John Matthesen: „Alle Voraussetzungen für einen Erfolg in den Vereinigten Staaten sind hierzulande gegeben“

VC Magazin: Herr Matthesen, was sind derzeit die Trends im Silicon Valley?

Matthesen: Eine besondere Management-Strategie namens Lean Start-up setzt sich immer mehr durch. Dabei sind zwei Faktoren besonders wichtig: zum einen das Thema Customer Development, dessen Grundidee es ist, Kunden von Beginn an in die Entwicklung der Produkte miteinzubeziehen. Neue Ideen werden bereits in der ersten Entwicklungsphase den Kunden vorgestellt und mit ihnen zusammen verbessert. Ein weiterer Bestandteil der Strategie ist „failing fast“. Fehler zu machen ist im Silicon Valley nicht falsch – sie gehören zum Lernprozess eines jungen Unternehmens. Doch je früher sie gemacht werden, desto besser. So werden Schwachstellen schneller entdeckt und beseitigt, was wiederum zu Kosten- und Zeitersparnissen und verbessertem Market Fit führt.

VC Magazin: Welche neuen Technologien und Geschäftsideen werden in den nächsten zwei Jahren den Massenmarkt begeistern?

Matthesen: Ich persönlich finde alle Technologien, die mit Mobilität und der internetbasierten Collaboration zu tun haben, sehr interessant. Die Arbeitseinstellung der Menschen ändert sich immer mehr. Es entstehen virtuelle Teams, die über das Internet miteinander kommunizieren. Entsprechende Tools zur Kommunikation und zum Datenaustausch werden in den nächsten Jahren sowohl im privaten Bereich als auch im Geschäftsleben immer wichtiger. Auch die internationale Vernetzung spielt hier eine große Rolle. Die Berufsbilder ändern sich. Zum Beispiel arbeite ich heute als Interims-CEO für eine Firma in Shanghai, starte gerade ein Unternehmen in Uruguay und arbeite an diversen Projekten in den USA.

VC Magazin: Wie sehen Sie den weltweiten Wettbewerb zwischen Start-ups?

Matthesen: Der Wettbewerb hat in der Vergangenheit immer weiter zugenommen. Speziell im Silicon Valley gibt es besonders viele Ideen und Unternehmensgründer. Und alle stehen im Wettbewerb zueinander – sowohl um Kunden als auch um finanzielle Unterstützung. In Deutschland ist der Wettbewerb bisher noch weniger stark ausgeprägt als im Silicon Valley. Das kann auch eine Chance für den deutschen Unternehmer sein.

VC Magazin: Wie ist derzeit die Stimmung unter den US-Investoren im Vergleich zu Deutschland?

Matthesen: Amerikanische Investoren werden im Gegensatz zu früher immer vorsichtiger. Sie scheuen das Risiko und beginnen, infrage kommende Start-ups intensiv zu analysieren, bevor sie eine Investition in Erwägung ziehen. In Deutschland ist diese Reaktion noch stärker zu beobachten. Hier fragen die Investoren nicht: „In welches Unternehmen kann ich investieren?“, so wie in den USA, sondern sie fragen sich: „Soll ich überhaupt investieren?“ Außerdem gestehen amerikanische Investoren den jungen Unternehmen Fehler zu als Teil des Lernprozesses. In Deutschland wird jeder Fehler als potenzielle Bedrohung des Erfolges angesehen und daher vermieden. Auch deswegen ist die Lean Start-up-Methode so wichtig.

VC Magazin: Viele Internetunternehmen schließen in den letzten Monaten Finanzierungsrunden im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich ab. Wie sinnvoll ist diese Entwicklung?

Matthesen: Bei solch hohen Bewertungen handelt es sich eher um Einzelfälle. Neben einem guten Geschäftsmodell gehört auch Glück dazu, solche Deals zu machen. Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, vorherige Erfolge vorweisen können und die richtigen Leute kennen. Schwierig an so hohen Summen ist allerdings, dass vor allem junge Gründer mit dem Geld nicht umgehen können. Es wäre praktischer, öfter zu investieren und dafür die Summen geringer zu halten, wie es auch beim Lean Start-up-Modell der Fall ist.

VC Magazin: Sie haben über 25 Jahre Erfahrung in den Entrepreneurship-Märkten der USA, Deutschland und Asien. Wie beurteilen Sie im weltweiten Vergleich die grundsätzliche Situation der Start-ups in Deutschland?

Matthesen: In Deutschland gibt es im Gegensatz zum Silicon Valley und der gesamten USA viele gute staatliche Frühphasenprogramme, die Jungunternehmer unterstützen, wie beispielsweise den High-Tech Gründerfonds (www.high-tech-gruenderfonds.de). Dafür ist die Szene der Business Angels hierzulande relativ schwach ausgeprägt. Im Silicon Valley gibt es mehr Business Angels, die außerdem wesentlich besser organisiert sind. Das liegt aber auch daran, dass sie dort keine Konkurrenz haben. Es gibt kaum andere Möglichkeiten für junge Start-ups, finanzielle Unterstützung zu erhalten. Als deutscher Unternehmer würde ich nicht einfach die Koffer packen und die lokalen Finanzierungsmöglichkeiten ignorieren.

VC Magazin: Ende Oktober haben Sie an dem Workshop „Bavaria meets Silicon Valley“ (bmsv.heroku.com) im gate Garching teilgenommen. Welche Chancen sehen Sie für Jungunternehmer, den US-Markt zu erobern?

Matthesen: Grundsätzlich haben deutsche Jungunternehmer sehr gute Chancen, den amerikanischen Markt für sich zu erobern. Alle Voraussetzungen für einen Erfolg in den Vereinigten Staaten sind hierzulande gegeben, wie Qualität, Bildung und technische Kompetenz – sozusagen deutsche Tugenden. Allerdings sollten Start-ups dafür nicht ihren Unternehmenssitz in die USA verlegen, sondern vielmehr mithilfe von Partnern in den neuen Markt vordringen. Da der Markt dort stetig wächst, gehen neue Unternehmen oft schnell in der Masse der Wettbewerber unter. Wenn das Hauptquartier in Deutschland bleibt, dann kann man die deutschen Tugenden weiter ausbauen. Wenn das Unternehmen umzieht, dann wird es eines von vielen.

VC Magazin: Sie hatten bereits verschiedene Führungsrollen inne, u.a. die des COO bei Revcube und die des CEO bei ByteBlaze. Welche Eigenschaften halten Sie für Jungunternehmer für wichtig, um weltweit erfolgreich zu sein?

Matthesen: Sie müssen vor allem flexibel sein und schnell reagieren können. Sie sollten keine Angst haben, offen sein und hartnäckig ihre Ideen und Visionen verfolgen. Sie sollten aber auch auf Thought Leaders und erfolgreiche Unternehmer hören und deren Ratschläge annehmen. Die Erfahrung zeigt, dass Gründer, die gut zuhören, erfolgreicher sind. Leider reden erfahrene Unternehmer in Deutschland nicht so gern über ihre Erfolge, und schon gar nicht über ihre Fehler. In Amerika herrscht hier eine andere Mentalität. Mit Fehlern und Wissen wird offener umgegangen, daher kann man von erfahreneren Unternehmern lernen.

VC Magazin: Herr Matthesen, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dajana Hentschel.

Zum Gesprächspartner
John Matthesen ist Silicon Valley- und Venture Capital-Experte. Er ist u.a. Venture Partner bei WI Harper (www.wiharper.com) und Mitglied des Keiretsu Angel Forums (www.keiretsuforum.com). Er war CEO von ByteBlaze und Mitbegründer von Sybase und Commerce One.