Gründerin und Mutter: „Beide Rollen gehören zu mir“

Silke Kärcher
Silke Kärcher

Nur wer selbst gegründet hat, kann wirklich beurteilen, welche Herausforderungen zu meistern sind, und sagen, ob sich die Selbständigkeit lohnt. In Erfahrungsberichten erzählen Start-up-Gründerinnen von ihrem Weg. Diesmal: Silke Kärcher, Feelspace

Ich heiße Silke und ich bin 34 Jahre alt. 2015 habe ich mit zwei Kolleginnen ein Start-up gegründet: die feelSpace GmbH. Unser Unternehmen entwickelt und vertreibt fühlbare Navigationsgeräte, die als Gürtel um den Bauch getragen werden. Im Gürtelgerüst sind Vibromotoren verteilt, die dem Nutzer per Vibration eine Richtung anzeigen können, zum Beispiel eine Himmelsrichtung oder eine GPS-Koordinate. Vor allem Blinde und Sehbehinderte können so wieder besser am Alltagsleben teilhaben. feelSpace hat ihre Wurzeln an der Universität Osnabrück – der Werdegang ganz klassisch: Zunächst betrieben wir Forschung mit fühlbaren Kompassgürteln, in diesem Bereich schrieb ich auch meine Masterarbeit. Weil die Blinden, mit denen ich in der Forschung gearbeitet hatte, so begeistert von den fühlbaren Richtungsanzeigen waren und ihre Kompassgürtel gerne auch im Alltag nutzten, folgte die Entscheidung zur Gründung. Recht schnell wurde mir klar, dass es vom Forschungsprototyp zum kundenorientierten Endprodukt ein weiter Weg war. Also holte ich mir schon ganz am Anfang zwei Kommilitoninnen ins Boot. Gemeinsam beantragten und erhielten wir ein Exist-Gründerstipendium. Der Weg zum Markt war eine große Herausforderung – wer Hardware und Software entwickelt, und dazu noch einen sehr speziellen Markt bedient, der muss an viele Dinge denken und sowohl viel Zeit als auch viel Geld einplanen.

Learning by Doing

Am Anfang waren wir vor allem mit großer Begeisterung und großem Enthusiasmus dabei; das Verständnis für wirtschaftliches Denken, für Marketing, Vertrieb oder Personalführung musste sich erst entwickeln. Ich habe in den letzten Jahren ganz typisch Learning by Doing gemacht: die Realität hat mich quasi nach dem naturwissenschaftlichen Masterabschluss abgeholt und mich mit einem Crashkurs sattelfest für die großen und kleinen Abenteuer des Unternehmertums gemacht. Langweilig ist es bei uns in der Firma jedenfalls nie. Das ist eine der Facetten, die ich am Gründerin-Sein sehr schätze.

Alltag lässt sich auch mit Kind bewältigen

Völlig unvorbereitet stand ich schon recht am Anfang einer weiteren Herausforderung gegenüber: Schon kurz nach der Gründung, in einer Lage, in der bei Start-ups die Unsicherheit oft am größten ist, war ich ungeplant schwanger. Das war keine einfache Situation, denn plötzlich nahmen unsere Geschäftspartner mich nicht mehr als starke, selbstbewusste Geschäftsführerin wahr, sondern als schwangere Frau. „Wenn das Kind da ist, hören Sie in der Firma auf, oder?“, wurde ich gefragt. „Passen Sie auf, dass Sie nicht in die Teilzeitfalle tappen!“, wurde mir geraten. „Start-up und Kind? Das kann ja nicht gut gehen!“, wurde mir prophezeit. Zum Glück haben meine Kolleginnen mich gut unterstützt, und so blieb ich so gelassen wie möglich. Und siehe da – der Alltag ließ sich auch nach der Geburt meines Sohnes noch bewältigen. Mein Durchhaltewillen und meine flexiblen Arbeitszeiten machten es möglich, alles einigermaßen unter einen Hut zu bekommen.

Verständnis vom Gegenüber einfordern

Ich sage „einigermaßen“, und so ist es auch. Manchmal muss mein Sohn zurückstecken, weil ich Gründerin, Geschäftsführerin, Unternehmerin bin. Aber manchmal muss auch die Firma zurückstecken, weil ich Mutter bin. Beide Rollen gehören zu mir. Ich habe gelernt, mit der Unsicherheit der Start-up-Situation und der Unplanbarkeit, die ein kleines Kind mit sich bringt, umzugehen. Es gibt Momente, in denen ich mit einem wichtigen Geschäftspartner telefoniere, und gerade da muss es bei Söhnchen die Mama und nur die Mama sein. Dann fordere ich auch einmal Verständnis von meinem Gegenüber ein. Die Welt braucht mutige Frauen, gerade im unternehmerischen Bereich, damit weibliche Qualitäten ausgelebt und weibliche Belange berücksichtigt werden können. Gleichzeitig braucht unsere Gesellschaft auch Kinder, die immerhin nicht weniger als die Zukunft eben dieser sind. Und unsere Kinder brauchen Eltern, die Zeit und ein offenes Ohr haben. Als Gründerin und Unternehmerin kriege ich das alles unter einen Hut.

Silke Kärcher hat ihren Master im Fach Cognitive Science in Osnabrück gemacht. Aufbauend auf ihre Masterarbeit gründete sie 2015 mit zwei Studienkolleginnen die feelSpace GmbH, ein Start-up, das fühlbare Navigationsgeräte vertreibt. Aktuell ist Silke Geschäftsführerin für Strategie und Finanzen. Sie lebt mit ihren beiden Kindern Casimir (*2016) und Cassiopeia (*2018) in einem Vorort von Osnabrück.