Der deutsche Venture Capital-Markt bietet Tech-Start-ups gute Chancen

 

Betrübende Statistik

Die blanken Zahlen sprechen seit Jahren eine beunruhigende Sprache: Das Volumen aller Venture Capital-Investitionen in Deutschland hat sich seit 2009 bei rund 700 Mio. EUR eingependelt. Gegenüber einem Gesamtvolumen von Unternehmensbeteiligungen über alle Phasen hinweg von knapp 6 Mrd. EUR wie im Vorjahr sind die Ergebnisse enttäuschend. Und auch im ersten Quartal 2012 machten die Frühphaseninvestments in Höhe von 133 Mio. EUR – keine Steigerung im Vergleich zum Vorquartal – erneut nur 20% aller Beteiligungsdeals hierzulande aus. „Wir sehen hier seit Jahren ein extrem niedriges Niveau von Venture Capital-Investitionen. Das ist bedauerlich für den Standort Deutschland“, kommentiert Dr. Paul-Josef Patt, Vorstand des Frühphaseninvestors eCapital entrepreneurial partners.

Highflyer und Insider

Doch die Stimmung ist nicht in allen Branchen derart trüb: Gerade in den Bereichen Internet, Software und Cleantech ziehen neue Geschäftsmodelle, technische Errungenschaften und die politisch gewollte Energiewende Investoren an. Laut VC-Panel der Beratungsgesellschaft FHP Private Equity Consultants sind im ersten Quartal 2012 13% des investierten Kapitals in Internet-Start-ups geflossen, 16% gingen an Software-Unternehmen, und der Cleantech-Sektor lag zum ersten Mal mit 21% auf Platz eins. FHP zählt insgesamt 109 Beteiligungen mit einem Volumen von 201 Mio. EUR. „In den Bereichen Cleantech und Internet sehen wir die meiste Bewegung“, beobachtet auch Patt. „Andere Branchen sind eher etwas für Insider.“ Zu diesen Insidern gehört auch eCapital. Patt macht deutlich: „Wir sind davon überzeugt, dass auch in anderen Branchen wie beispielsweise Verfahrenstechnik oder optische Technologien Top-Renditen erzielt werden können.“

Öffentliche Fonds springen in die Bresche

Davon zeigen sich immer mehr neue Investoren ebenfalls überzeugt: Family Offices und Business Angels tummeln sich heute vermehrt unter den Frühphasenfinanzierern und wagen auch langfristige Investments mit hohem Kapitaleinsatz, wie sie z.B. in der Biotechnologiebranche üblich sind, vor denen die klassischen Venture Capital-Gesellschaften aber zuletzt immer häufiger zurückschrecken. Und auch die öffentliche Hand kommt Jungunternehmern immer stärker zu Hilfe: Der High-Tech Gründerfonds, der Kapital des Bundes und von deutschen Industriekonzernen investiert, konnte im Frühjahr einen zweiten Fonds mit knapp 300 Mio. EUR Volumen auflegen. Der Europäische Investitionsfonds EIF launchte vor Kurzem den European Angels Fund, ein Koinvestitionsfonds, der Business Angels-Beteiligungen mit 50% der Gesamtinvestition begleitet. Daneben gibt es zahlreiche regionale Initiativen, u.a. können sich Aachener Gründer über die zweite Generation des Seed Fonds für die Region Aachen freuen, in den u.a. die Förderbank NRW.Bank investiert hat.

Emanzipierte Gründerszene

„Wir haben heute eine sehr funktionsfähige Seed- und Funding-Infrastruktur“, lobt Dr. Henrik Brandis, Partner von Earlybird Venture Capital. Earlybird gelang im Frühjahr ein erstes Closing des vierten Fonds bei 100 Mio. EUR, in der Branche wurde die Meldung als Zeichen gewertet, dass auch die institutionellen Investoren nach wie vor an Venture Capital glauben. Besonders in Berlin macht Brandis ein lebendiges Umfeld aus. „Die deutsche Gründerszene hat sich massiv belebt“, stellt Brandis fest und betont: „Vor allem hat sie sich von den USA emanzipiert.“ Hätten früher vor allem Klone amerikanischer Geschäftsmodelle gerade im Internetbereich die hiesige Start-up-Welt dominiert, seien inzwischen eigene, „echte“ Innovationen auf dem Vormarsch, sodass in Fällen wie dem Musikdienst spotify oder der Carsharing-Plattform Carpooling mittlerweile die amerikanischen Gründer und Investoren nach Europa schielten. „Aus der Einbahnstraße ist eine Zweibahnstraße geworden“, freut sich Brandis.

Speziallfall Inkubator

Zum neuen Internetboom haben auch Investoren beigetragen, die erst vor Kurzem auf den Plan getreten sind: Inkubatoren wie Rocket Internet, Hanse Ventures oder Team Europe lassen das klassische Venture Capital-Modell links liegen und setzen stattdessen auf andere Faktoren: Mit wenig Startkapital werden gleichzeitig eine ganze Reihe von Ideen verfolgt. Die Teams und Gründer, die an Bord geholt werden, können die Infrastruktur des Inkubators nutzen, um die Unternehmen sehr schnell groß zu machen – andernfalls werden die Vorhaben auch sehr schnell wieder begraben. „Es ist beeindruckend, in welchem Tempo die Inkubatoren Start-ups über einen industrialisierten Roll-up großziehen“, sagt auch der Venture Capitalist Brandis. Allerdings schränkt er ein: „Dieses Modell ist ein Spezialmodell. Es kann nur innerhalb eines sehr schmalen Bereichs erfolgreich sein. Das klassische Venture Capital-Modell kann es nicht ersetzen.“ Zumal die Zahl weißer Flecken, an denen die Ideen der Inkubatoren noch ansetzen können, immer geringer wird, wie Brandis ergänzt.

Fehlende Exit-Perspektiven

Was für den Internetbereich gilt, ist auch in anderen Branchen zu beobachten: Das Bewertungsniveau ist insgesamt eher hoch – was Investoren teilweise von Beteiligungen abhält. „Gründer sind oft von ihren Technologien und Geschäftsmodellen so begeistert, dass sie häufig sehr hohe Preise aufrufen. Die können oder wollen Investoren nicht immer bedienen“, beobachtet Patt von eCapital. Denn hohe Preise müssen durch lukrative Exit-Chancen gerechtfertigt werden, und hier sind die Aussichten im Moment nicht immer rosig. Die Ungewissheit an den Kapitalmärkten verhindert Börsengänge junger Unternehmen, wie sie zuletzt Facebook oder Groupon in den USA geglückt sind. Und auch der M&A-Markt leidet unter der europäischen Schuldenkrise. Diese Situation kann für erfolgreiche Start-ups schnell zum Problem werden: Vorzeigeunternehmen wie dem Onlinehändler Zalando ist ein Börsengang versperrt – für einen Trade Sale ist das Unternehmen nach Meinung von Experten jedoch mittlerweile zu groß und zu teuer.

„Viel Potenzial verschenkt“

Erfolgsbeispiele kamen zuletzt hingegen aus den Life Sciences: Der Wirkstoffentwickler Evotec hat im Februar das Biotechnologie-Unternehmen Kinaxo übernommen. Insgesamt rund 15 Mio. EUR fließen an die Investorengruppe aus High-Tech Gründerfonds, KfW und anderen. Aufhorchen ließ zuletzt auch der Exit von Corimmun: Der Pharmakonzern Johnson & Johnson hat das Unternehmen von den Investoren MIG, Bayern Kapital, KfW und High-Tech Gründerfonds übernommen und zahlt verschiedenen Berichten zufolge 100 Mio. USD dafür. Solche Verkäufe zeigen, dass sich auch langfristige und kapitalintensive Investments lohnen können. Insgesamt könnte sich die hiesige Venture Capital-Szene ruhig mehr zutrauen, findet Investor Patt: „Wir denken hier in Europa immer noch nicht groß genug. Die Branche agiert sehr vorsichtig und zurückhaltend – da wird leider viel Potenzial verschenkt.“

Fazit:

Technologiegründern fällt die Suche nach Beteiligungskapital nach wie vor nicht leicht – allerdings sind die Hürden nicht unüberwindbar. Zahlreiche neue Fonds sind zuletzt gestartet, neue Finanzierungsmodelle und neue Player haben den Markt bereichert. Wirklich aussichtsreiche Geschäftskonzepte sollten auch in Zukunft keine Schwierigkeiten haben, Investoren von sich zu begeistern.