Aufstieg und Fall eines sozialen Netzwerks

Mittlerweile schon fast historisch: Die Seite des VZ-Netzwerkes sind bis heute stark angelehnt an das US-Vorbild Facebook.

Rasanter Aufstieg und erste Probleme

Im November 2005 an den Start gegangen, ähnelte das soziale Netzwerk für Studenten von Ehssan Dariani und Dennis Bemmann bei der Gründung frappierend dem nur etwa eineinhalb Jahre älteren amerikanischen Vorbild Facebook. Markantester Unterschied war die Farbgestaltung: Während sich Facebook in blau präsentierte, war studiVZ rot. Trotzdem durfte sich das Team um Dariani und Bemmann im Oktober 2006 über den Internet-Publikumspreis von „Online Star“ freuen. Doch bereits in der Anfangszeit hatte das Netzwerk mit Problemen zu kämpfen – die meisten waren hausgemacht. Es gab zahlreiche Sicherheitslücken, durch die private Daten der Nutzer ausgespäht werden konnten. Darüber hinaus machte Dariani Schlagzeilen, weil er eine Geburtstagseinladung verschickte, die in Aufmachung und Wortwahl dem Völkischen Beobachter, einer Propaganda-Zeitung der Nazis im Dritten Reich, äußerst ähnlich sah und er geschmacklich mehr als fragwürdige Videos veröffentlichte. Massiven Imageschaden erlitt studiVZ aber durch eine Gruppe von etwa 700 Männern, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, anhand der Profile monatlich eine „Miss studiVZ“ zu wählen und diese gemeinschaftlich zu „gruscheln“. Anstatt aktiv gegen diese Form des Online-Stalkings vorzugehen, soll einer der Gründer sogar die Aufnahme in die Gruppe erbeten haben. Erst nachdem die Medien auf den Fall aufmerksam gemacht und einige User sich von studiVZ abgemeldet hatten, schwenkten die Betreiber um und führten einen Verhaltenskodex ein.

Investition und Wachstum

Bereits im Sommer 2006 hatte sich Holtzbrinck mit 2 Mio. EUR an der studiVZ Ltd. beteiligt. Neben dem Stuttgarter Zeitungsverlag, der sich heute auf Nachfrage der Redaktion nicht mehr zu diesem Investment äußern möchte, waren unter anderem auch die Samwer-Brüder Oliver, Marc und Alexander an dem Studentennetzwerk beteiligt. Trotz der Probleme mit ungesicherten Nutzerdaten und der Eskapaden der Gründer erfreute sich studiVZ einer enormen Beliebtheit, die Mitgliederzahl wuchs stetig. Nicht zuletzt da das Netzwerk wiederholt durch sogenannte Guerilla-Marketing-Aktionen wie etwa das Bekleben ganzer Schulhöfe mit Werbe-Post-It-Zetteln (mehr als 1.000 Schulen in zwölf Städten) große mediale Aufmerksamkeit erfuhr. Im Herbst 2006 gingen eine französische, eine italienische sowie eine spanische und eine polnische Version des deutschen Senkrechtstarters online. Kurz nachdem auf dem Heimatmarkt die Eine-Million-Nutzer-Grenze durchbrochen war, übernahm Anfang 2007 Holtzbrinck studiVZ für geschätzte 85 Mio. EUR komplett. Zum Vergleich: Die News Corporation bezahlte 2005 knapp 440 Mio. EUR für Myspace, das zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Millionen Nutzer hatten. Im Jahr 2008 übernahm AOL das soziale Netzwerk Bebo mit knapp 25 Millionen Usern für etwa 650 Mio. EUR. Der anhaltende Zuwachs an Nicht-Studenten bewegte die VZ-Betreiber dazu, im Februar 2007 schülerVZ, ein eigenes Verzeichnis für Schüler aus Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie Liechtenstein und Südtirol, an den Start zu bringen. Für alle anderen Nutzer folgte im Februar 2008 die dritte VZ-Plattform meinVZ.

Verpasste Chance

Aufgrund anhaltender Unstimmigkeiten stellte Holtzbrinck im März 2007 den Gründer Dariani frei. Ende des Jahres 2008 folgten ihm seine ehemaligen Partner Bemmann und Michael Brehm, der wenige Monate nach dem Start von studiVZ zum Gründerduo Dariani/Bemmann gestoßen war. Nach eineinhalb Jahren spielte Holtzbrinck bereits mit Verkaufsgedanken. Und die Interessenten waren namhaft: United Internet und Facebook waren bereit, die VZ-Netzwerke zu kaufen. Kolportiert wurde damals, dass Facebook zwischen 2 und 4% an eigenen Aktien bot (im Oktober 2007 hatte Microsoft 240 Mio. USD für 1,6% an Facebook bezahlt). Woran der Deal letztendlich gescheitert ist, daran scheiden sich die Geister. Fakt ist jedoch, dass Holtzbrinck studiVZ nicht verkauft hat und mit ansehen musste, wie Facebook seinerseits den deutschen Markt eroberte.

Das (vorerst) letzte Kapitel

Insbesondere seit dem Jahr 2010 brechen die Seitenaufrufe und Mitgliederzahlen aller drei VZ-Netzwerke kontinuierlich ein. Waren es in den Hochzeiten 16 Millionen registrierte Nutzer, die den VZ-Seiten im Mai 2010 440 Millionen Einzelbesuche abstatteten, so schrumpften die Besuche auf 84 Millionen im November 2011 zusammen. Ein groß angekündigter Relaunch konnte diese Entwicklung nicht mehr ändern. Im Herbst dieses Jahres verkaufte Holtzbrinck die Netzwerke, die in der Zwischenzeit unter dem Namen Poolworks Ltd. firmierten, an Vert Capital. Das geschah trotz der Beteuerungen von Markus Schunk, Chef von Holtzbrinck Digital, in einem Interview mit der Welt vom Frühjahr 2012, dass man mit den VZ-Netzwerken eine langfristige Strategie verfolge. Vert Capital hatte 2010 bereits das Netzwerk Bebo erstanden, nachdem AOL es aufgrund von massivem Mitgliederschwund zum Verkauf angeboten hatte.

Fazit

Die Gewinner der Causa studiVZ sind schnell aufgezählt: Neben den Gründern Dariani und Bemmann sowie den Samwer-Brüdern hat vor allem Facebook-Gründer Marc Zuckerberg gewonnen. Er hat Anteile an seinem eigenen Unternehmen behalten und trotzdem den deutschen Markt erfolgreich erschlossen. Verlierer ist zweifelsohne Holtzbrinck. Die Stuttgarter haben es verpasst, nach der Übernahme von studiVZ sich vom reinen Klon-Dasein zu lösen und stattdessen mit Innovationen die eigenen Nutzer an sich zu binden. Da mag es auch nur noch ein schwacher Trost sein, dass auch andere fulminant an der Herausforderung Social Networks gescheitert sind: AOL konnte beim Verkauf von Bebo nach Brancheneinschätzungen nur weniger als 7,5 Mio. EUR realisieren, und auch die News Corporation kam bei der Veräußerung von Myspace nicht über 27 Mio. EUR hinaus.

 

Zeitstrahl:

November 2005: Start von studiVZ

Sommer 2006: Holtzbrinck beteiligt sich

Herbst 2006: Ableger in Frankreich, Italien, Spanien und Polen gehen live

11. November 2006: eine Million angemeldete Nutzer

Winter 2006: Studentenvertreter warnen vor der Benutzung von studiVZ

2. Januar 2007: Holtzbrinck kauft studiVZ für kolportierte 85 Mio. EUR

Februar 2007: Start von schülerVZ

März 2007: Gründer Ehssan Dariani wird freigestellt

Februar 2008: Start von meinVZ

1. März 2008: Facebook startet in Deutschland

31. Dezember 2008: Gründer Dennis Bemmann verlässt studiVZ

20. Januar 2009: Plattformen in Frankreich, Italien, Spanien und Polen gehen offline

Mai 2010: 440 Mio. Einzelbesuche

September 2011: optischer Relaunch der VZ-Netzwerke

November 2011: 84 Millionen Einzelbesuche

September 2012: Holtzbrinck verkauft seine Anteile an den VZ-Netzwerken an Vert Capital