Hip, hipper, Berlin

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Bunter Strauß an Gründen

Die Gründe für den Hype um die deutsche Hauptstadt sind so vielschichtig und bunt wie Berlin selbst. Zum einen ist es die zentrale Lage: Von hier aus erreicht man innerhalb weniger Stunden alle Metropolen Europas. Auch die interkontinentale Anbindung ist gut und wird in Zukunft noch besser (so denn der neue Flughafen irgendwann einmal fertiggestellt wird). Die Mieten für Geschäfts- und Privaträume sind in Berlin noch weit unterhalb des Niveaus, das in anderen Gründer-Hotspots, beispielsweise in London, vorherrscht. Auch wenn in den letzten Jahren die Preise für Neu- und Weitervermietungen deutlich gestiegen sind, liegt die Hauptstadt noch deutlich hinter anderen deutschen Großstädten wie Hamburg, Köln oder München. „Darüber hinaus entscheiden sich Gründer häufig für Berlin aufgrund des umfassenden Förder- und Coaching-Angebots, das verschiedene Stellen hier bieten“, erklärt Ines Kretschmar, Projektleiterin des Kreativ Coaching Centers der Investitionsbank Berlin (IBB) und führt weiter aus: „Besonders im Bereich der Kreativwirtschaft profitiert die Hauptstadt davon, dass sie sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren zu einem wahren Kunst-Hotspot entwickelt hat.“

Faktor Netzwerk

Ein weiterer wichtiger Faktor für den Aufschwung Berlins ist das Netzwerk, das mit jedem Tag engmaschiger zu werden scheint. Jeder kennt über mehrere Ecken jeden, und es findet vermehrt ein Austausch unter den Gründern, Inkubatoren, Business Angels und Investoren statt. Dieses Netzwerk schafft einen fruchtbaren Boden, auf dem Geschäftsideen wachsen können. „Das Netzwerk macht Gründer auch erfolgreicher, weil durch den gegenseitigen Austausch die Try-and-Error-Quote deutlich gesenkt werden kann“, beschreibt Daniel Schenk, Managing Director bei Corporate Finance Partners CFP, die Vorteile eines starken Netzwerks. Das wiederum zieht nationale wie internationale Gründer an die Spree, die sich von den günstigeren Bedingungen als beispielsweise in Wien, Stockholm oder Warschau bessere Erfolgsaussichten versprechen. „Eine große Menge hungriger Gründer kommt nach Berlin und versucht, mit innovativen Ideen den Durchbruch zu schaffen – der deutsche Markt gibt es durchaus her, Sprungbrett globaler Lösungen zu sein“, ist Schenk für die Zukunft positiv gestimmt. Prominentestes Beispiel dieser Zuwanderer sind sicherlich die Schweden Alexander Ljung und Eric Wahlforrs, die mit Soundcloud, einer Online-Plattform zum Austausch von Audiodateien, weltweit durchstarteten. Die wachsende Zahl an gut ausgebildeten Fachkräften und Geschäftsideen hat Berlin in jüngster Vergangenheit zunehmend in den Fokus nationaler und internationaler Investoren gerückt. „Die VC-Karawane hat sich in Richtung Berlin in Bewegung gesetzt. Sollten wir weitere erfolgreiche Exits und erste High-Profile-Transaktionen bekommen, wird sich ihr Tempo deutlich beschleunigen“, beschreibt Schenk die aktuelle Entwicklung.

Investoren entdecken die Hauptstadt

„Wir sehen viele Investoren, die zwar ihren Unternehmenssitz weiterhin in London, München oder Frankfurt am Main haben, aber vier Tage die Woche in Berlin sind“, bestätigt Hartmut Mertens, Chefvolkswirt der IBB, Schenks Einschätzung. Die Investorenlandschaft zeigt sich dabei ebenso vielfältig wie die Bandbreite der Start-ups. So beteiligen sich Privatinvestoren wie der AWD-Gründer Casten Maschmeyer oder Klaus Hommels ebenso an den Jungunternehmen in der Hauptstadt wie die Venture-Gesellschaften großer Verlage, beispielsweise DuMont und Holtzbrinck. Aber auch Handelskonzerne wie Otto oder Tengelmann investieren mittels ihrer Beteiligungstöchter in Berliner Start-ups, hauptsächlich aus dem E-Commerce-Bereich. In den letzten Jahren lässt sich eine klare Steigerung der Venture-Beteiligungen in Berlin erkennen. So hat die Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) im Jahr 2009 47,9 Mio. EUR an Venture Capital-Transaktionen gemessen, im Jahr 2011 waren es bereits 116,8 Mio. EUR. Der bisherige Verlauf des Jahres 2012 lässt erwarten, dass der Vorjahreswert nochmals deutlich übertroffen wird. Die Investoren locken ihrerseits weitere Gründer in die Stadt. Das Netzwerk speist sich also zunehmend selbst. „Wichtig ist allerdings, dass wir die aktuelle Entwicklung, die zweifelsohne sehr positiv ist, richtig einordnen. Vergleiche mit dem Silicon Valley sind nicht angebracht, hier hinken wir noch Jahre hinterher“, bremst Mertens die zunehmende Euphorie.

Starthilfe aus den eigenen Reihen

Aber nicht nur erfahrene Investoren engagieren sich bei Start-ups. Zunehmend investieren Jungunternehmer, die mit der eigenen Firma einen erfolgreichen Exit realisieren konnten, das verdiente Kapital in neue Start-ups. Jüngstes Beispiel sind die Brüder Fabian und Ferry Heilemann, die ihr Unternehmen DailyDeal für 130 Mio. EUR an Google verkauft haben und sich nun mit Heilemann Ventures in Berlin angesiedelt haben. Unter anderem haben die beiden in den Shopping-Club BerryAvenue – vormals Wanilla –und in die Buchungs-App JustBook investiert. An Letzterer hat sich neben den Heilemann-Brüdern eine ganze Reihe von Seed-Investoren beteiligt, die selbst bereits ein eigenes Unternehmen aufgebaut haben. Darunter aus Berlin der Initiator der Innovationsplattform YouIsNow Torsten Oelke und die Geschäftsführer von Betreut.de Steffen Zoller und Manuel Nothelfer.

Inkubatoren brüten Unternehmen aus

Wer von Berliner Inkubatoren spricht, kommt an dem Namen Samwer nicht vorbei. Die drei Brüder Oliver, Marc und Alexander Samwer gründeten 2007 ihr Unternehmen Rocket Internet, mit dem sie in der Zwischenzeit eine Vielzahl von erfolgreichen Internetplattformen an den Start gebracht haben, unter anderem den Online-Versender Zalando, das Partnerportal eDarling oder das Abo-Commerce-Unternehmen Glossybox. Dass die meisten ihrer angeschobenen Projekte ein internationales Vorbild imitieren, also sogenannte Copycats sind, bringt den Samwers immer wieder Kritik ein. Ein weiterer Inkubator, der schon seit einigen Jahren in Berlin aktiv ist, ist Team Europe. Hier geben der Spreadshirt-Mitgründer Lukasz Gadowski und Kolja Hebenstreit ihre Erfahrung im Aufbau von jungen Unternehmen weiter. Zusammen mit ihrem Team haben sie unter anderem Start-ups wie den Online-Lieferdienst Delivery Hero, den Online-Brillenversender Mister Spex oder den Mobile Advertising-Anbieter madvertise in die Erfolgsspur gesetzt. Insgesamt gibt es in Berlin mehr als 15 Inkubatoren, die junge Unternehmen mit Know-how, Infrastruktur und finanziellen Mitteln unterstützen – Tendenz steigend.

Bildungsstandort Berlin

Steigend ist auch die Zahl der Gründer, die in die Hauptstadt kommen, um von der Nähe zu wissenschaftlichen Einrichtungen zu profitieren. „Neben der Konzentration von Start-ups und attraktiven Fördermöglichkeiten ist für viele Jungunternehmer die hohe Dichte an Forschungseinrichtungen ein entscheidender Faktor für den Standort Berlin als Unternehmenssitz“, erklärt Gabriele Gruber, Prokuristin der IBB BT GmbH und Projektleiterin TCC. Das Angebot an Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in der Hauptstadt ist enorm: Vier staatliche Universitäten sowie die Charité-Universitätsmedizin Berlin, drei staatliche Kunsthochschulen, sechs Fachhochschulen, 26 private Hochschulen und über 60 öffentlich finanzierte außeruniversitäre Forschungseinrichtungen schaffen einen riesigen Pool an gut ausgebildeten Arbeitskräften und neuen Ideen. „Die Gründer sehen hier die Chance, mit dem am Standort vorhanden Know-how ihr Produkt qualitativ weiterentwickeln zu können“, führt Gruber weiter aus.

Im medialen Schatten

Die Internet- und IT-Unternehmen in Berlin erfreuen sich in der jüngsten Vergangenheit eines steigenden öffentlichen Interesses. „Ich mache mir etwas Sorgen, dass es die echten Hochtechnologie-Gründungen wegen des Hypes um die Internet-Start-ups in der Hauptstadt schwerer haben“, befürchtet Dr. Paul-Josef Patt, Managing Partner und CEO bei der Venture Capital Gesellschaft eCapital entrepreneurial Partners. Im Bereich Life Sciences entwickelt sich Berlin zusehends zu einem europäischen Hotspot: Mehr als 350 regionale Unternehmen der Biotech- und Medtech-Branche haben sich in der Hauptstadt angesiedelt. Und auch im Bereich Cleantech war die Stadt an der Spree in der Vergangenheit oft Keimzelle innovativer Unternehmen. „Hier gab es in den letzten zehn Jahren einen sehr starken Track Record“, erinnert Patt. Unter anderem wurden dort die Fotovoltaikunternehmen Q.Cells, Solon und Soltecture – vormals Sulfurcell – gegründet. Ihre aktuellen Schwierigkeiten dürfen den zum Teil hochfliegenden Erwartungen der Internetbranche ein mahnendes Beispiel sein.

Ausblick

„Jeder Hype wird – qua definitione – von einer Abkühlungsphase gefolgt. Allerdings haben wir in Europa noch einen enormen Nachholbedarf“, gibt sich Patt für die nahe Zukunft zuversichtlich. Zwar fehlen der Berliner Internetszene bis jetzt die ganz großen Würfe, doch international erfolgreiche Unternehmen wie beispielsweise Zalando, Soundcloud oder Wooga beweisen, dass die Hauptstadt Global Player hervorbringen kann. Mit gut finanzierten Start-ups wie Delivery Hero und innovativen Unternehmen wie UPcload steht bereits die nächste Generation Berliner Gründungen bereit, sich am internationalen Durchbruch zu versuchen.

 

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Benjamin Heimlich