„Wir fördern Start-ups, um von deren Geschäftsmodell zu lernen“

VC Magazin: Wie viel Start-up-Feeling herrscht eigentlich noch in IT-Konzernen, die rund 30 Jahre alt sind?

Wieser: Wenn man dieses Gefühl definiert als Eigenverantwortung, Gestaltungsfreiheit und auch die Möglichkeit, eigene Gedanken umzusetzen, haben wir uns bei Sun sehr viel davon bewahrt.

Rudolph: Dem kann ich mich nur anschließen. Aufgrund der kurzen Marktzyklen ist man einfach gezwungen, ähnlich wie ein Start-up zu agieren. Man muss schnell sein und kann nicht zu lange planen. Es spielt eine ganz große Rolle, dass Mitarbeiter sich in Abläufe einbringen können und Verantwortung übertragen bekommen.

VC Magazin: Und wie setzt man das praktisch um, wenn das Unternehmen weltweit aufgestellt ist und fünfstellige Mitarbeiterzahlen hat?

Rudolph
: Man muss Ziele setzen, die für eine gewisse Zeit festgeschrieben sind. Das unterscheidet uns vielleicht von einem jungen Start-up, das alle zwei Monate sein Geschäftsmodell ändern kann. Innerhalb dieser Ziele haben die Mitarbeiter aber weitestgehende Freiheit. Dazu kommen weitere Faktoren – auch bei uns gibt es noch den Fußballkicker und die Sonnenstühle.

Wieser: Der Fokus sollte auf dem Menschen liegen statt auf den Prozessen, denn der Mensch ist kreativ. Gerade wenn ein Unternehmen wächst, muss man aufpassen, dass die Prozesse nicht die Kreativität zerstören. Frei nach Einstein sehen wir die Vernetzung der Menschen als den Schlüsselfaktor an: Eine Idee wird genial, wenn sie geteilt wird. Wir bringen über verschiedene Foren Menschen mit einem unterschiedlichen Erfahrungshintergrund zusammen. Das wird in einem globalen Unternehmen einfacher.

VC Magazin: Ihre Konzerne unterstützen junge Unternehmen. Kommt über diesen Weg vielleicht auch frischer Wind rein?

Rudolph: Ja, vor allem in Bezug auf neue Geschäftsmodelle. Einer unserer US-Manager hat sehr schön formuliert „Start-ups anschauen ist wie die Zeitung von übermorgen lesen“. Wir als etablierter Konzern müssen sehen, wohin die Reise geht. Und Start-ups probieren viele Modelle aus, die wir gar nicht mehr ausprobieren können. Das wirkt durchaus auf uns zurück.

Wieser: Dem kann ich mich nur anschließen. Wir fördern Start-ups, um von deren Geschäftsmodellen zu lernen. Manchmal führt das dazu, dass man enger kooperiert oder sie ganz übernimmt. Eine Vielfalt von Angeboten um eine standardisierte Infrastruktur ermöglicht Wahlfreiheit. Wir fördern daher Start-ups in innovationsintensiven Märkten.

Rudolph: Wir sehen in unserem Engagement zusätzlich auch eine volkswirtschaftliche Komponente. Es gehört zu einer gesunden Hightech-Ökonomie, dass es sehr viele innovative und wachstumsträchtige Start-ups gibt, da diese eine große Folgewirkung haben. Langfristig steigt damit natürlich auch unser eigenes Wachstumspotenzial.

VC Magazin: Welche Grundvoraussetzungen muss ein Start-up für „unternimm was.“ bzw. „Sun Startup Essentials“ erfüllen?

Wieser: Das Unternehmen muss jünger als sechs Jahre sein, weniger als 150 Mitarbeiter haben, ein Dienstleistungs- oder Servicezentrisches Geschäftsmodell haben. Wichtig ist auch eine formale Komponente, der Eintrag in das Handelsregister.

Rudolph: Wir bieten zwei Modelle an. Mit dem Breitenprogramm „Empower“ gewähren wir vergünstigten Zugang zu unseren Software-Produkten. Dieses Angebot richtet sich an kleine Softwarehersteller, formale Voraussetzungen bezüglich des Alters gibt es nicht, aber die Zahl der Lizenzen ist begrenzt. Bei dem Tiefenprogramm im Rahmen der Gründerinitiative „unternimm was.“ arbeiten wir mit einzelnen Unternehmen sehr intensiv zusammen. Hier zählt das Produkt und das wachstumsorientierte Geschäftsmodell, weniger das Alter. Vor allem suchen wir aber nach Anknüpfungspunkten zu Microsoft, um gemeinsam das Wachstum des Unternehmens beschleunigen zu können.

VC Magazin: Spielen die Businesspläne eine Rolle?

Rudolph
: Wir bestehen nicht auf die Vorlage eines ausformulierten Planes, lassen uns aber das Geschäftskonzept erläutern. Wir wollen in der Tiefenförderung wachstumsorientierte Unternehmen sehen und achten darauf, dass internationale Ambitionen und das technische Potenzial vorliegen. Anders als ein Investor führen wir keine formale Due Diligence durch.

Wieser
: Wir arbeiten häufig mit Unternehmen zusammen, die stark wachsen wollen. Letztlich ist das ja der Grund, warum sie zu uns kommen. Eine vertiefte Prüfung der Geschäftspläne führen wir deswegen nicht durch. Wir sehen uns die Entwicklung der Unternehmen an, wenn das Programm in Jahresfristen verlängert wird.

VC Magazin: Über welchen Weg findet ein Start-up Aufnahme in ihr Programm?

Rudolph
: Bei dem Tiefenprogramm setzen wir in erster Linie auf Empfehlungen z. B. über Venture Capital-Gesellschaften oder Businessplan-Wettbewerbe. Eine erste Orientierung für die Start-ups bieten die Unternehmen aus der Förderung, die auf unserer Website vorgestellt sind.

Wieser
: Unser Ansatz ist etwas breiter, die Eintrittsbarriere niedriger. Man kann sich über sun.de/startup anmelden, dann prüfen wir, ob die Kriterien erfüllt sind.

VC Magazin: Stellen sie über Software bzw. Hardware hinaus noch Angebote bereit?

Rudolph
: In dem Breitenprogramm steht jedem Teilnehmer ein Kontingent an Beratungsstunden frei zur Verfügung. In der Tiefenförderung gehen wir individuell auf die Bedürfnisse ein: Marketingkampagnen, technische Unterstützung, Suche nach Kapitalgebern, Ansprechpartner in den USA, da gibt es keinen Pauschalansatz.

Wieser
: Unsere Extraleistungen sind sehr eng um die Technologie gruppiert. So stellen wir den kompletten Software-Stack als System bereit und bieten auch Partner für das passende Hosting an. Dazu helfen wir den Teilnehmern, die geplanten Architekturen so schnell wie möglich tragfähig für das antizipierte Massenpublikum zu machen. Es gibt in Einzelfällen zusätzlich noch die Möglichkeit auf unseren Webseiten eine Werbeplattform zu finden.

VC Magazin: Stoßen sie auch auf Misstrauen bei jungen Unternehmen?

Rudolph
: Ja, gelegentlich schon. Aber wir binden das Unternehmen ganz bewusst nicht formal an uns – es gibt außer einer Geheimhaltungsvereinbarung kein formales Vertragswerk. Eine eventuelle Angst legt sich aber ziemlich schnell, wenn die Zusammenarbeit läuft.

Wieser
: Diese Angst führt dazu, dass sich Unternehmen eher an eine Community wenden als an einen einzelnen Hersteller. Deswegen liegt bei Sun auch ein Hauptaugenmerk darauf, die Communitys zu fördern, die sich um die Technologien bilden – ob nun OpenSolaris, MySQL oder andere Open Source-Themen.

VC Magazin: Wo machen Software-Start-ups aus ihrer Perspektive die meisten Fehler?

Wieser
: Erst haben Start-ups weder Zeit noch Geld. Verfügen sie dann über etwas Geld, haben sie Zeit um zu entwickeln und etwas auszuprobieren. Sehr schnell kommt aber der Punkt, wo man dafür keine Zeit mehr hat und es einfach funktionieren muss. Das Timing für diesen Schritt schätzen Start-ups oftmals falsch ein. Der zweite Punkt ist vielleicht ein deutsches Problem. Hier ist Software eher eine Wissenschaft und man will perfekt sein. Der Entwicklungsgedanke wird überbetont – wir als Engineering-Firma finden das durchaus sympathisch. Darüber wird aber oftmals der Vertrieb vergessen. Viele Gründer sind lieber der Typ, der die geniale Idee hat, als der Typ, der sie verkauft.

Rudolph: Ich sehe die Defizite mehr im strategischen Marketing, d. h. in der Frage, wie sich ein Start-up im Markt positioniert. Wenn die Nische so klein ist, dass sie dem Start-up ganz allein gehört, kann durchaus mal der Kunde fehlen. Auch kauft nur eine kleine Zahl an Kunden ein Produkt, das nur einen Tick besser ist als bereits bekannte Produkte. Wenn wir unsere Start-ups den US-Kollegen vorstellen, bekommen wir oftmals das Feedback „technologisch perfekt, aber viel zu schüchtern im Marktauftritt“.

Wieser
: Einige Unternehmen sind am hiesigen Markt sehr erfolgreich, haben in Übersee aber kaum einen Namen. Es ist sicherlich nicht förderlich, dass Technologieunternehmen in ihrer Muttersprache starten. Im Rahmen der strategischen Positionierung muss früh die Frage beantwortet werden, ob der Name tragfähig ist – sonst steht unter Umständen eine Umbenennung an.

VC Magazin: Was können Sie Start-ups zum Schutz des geistigen Eigentums empfehlen?

Wieser
: Wenn man in der Nische einen Wettbewerbsvorteil sieht, sollte man diesen Vorteil schützen. Die Frage ist nur, wie lange dieser Schutz dauern soll. Wir glauben, dass irgendwann alles, was gut genug ist, der Community gehört.

Rudolph
: Geistiges Eigentum ist für mich nicht nur rechtlich schützbares Gut, sondern auch ein Wissensvorsprung vor der Konkurrenz. Dazu kann gehören, mit einer Version auf den Markt zu kommen, die noch nicht das ganze Wissen enthält, so dass immer noch ein Wissensvorsprung besteht. Der formale Aspekt mit Patenten ist sicherlich für die Kommunikation mit Investoren wichtig.

Wieser
: Die Frage, worauf man sich konzentrieren will, gilt auch für große Unternehmen. Im Rahmen der OpenSolaris-Initiative haben wir 1.600 Patente an die Open Source-Community gegeben. Wir wollten uns nicht mehr darauf fokussieren, aber wenn sich andere darüber differenzieren wollen, sollen sie an den Verfeinerungen arbeiten.

VC Magazin: Sollten sich Gründer eher auf quelloffene Software konzentrieren oder besser proprietäre Software entwickeln?

Rudolph
: Das Start-up muss sich entscheiden, mit welchem Geschäftsmodell es Geld verdienen will. Manche Unternehmen leben mit geschlossenen Lizenzmodellen sehr gut, andere mit Open Source-Modellen. Was wir gelegentlich auch beobachten: Es wird Open Source-Software genutzt, für die eigene Lösung sollen aber Lizenzgebühren verlangt werden. Das ist dann schon ein Problem.

Wieser
: Wer Software vertreiben will, muss sich entscheiden, ob der Kunde für die Software oder den Support bezahlt. Aus unserer Sicht sollte man die Software frei nutzen können und dann zahlen, wenn man Mehrwertleistungen in Anspruch nehmen will.

VC Magazin: Manche VC-Investoren setzen sehr stark auf Cloud Computing und Software-as-a-Service. Wird damit aus Ihrer Sicht die eigene Software daheim obsolet, wenn man alles bedarfsgerecht über das Internet abrufen kann?

Rudolph
: Aus unserer Sicht wird sich auch in Zukunft beides ergänzen. Gerade Unternehmen können sich aber nicht zu 100% auf das Cloud Computing verlassen und müssen eigene Ressourcen vorhalten, aber werden einige Services aus dem Netz nutzen. Wir nennen dies Software plus Services.

Wieser
: Cloud Computing ist außerdem nur branchenabhängig möglich, weil bestimmte Prozesse hausintern vorgehalten werden müssen. Davon abgesehen stehen wir bei der Entwicklung des Cloud Computing erst am Anfang. Durch eine Vielzahl von Technologien wird der Zugriff auf zentrale Services einfacher und sie wirken ansprechender als reine HTML-Seiten.

Rudolph
: Ich bin eben eine halbe Stunde U-Bahn gefahren. Wenn meine Software nur aus der Cloud käme, hätte ich nichts machen können. Durch die lokale Installation konnte ich die bereits abgerufenen Mails wenigstens noch bearbeiten.

VC Magazin: Mit welchen Standortnachteilen müssen deutsche IT-Start-ups kämpfen, auf welche Vorteile können sie bauen?

Rudolph
: Ich würde es gar nicht so sehr auf IT abstellen. Wenn man sich wachstumsorientierte Firmen ansieht, ist die Finanzierung von privater Seite immer noch viel zu schwach. Das Kapital ist knapp, und das neue „Private Equity-Gesetz“ hat auch keinen Schub ausgelöst. Die Förderseite ist dagegen exzellent. Der Fachkräftemangel wirkt sich mittlerweile sehr negativ auf Start-ups aus. Ich weiß allerdings nicht, ob wir uns da von den USA unterscheiden. Länder wie Indien, Brasilien und China haben hier Vorteile. Ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil hierzulande ist auf der anderen Seite die Infrastruktur und die sehr gute Wissenschaftslandschaft.

Wieser
: Hierzulande ist man geneigt, einem wissenschaftlichen Versuch mehr Fehlschläge zu erlauben als einem Geschäftsmodell. In der öffentlichen Wahrnehmung ist daran zu arbeiten, dass keine Stigmatisierung von jemandem stattfindet, der mit einer oder meinetwegen auch drei Geschäftsmodellen gescheitert ist. Einem Entwickler würde man das nie vorwerfen.

VC Magazin: Was ist von Ihnen bzw. Ihren Programmen in der kommenden Zeit zu erwarten?

Rudolph
: Die internationale Komponente von „unternimm was.“ wird weiter ausgebaut, da wir hier einen hohen Nutzen für die Unternehmen sehen, und auch gerade wir als globales Unternehmen stark helfen können. Als ich das erste Mal mit vier Start-ups in die USA geflogen bin, hatte ich schon Sorgen, dass meine Kollegen, die tagein, tagaus mit Silicon Valley-Start-ups zu tun haben, die Firmen zerreißen. Das Gegenteil war der Fall, weil einfach die Technologie stimmte, und wir können die Kollegen gewinnen, bei der Förderung in den USA mitzuhelfen.

Wieser
: Wir werden „Start-up Essentials“ ausbauen, weil wir hierzulande die größten Teilnehmerzahlen nach den USA haben. Wir haben vor weniger als einem Jahr angefangen und die ursprünglich avisierte Teilnehmerzahl schon mehr als verdoppelt.

VC Magazin: Herr Wieser, Herr Dr. Rudolph, herzlichen Dank für das spannende Gespräch.

Das Interview führte Torsten Paßmann.

Über die Gesprächspartner
Hans Wieser ist Manager Customer & Industry Marketing bei Sun Microsystems. In seinen Aufgabenbereich fällt auch das Programm „Start-up Essentials“, das sich an Gründer richtet. Dr. Carsten Rudolph leitet bei Microsoft Deutschland die Gründerinitiative „unternimm was.“. Erfahrung im Umgang mit Start-ups sammelte er u. a. als Geschäftsführer des Netzwerk Nordbayern.