, dem Vorwurf eines Pflichtverstoßes zu begegnen. Entscheidend ist vielmehr eine von oben beförderte und vorgelebte Unternehmenskultur, die Gesetzes- und Regelverstöße auch auf Kosten des Ertrags bedingungslos zu verhindern versucht. Nichtwissen ist insoweit für Vorstände und Aufsichtsräte keine Antwort.