Adventsgespräche – 24. Dezember

Mit Arndt Rautenberg, Rautenberg Moritz & Co.

Der Advent ist eine willkommene Gelegenheit, inne zu halten, das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen und neue Energie für die bevorstehenden Aufgaben zu sammeln. In der Reihe „Adventsgespräche“ kommen Köpfe der deutschen Venture Capital- und Private Equity-Szene zu Wort, ziehen ein Fazit zu 2020 und werfen einen Blick nach vorne auf die kommenden zwölf Monate.

VC Magazin: Der europäische Buy and Build-Markt lag im ersten Halbjahr 2020 rund 35% unter dem Vorjahreswert. Wie nehmen Sie aktuell die Bereitschaft wahr, Add-on-Akquisitionen zu tätigen, und welche Entwicklung erwarten Sie für 2021?
Rautenberg: Meine Wahrnehmung ist, dass das zweite Halbjahr 2020 sehr viel stärker gelaufen ist als das erste, und ich wäre nicht überrascht, wenn wir am Ende des Jahres einen Rückgang von nur 15% oder 20% konstatieren könnten. Diese Entwicklung wurde getrieben von der zunehmenden Bereitschaft von Finanzinvestoren, durch die Krise sozusagen hindurchzusehen und sich auf die mittel- bis langfristigen Fundamentals zu fokussieren. Das hat auch dem Buy and Build-Markt geholfen, zumal Zukäufe zu Recht immer mehr als sehr effektives Mittel der Wertsteigerung von Portfoliounternehmen verstanden werden. Und dieser positive Trend wird sich in 2021 verstetigen, insbesondere für attraktive Assets, die in der Krise ein hohes Maß an Resilienz gezeigt haben. Wir erwarten für 2021 also in Summe eine differenziert positive Entwicklung.

VC Magazin: Wie hat sich die Corona-Krise auf die Kaufpreise von Unternehmen ausgewirkt?
Rautenberg: Ich glaube nicht, dass man diese Frage pauschal beantworten kann – in der Krise ist die Bedeutung von Branche und Qualität eines Assets weiter gestiegen. Wir haben schon im September wieder erste Deals mit deutlich zweistelligen EBITDA-Multiples gesehen, für Plattformen ebenso wie für Add-ons. Und in einigen Prozessen war das Feld der Bieter so dicht besetzt, dass die Preise am Ende deutlich oberhalb der Erwartung der Verkäufer lagen. Gleichzeitig aber ist die Bereitschaft, sich überhaupt in Prozessen zu engagieren in Sektoren, die durch die Krise besonders in Mitleidenschaft geraten sind, extrem niedrig. Das drückt dann natürlich auch die Preisbereitschaft.

VC Magazin: Welche Trends beobachten Sie hinsichtlich der Finanzierungsstruktur und der Fremdkapitalquote bei Unternehmensübernahmen?
Rautenberg: Auch hier ist ein differenzierter Blick notwendig: Wir sehen etwa im Bereich digitaler Infrastruktur, den wir ja sehr stark covern, eine weiterhin hohe Finanzierungsbereitschaft zu günstigsten Konditionen, und auch sehr starke Assets in Technologie oder Services werden hoch gelevered. Wir beobachten recht durchgängig, dass die finanzierenden Banken oder Fonds dafür ein höheres Maß an Transparenz benötigen, Covenants enger setzen und auch stärkere Einflussmöglichkeiten fordern. Bei schwächeren Assets hingegen ist es oft schwierig, überhaupt eine FK-Finanzierung zu erhalten, und wenn sie überhaupt zustande kommt, ist diese dann oft komplex und teuer.

VC Magazin: Im Zuge der Maßnahmen rund um die COVID-19-Pandemie hat die Digitalisierung bei Mittelständlern und Konzernen massiv Vorschub erhalten. Wie gehen Private Equity-Gesellschaften das Thema bei ihren Portfoliounternehmen an? Make or buy?
Rautenberg: In der Tat, die Digitalisierung von Geschäftsprozessen ist in diesem Jahr das zentrale Thema im Management der Portfoliounternehmen, und das nicht nur an der Kundenschnittstelle, sondern entlang der kompletten Wertschöpfungskette. Wir beobachten, dass sich Funds sehr aktiv mit diesem Thema beschäftigen, soweit dies nicht ohnehin Teil ihrer Value Creation-Strategie war. Dabei wird selbstverständlich recht intensiv auf externe Unterstützung zurückgegriffen, denn den meisten Portfoliounternehmen, insbesondere den kleineren, fehlt es hierbei oft gar nicht mal so sehr an Kompetenz, sondern vor allem an internen Kapazitäten. Und Digitalisierung ist eigentlich nie ein Sprint, sondern fast immer eine Langstrecke, sodass es schwerfällt, den Fokus beizubehalten.

VC Magazin: Gibt es Branchen oder Sektoren, in denen Sie im kommenden Jahr besonders viel Interesse von Beteiligungsgesellschaften erwarten?
Rautenberg: Absolut. Das Interesse im Markt wird sich neu verteilen, aber nicht nur zwischen den Sektoren. Ich würde an erster Stelle sogar das nennen, was oft etwas krude als „distressed“ bezeichnet wird, also Unternehmen in Sondersituationen, die teilweise durchaus auch als insolvenznah beschrieben werden können. Leider ist ja absehbar, dass 2021 eine signifikante Anzahl solcher Unternehmen auf die Finanzierungsmärkte kommen werden, und Private Equity ist bei der Finanzierung von Turnarounds halt viel effektiver als die meisten anderen Instrumente. Aber wir werden ganz sicher auch sehen, dass eine Reihe an Sektoren weiterhin im Fokus der Beteiligungsgesellschaften stehen werden. Software und IT sind hier sicherlich ganz vorn dabei, mit einem weiter starken Fokus auf Sicherheitsthemen. Aber auch in differenzierte Onlinemedien, in technologiegetriebene Services und in Medtech wird 2021 viel Geld fließen. Auf der Infrastrukturseite erwarte ich ein weiter hohes Interesse an den Themen Glasfaserausbau, Mobilfunktürme, Rechenzentren sowie allen zugehörigen Infrastrukturservices.

VC Magazin: Sie haben Ihr Unternehmen Rautenberg & Company, heute Rautenberg Moritz & Co., vor sechs Jahren gegründet. Inwiefern hat sich der Private Equity-Markt in dieser Zeit verändert?
Rautenberg: Inzwischen sind es sogar sieben Jahre – vielleicht haben ja auch wir gerade das verflixte siebte Jahr hinter uns? Der Private Equity-Markt ist in dieser Zeit deutlich gereift, er ist professioneller und auch ausdifferenzierter geworden. Es reicht heute nicht mehr, branchenagnostisch mit ahnungslos zu verwechseln und über „must have“-Produkte zu schwadronieren. Und auch wird Value Creation nur noch sehr selten mit einem quartalsweisen Kaffeekranz anlässlich der Beiratssitzung verwechselt. Gerade beim Value Creation-Ansatz sehe ich ein massives Umdenken, und wirklich gute Fonds erarbeiten inzwischen nicht nur einen 100-Tage-Plan schon während der Due Diligence, sondern haben einen kompletten Maßnahmenbaukasten parat, samt eines Beirats, der dessen Umsetzung unterstützt. Und schließlich nehme ich wahr, dass sich der Private Equity-Markt auch als Recruiting-Markt verändert hat – Themen wie Unternehmenskultur und Work-Life-Balance haben inzwischen eine ebenso hohe Bedeutung wie die Attraktivität der Themen, und natürlich das finanziellen Upside.

VC Magazin: Was hat sich für Sie persönlich seither geändert? Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf das Jahr 2021?
Rautenberg: Seit unserer Gründung 2014 hat sich unglaublich viel verändert – wir hatten das große Glück und wahrscheinlich auch die Basis, um einen echten Marktführer in der Transaktionsbegleitung aufzubauen, mit Due Diligences, Value Creation und M&A als komplementären Services. Ich weiß noch sehr gut, wie hart es war, unsere ersten Mandate zu akquirieren, oft mit vielen Dutzend Telefonaten für einen einzelnen Akquiseerfolg, während heute manchmal an einem Tag zwei oder drei Leads hereinkommen. Zudem haben wir heute ein unglaublich starkes Team, das auch in Phasen absoluter Hochlast, wie in den vergangenen Wochen, eine echte Top-Qualität liefert. Unser Geschäft ist im Corona-Jahr ziemlich geradeaus gelaufen, worüber wir sehr dankbar sind, und entsprechend blicken wir voller Optimismus auf 2021. Viel schwieriger kann das Marktumfeld ja nicht werden. Zudem hoffe ich sehr, dass wir alle gesund und munter bleiben, und munter vor allem auch im Sinne von „fröhlich“ – wir müssen alle miteinander daran arbeiten, dass die Stimmung im Land nicht vor die Hunde geht.

VC Magazin: Herr Rautenberg, vielen Dank für das Interview.

 

Arndt Rautenberg ist Gründer und Managing Partner von Rautenberg Moritz & Co., einer integrierten Strategie- und Corporate Finance-Beratung. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Beratung von Finanzinvestoren und deren Portfoliounternehmen, insbesondere in den Bereichen digitaler Infrastruktur und Technologie. Seine berufliche Laufbahn begann 1994 bei der Boston Consulting Group. Im Jahr 2000 gründete er zusammen mit zwei Partnern eine Technologieberatungs- und Beteiligungsfirma, die er später erfolgreich an Sapient, einen an der NASDAQ gelisteten Technologiekonzern verkaufte. Nach mehreren Jahren im Vorstand von Sapient wurde Rautenberg zum Chief Strategy Officer der Deutschen Telekom ernannt, wo er sowohl für die Strategieentwicklung des Konzerns als auch für das Portfoliomanagement verantwortlich war. Seit seinem Ausscheiden konzentriert er sich auf die Begleitung von Finanzinvestoren in allen Phasen einer Transaktion, seit 2014 als Gründer von Rautenberg Moritz.