Interview mit Dirk Buddensiek und Dirk Sturz

VC-Magazin: Baden-Württemberg besitzt die höchste Dichte an Weltmarkführern. Worin liegt das Erfolgsgeheimnis?
Buddensiek: Ich glaube, die Württemberger und Badener besitzen eine „Tüftler und Schaffer“-Mentalität. Es gibt hier wenig Rohstoffe. Deshalb brauchten die Menschen innovative Ideen – und das hat sich über Generationen vererbt. So sind viele Weltmarktführer entstanden. Ein wunderbares Beispiel ist die Firma Herrenknecht. Als kleines Ingenieurbüro gestartet hat sich das Unternehmen heute zum Weltmarktführer für Tunnelbohrmaschinen entwickelt. Ein Engagement übrigens, das wir als MBG seit Beginn begleitet haben. Aber es gibt noch viele weitere Beispiele wie Stiehl oder Robert Bosch. Alle haben sie klein angefangen. Tradition und Moderne – diese Mentalität prägt die Menschen bis heute.
Sturz: Ergänzend würde ich das Bildungssystem als einen Standortvorteil nennen. Damit meine ich nicht nur die gute universitäre Ausbildung und die enge Vernetzung mit Forschungsinstituten, sondern auch die duale Berufsausbildung. Viele Innovationen fangen auf der Werkbank an. In Baden-Württemberg sind nicht nur innovative Ideen vorhanden, sondern man versteht auch, wie diese umgesetzt werden – und das stets effizient und mit einer hohen Qualität. Das wissen die Kunden aus der ganzen Welt zu schätzen. Darüber hinaus haben wir den Vorteil, dass viele Familienunternehmen unsere Wirtschaft prägen. Natürlich haben wir auch Konzerne wie Daimler, Bosch oder Porsche, aber in der Mehrzahl kleine dezentrale Einheiten.

VC Magazin: Corporate Venture Capital, Intrapreneurship, Inkubatoren – wie leben erfolgreiche Mittelständler derzeit das Thema Innovation?
Buddensiek: In erster Linie durch den Blick über den Tellerrand des eigenen Unternehmens und durch Netzwerke. Auch Kontakte zur Forschung spielen eine Rolle, wie z.B. zum KIT in Karlsruhe, zum Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum oder zum Deutschen Krebsforschungszentrum. Im Land gibt es eine Vielzahl innovativer Cluster. Ein Beispiel ist das IT-Cluster rund um Böblingen und die Großunternehmen IBM und HP. Es ist wichtig, Kompetenzen zu bündeln, denn daraus entstehen Innovationen und junge Unternehmen.
Sturz: Insgesamt gibt es heute mehr als 200 solcher Cluster in Baden-Württemberg. Bei Corporate Venture Capital steckt nicht mehr nur die Suche nach Beteiligungsmöglichkeiten dahinter, sondern verstärkt auch der Kooperations-, Netzwerk- und Joint Venture-Gedanke. Große Unternehmen wie Bosch nutzen ihre VC-Gesellschaften als Bindeglied zu innovativen Hightech-Gründungen.
Buddensiek: Auch bei SAP oder bei vielen Mittelständlern sehe ich hier wertvolle Aktivitäten. Zum Beispiel im Heilbronner Raum oder rund um Voith in Heidenheim. Viele mittelständische Unternehmen gehen mit ihren Corporate Venture Capital-Aktivitäten aber ganz bewusst nicht an die Öffentlichkeit.
Sturz: Bei der ersten Auflage des High Tech-Gründerfonds, der ja als Public Private Partnership konzipiert ist, stammte die Hälfte der beteiligten Unternehmen aus Baden-Württemberg. Auch das zeigt die Innovationsbereitschaft und Aufgeschlossenheit der Region zu diesem Thema.

VC Magazin: Welche bevorzugten Finanzierungsanlässe beobachten Sie aktuell bei Baden- Württembergischen Mittelständlern?
Buddensiek: Wir sehen aktuell viele Nachfolgen. Zahlreiche Unternehmen in Baden-Württemberg bleiben in Familienhand. Oft gilt es aber auch, einen externen Nachfolger zu finden und zu finanzieren – ob aus dem Kreis der zweiten Führungsriege oder von außerhalb. In beiden Fällen kennen wir die Prozessabläufe. Wir haben viel Erfahrung, weil wir jedes Jahr eine Vielzahl von Nachfolgen begleiten. Eine Häufung von Finanzierungsanlässen sehe ich daneben im Bereich der Sprunginvestitionen. Viele Zulieferer von Maschinenbauern oder Automobilkonzernen sind beinahe gezwungen, mit dem Wachstum ihrer Kunden standzuhalten. Für die dazu benötigten Investitionen ist Eigenkapital zwingend notwendig. Hier sind wir derzeit stark gefragt. Neu in unserer Finanzierungspalette ist das Thema Mikromezzanin, das sich auch an junge Einzelunternehmer richtet. Für dieses Programm haben wir seit dem Start im September innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Nachfragen bekommen, obwohl wir noch gar nicht groß dafür geworben haben.

VC Magazin: Derzeit begeben viele Unternehmen Anleihen am Kapitalmarkt. Wie beurteilen Sie diesen Trend nach den ersten Negativmeldungen der letzten Wochen?
Sturz: In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl an Mittelstandsanleihen begeben. Wie bei anderen Assetklassen auch finden sich darunter Wertpapiere, die weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückbleiben Allerdings gibt es auch viele sehr solide Werte, die über 100% notieren. Dies zeigt deutlich, dass Investoren die Einzelwerte sehr differenziert betrachten. Die Initiative der Börse Stuttgart, auch kleineren Mittelständlern mit geringeren Anleihevolumina den Weg zum Kapitalmarkt zu ermöglichen, halte ich für eine grundsätzlich richtige und auch wichtige Entwicklung. Auch bei den Mittelstandsanleihen handelt es sich um eine Innovation aus dem Ländle.

VC Magazin: Bosch, Daimler, Porsche, und so weiter – viele Großkonzerne bieten attraktive Arbeitsplätze in Stuttgart und der Region. Wie viel Potenzial geht dem Standort dadurch im Bereich Unternehmensgründung verloren?
Buddensiek: Die Großunternehmen saugen sicherlich Arbeitnehmer auf, die für eine Gründung in Frage kommen. Aber es gibt auch viele Gründungen aus den Konzernen heraus. Etwa Ingenieure, die mit einer Idee an den Markt gehen, die während ihrer Tätigkeit gereift ist, aber nicht in die Konzernstrategie passt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Pinion GmbH – ein Engagement der MBG; die beiden Gründer haben bei einem Automobilhersteller gearbeitet – sich dann aber mit der Entwicklung eines innovativen Fahrradgetriebes selbstständig gemacht.

Sturz: Grundsätzlich kann man beobachten: Immer wenn der Arbeitsmarkt gut läuft, sind die Gründungszahlen unten und andersherum. Unterm Strich muss man als Marktwirtschaftler aber nicht nur Vertrauen in den Kapitalmarkt, sondern auch in den Arbeitsmarkt und letztlich in die Funktion der Märkte haben. Ich sehe vielmehr ein anderes großes Thema als kritisch an. Wir haben heute insgesamt einen großen Fachkräftemangel, der gerade für einen innovativen Standort wie Baden-Württemberg belastend ist. Hier wünsche ich mir ein Umdenken beim Thema Eingliederung. Wir müssen keine Angst haben, dass zu viele Fachkräfte aus dem Ausland zu uns kommen, sondern dankbar für jeden sein, der mit seinem Wissen und Engagement zu uns kommt.

VC Magazin: In welchen Branchen beobachten Sie besonders viele Gründungen, in welchen Branchen herrscht Nachholbedarf?
Buddensiek: Wir sehen nach wie vor Schwerpunkte in der Industrie, unternehmensnahe Dienstleistungen sind aber auch auf dem Vormarsch, da viele Konzerne auslagern.
Sturz: Wir beobachten unter den Gründungen in Baden-Württemberg einen hohen Anteil an Hightech-Gründungen. Dahinter stehen hochqualifizierte Kräfte, die mit ihrer Erfahrung und einem bestehenden Background ein eigenes Unternehmen aufziehen. Das spiegelt sich auch im vergleichsweise hohen Durchschnittsalter der Gründer wider. Viele gute Innovationsideen entstehen aus langjähriger Arbeit und Erfahrung heraus. Wenn es uns gelingt, diese Ideen mit dem Tatendrang der „jungen Wilden“ zusammenbringen, sind wir auf dem richtigen Weg.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!

Zu den Personen:

Dirk Buddensiek, MBGDirk Sturz, Stuttgart Financial

Dirk Buddensiek (li.) ist Geschäftsführer der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg. Die MBG hält über 1.095 Unternehmensbeteiligungen in Baden-Württemberg und beteiligt sich von Seed Capital über Risikokapital, Wachstumsfinanzierung bis hin zur stillen Beteiligung oder Nachfolgefinanzierung.
Dirk Sturz ist Leiter von Stuttgart Financial. Die Zentralstelle zur Bündelung finanzplatzrelevanter Interessen wurde 2007 ins Leben gerufen und ist seither die Plattform für Finanzthemen in Baden-Württemberg.