„Der Aufholprozess muss in den nächsten Jahren weitergehen“

Panthermedia/Ervin Monn

VC Magazin: Herr Kissing, was hat sich hier am Wirtschaftsstandort Berlin in den letzten zwei Jahrzehnten besonders stark verändert?

Kissing: Mit der Vereinigung Deutschlands setzte Anfang der 90er-Jahre ein rasanter Strukturwandel in der Berliner Industrie ein, der den Verlust von annähernd 300.000 Arbeitsplätzen zur Folge hatte. Berlin hatte bis zum Jahr 2005 deshalb nur ein unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum. Aufgrund verbesserter Rahmenbedingungen und eines sektoralen Strukturwandels setzte dann ab 2005 ein starker Aufholprozess ein. Berlin hat heute die Bedeutung einer starken industriellen Basis klar erkannt und in den letzten Jahren mit einer auf technologische Cluster ausgerichteten Wirtschafts- und Förderpolitik auch Teilerfolge erzielt. So hat sich der Wertschöpfungsanteil der Berliner Industrie in den letzten Jahren stabilisiert. Dieser Aufholprozess muss auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weitergehen, um annähernd die Wertschöpfung anderer deutscher Ballungszentren zu leisten.

VC Magazin: Wie schätzen Sie die Finanzierungssituation von Unternehmen hier am Standort aktuell ein? Was könnte aus Ihrer Sicht noch verbessert werden?

Kissing: Hier verfügen wir über aktuelle Daten aus unserem KMU-Report, den wir gemeinsam mit Creditreform herausgeben. Rund zwei Drittel der Unternehmen und auch der separat befragten Neugründungen empfinden die Finanzierungsbedingungen in Berlin als gut bis ausreichend; jeweils rund ein Fünftel bezeichnet sie als unzureichend. Dabei zeigt sich eine eindeutige Korrelation mit der Unternehmensgröße: je kleiner die Unternehmen, desto schwieriger die Finanzierung. Verbesserungsbedarf sehe ich in erster Linie bei der Information. Das Finanzierungsangebot und auch das Förderangebot sind breit, aber oft zeigen sich die Unternehmen schlecht darüber informiert. Hier haben wir sicherlich noch eine Aufgabe vor uns.

VC Magazin: Wieso ist es aus Ihrer Sicht wichtig, mit einer „hauseigenen“ Beteiligungsgesellschaft Berliner Start-ups zu finanzieren?

Kissing: Vor allem in den letzten Monaten sehen wir in Berlin insbesondere den IKT-Bereich im Fokus internationaler Investoren. Es gibt hier eine Menge interessanter Unternehmen und auch Neugründungen – und das Kapital hat Witterung aufgenommen. Wir sehen aber auch, dass es diesen Investoren, die in eine ihnen wenig bekannte Region vordringen, oft wichtig ist, wenn mit der IBB Beteiligungsgesellschaft eine Gesellschaft mit langjähriger Regionalexpertise als zuverlässiger Partner mit an Bord ist. Wie gut dieses Prinzip funktioniert, sieht man daran, dass unsere Beteiligungsgesellschaft seit ihrer Gründung an Gesamtinvestments in Höhe von 838 Mio. EUR beteiligt war, wovon sie 113 Mio. EUR selbst aufbrachte und 725 Mio. EUR von den Finanzierungspartnern geleistet wurden. Ohne einen festen Anker vor Ort wäre dies in dieser Form nicht möglich.

VC Magazin: Wodurch wird das Gründungsgeschehen aktuell besonders geprägt? Und welche Förderangebote werden zurzeit am stärksten nachgefragt?

Kissing: Seit nunmehr fast zehn Jahren steht Berlin regelmäßig an der Spitze der deutschen Gründerstatistik, so auch 2011: Mit 135 Existenzgründungen je 10.000 Erwerbsfähigen liegt Berlin unter den Bundesländern klar vorne und deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 78. Entscheidender ist aber die Zahl der Betriebsgründungen, und hier lässt sich bereits seit 2008 eine zunehmende Bedeutung von Gründungen in den Berlin-Brandenburger Clustern erkennen – und damit in den Wirtschaftsbereichen, denen die Länder eine Schlüsselrolle für die künftige Wirtschaftsentwicklung zuweisen. Entsprechend ist in den letzten Jahren auch die Nachfrage nach unseren Beteiligungsangeboten gestiegen. Die IBB Beteiligungsgesellschaft gehört derzeit nach den Stückzahlen zu den aktivsten Beteiligungsgesellschaften der Bundesrepublik. Darüber hinaus hat sich auch der Mikrokredit bewährt, auf den eine große Zahl der gewerblichen Gründer unbürokratisch zurückgreift.

VC Magazin: Vielen Dank für das Interview!

 

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Zum Gesprächspartner:

Ulrich Kissing ist seit 2009 Vorsitzender des Vorstands der Investitionsbank Berlin (IBB). Die Förderbank des Landes Berlin trägt durch ihre Wirtschaftsförderung aktiv zur Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Berlin bei.

SBVC-12-11 BerlinDieses Interview sowie weitere Beiträge zur Gründungsdynamik in der Hauptstadt und den Aktivitäten der IBB Beteiligungsgesellschaft lesen Sie ab Freitag, dem 26. Oktober in unserer Sonderbeilage „Start-up-Metropole Berlin“.

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