Zweite Chance – Schutzschirmverfahren in der Praxis

Panthermedia/Phovoi R.

Stärkung der Eigenverwaltung

In der Eigenverwaltung bleibt das insolvente Unternehmen selbst „verwaltungs- und verfügungsbefugt“. Das Management trifft also weiter die wesentlichen Entscheidungen. Zur Kontrolle der Entscheidungen des Managements setzt das Insolvenzgericht einen sogenannten Sachwalter ein. Die bisherige deutsche Insolvenzkultur war geprägt von der Maxime, der „Bock solle nicht zum Gärtner gemacht werden“. Nachdem der Gesetzgeber angeordnet hat, dass Anträgen auf Eigenverwaltung nun grundsätzlich stattzugeben ist – ein Gericht kann den Antrag auf Eigenverwaltung nur abweisen, wenn ersichtlich ist, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führt – ändert sich gegenwärtig die Insolvenzlandschaft. Zahlreiche Verfahren werden in Eigenverwaltung fortgeführt. Dazu trägt auch bei, dass nunmehr Unternehmen bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren in vorläufiger Eigenverwaltung fortgeführt werden können.

Stärkung des Insolvenzplanverfahrens

Der Gesetzgeber führte ferner wesentliche Änderungen im Insolvenzplanverfahren ein. Ein Insolvenzplan ist eine Art Vergleich unter den Gläubigern, bei dem die Zustimmung einzelner Gläubiger zwangsweise ersetzt werden kann. Voraussetzung für eine Ersetzung ist insbesondere, dass der jeweilige Gläubiger, dessen Zustimmung ersetzt wird, nicht schlechter gestellt wird als in einem Regelinsolvenzverfahren. Ein Insolvenzplan sieht häufig erhebliche Kürzungen von Gläubigerforderungen vor, um die Passivseite einer Gesellschaft zu bereinigen. Nach den Neuregelungen kann in einem Insolvenzplan nun beispielsweise in die Anteilsrechte der Altgesellschafter auch gegen deren Willen eingegriffen werden. Dies erlaubt unter anderem Debt/Equity-Swaps, also die Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital. Auf diese Weise kann die Gesellschaft von Verbindlichkeiten befreit werden.

Stärkung der Gläubigerautonomie

Darüber hinaus wurden zahlreiche verfahrens­rechtliche Erleichterungen für Insolvenzpläne einge­führt. Insbesondere wurde das Einlegen von Rechtsmitteln gegen den Insolvenzplan erschwert. Dies steigert in der Praxis die Attraktivität von Insolvenzplänen erheblich. Die gewünschte stärkere Einbindung der Gläubiger wird heute unter anderem durch die Einsetzung von Gläubigerausschüssen auch im vorläufigen Insolvenzverfahren erreicht. Der Ausschuss hat ein Anhörungsrecht bei der Auswahl des Insolvenzverwalters oder Sachwalters beziehungsweise unter gewissen Voraussetzungen sogar ein Bestimmungsrecht. Er wird bei den wesentlichen Entscheidungen des Verfahrens eingebunden.

Schutzschirmverfahren

Ein wesentlicher Aspekt der Insolvenzrechtsreform war es, Unternehmen ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, in dem sie selbst eine insolvenzrechtliche Sanierung durchführen können. Dazu wurde das sogenannte Schutzschirmverfahren eingeführt. Ein Schutzschirmverfahren ist ein vorläufiges Insolvenzverfahren, in dem ein Unternehmen in vorläufiger Eigenverwaltung – also weitgehend selbstbestimmt, aber unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters – einen Insolvenzplan ausarbeitet. Der Insolvenzplan kann im anschließend eröffneten Insolvenzverfahren umgesetzt werden. Auf Antrag ist das Gericht verpflichtet, Zwangsvollstreckungen gegen das Unternehmen zu untersagen oder einstweilen einzustellen. Zur Ausarbeitung des Insolvenzplans setzt das Insolvenzgericht dem Unternehmen eine Frist von maximal drei Monaten.

Vorteile des Schutzschirmverfahrens

Ein besonderer Vorteil eines Schutzschirmverfahrens besteht aus Sicht des insolventen Unternehmens darin, dass es grund­sätzlich einen vorläufigen Sachwalter selbst bestimmen kann. In der Praxis sollte man darauf achten, dass ein unabhängiger, kompetenter und nach Möglichkeit dem Gericht bekannter vorläufiger Sachwalter vorgeschlagen wird. Ist kein Missbrauch zu befürchten, wird ein Gericht das gesetzlich vorgesehene Auswahlrecht des Schuldners beachten und nicht von bestehenden Ausnahmeregelungen zur Einschränkung des Wahlrechts Gebrauch machen. Ein interessanter Finanzierungseffekt des Schutzschirmverfahrens besteht neben dem Insolvenzgeld – für die Zeit von drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens übernimmt die Bundesanstalt für Arbeit weitgehend die Zahlung der Löhne – in der Tatsache, dass die Umsatzsteuer im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach gegenwärtig herrschender Auffassung nur eine einfache Insolvenzforderung ist, auf die lediglich eine Quotenzahlung geschuldet wird. Das Schutzschirmverfahren steht Unternehmen offen, die nur drohend zahlungsunfähig und/oder überschuldet, nicht jedoch schon zahlungsunfähig sind.

Fazit

Die ersten Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Sanierung notleidender Unternehmen durch die Insolvenzrechtsreform wesentlich verbessert haben. Insbesondere die (vorläufige) Eigenverwaltung findet bei größeren Verfahren in der Praxis Akzeptanz. Auch wenn die rechtlichen Rahmenbedingen verbessert wurden, bleibt die wesentlichste Prämisse einer erfolgreichen Sanierung aber weiterhin unverändert: Nur wenn ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept vorliegt, kann die vom Gesetzgeber gewünschte „zweite Chance“ erfolgreich sein.

 

 

Dr. Wolfram Desch