„Die Unsicherheit an den Märkten kann für Wagniskapital eine Chance sein“

Interview mit Michael Motschmann, MIG Capital AG

Michael Motschmann, MIG Capital AG

Bildnachweis: © MIG Capital AG.

Die aktuellen Herausforderungen beeinflussen zwar die Start-up-Szene, doch Wagniskapitalgeber richten ihren Blick bereits über die Krisen hinaus.

VC Magazin: Krieg in der Ukraine, Rohstoffmangel, Lieferengpässe, Inflation und Fachkräftemangel – wie geht es der Investorenszene in diesen herausfordernden Zeiten?
Motschmann: Ihre Beobachtung ist richtig. Wir erleben derzeit wirtschaftlich eine schwierige Phase. Von großen institutionellen Institutionen bis hin zu privaten Kleinanlegern überlegen derzeit Investoren intensiv, wie sie sich auf die aktuelle Situation einstellen können und gegebenenfalls ihre Portfolios umschichten, um krisenfester zu werden.

VC Magazin: Welche Auswirkungen hat dies auf die deutsche Venture Capital-Branche?
Motschmann: Ich denke, die Unsicherheit in den Märkten kann eine große Chance für die Wagniskapitalgeber sein. Alle großen Assetklassen haben derzeit ihre Schwächen. Bei Immobilien sprechen Experten von Überbewertungen in Deutschland in einer Größenordnung von 10% bis 30%. Viele fragen sich: Platzt diese Blase bald? Auch der Aktienmarkt ist derzeit äußerst volatil. Die Ankündigungen der US-amerikanischen Notenbank Fed, bis Ende des Jahres die Zinsen deutlich zu erhöhen, sind bekanntlich Gift für die Aktienkurse. Wir müssen auch in Europa und Deutschland mit Zinserhöhungen rechnen, auch wenn sich die Europäische Zentralbank noch nicht konkret dazu geäußert hat. Gleichzeitig leiden Lebensversicherungen erheblich unter der Inflation.

VC Magazin: Und die Wagniskapitalbranche?
Motschmann: Wir bieten in diesen turbulenten Zeiten ein interessantes Geschäftsmodell. Wer sein Geld Venture Capital-Fonds anvertraut, tut dies immer langfristig. Es geht nicht um kurzfristige Renditen, sondern darum, in einigen Jahren sein Kapital gut verzinst zurückzuerhalten. Nehmen Sie die MIG Fonds als Beispiel. Durch hohe Ausschüttungen im abgelaufenen Geschäftsjahr haben wir erstmals die Marke von 1 Mrd. EUR an Gesamtausschüttungen überschritten. Zahlreiche MIG-Anleger haben dabei erheblich profitiert. Ihr Investment in die entsprechenden Fonds liegt in der Regel viele Jahre zurück.

VC Magazin: Welche Rückmeldungen erhalten Sie aktuell aus Ihrem Portfolio? Wo drückt die Unternehmen der Schuh am meisten?
Motschmann: Grundsätzlich ist es so, dass auch unsere derzeit 30 jungen Beteiligungsunternehmen direkt von den genannten externen Faktoren wie etwa den Lieferkettenengpässen und verteuerten Energie- und Rohstoffpreisen betroffen sind. Die Managementteams suchen nach Lösungen, wir unterstützen sie dabei. Auswirkungen sehen wir auch bei der Bewertung zweier Beteiligungen, die an der Börse notiert sind. Immatics und AC Immune, an Letzterer sind wir indirekt beteiligt, werden als Unternehmen der Biotechnologie derzeit deutlich unterbewertet. Da beide Firmen jedoch auf Jahre finanziert sind und wir an den mittel- bis langfristigen Erfolg dieser beiden exzellenten Unternehmen glauben, hat der unbefriedigende Aktienkurs keine aktuellen Auswirkungen.

VC Magazin: Wie können Kapitalgeber ihre Portfoliounternehmen derzeit am besten unterstützen?
Motschmann: Indem sie ihnen das nötige Kapital für die zügige Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle weiterhin zur Verfügung stellen, sie dabei professionell begleiten und insgesamt Kurs halten. Sie dürfen nicht vergessen, dass die von Venture Capital-Investoren finanzierten Start-ups in ihrem Kern die Zukunft im Blick haben. Viele moderne Sektoren dürften durch die aktuellen Krisen und Verwerfungen künftig eher noch wichtiger werden. Das hat auch die Pandemie gezeigt. Digitalisierung und die Verfolgung von ESG-Zielen beispielsweise erfahren eher eine Beschleunigung. Wagnisfinanzierte junge Firmen können also durchaus als Gewinner aus der aktuellen Situation hervorgehen.

VC Magazin: Die Kurse an den Börsen sind seit Jahresbeginn im Schnitt um rund 15% eingebrochen. Wie ist es um das Preisniveau für Start-ups und Scale-ups bestellt?
Motschmann: Bei Start-ups mit hochwertigen Technologien, einem Markt, in dem wir tätig sind, sind die Preise bislang noch nicht so unter Druck gekommen. Eine weiterhin unsichere Welt und Wirtschaftssituation können natürlich auch im Deeptechbereich Spuren hinterlassen. Wir müssen abwarten, wie nachhaltig die aktuellen Krisen die Börsen und den IPO-Markt beeinflussen. Herausragende Technologien werden jedoch auch in schwierigem Umfeld von strategischen Investoren gebraucht. Dies eröffnet auch weiterhin Exit-Kanäle und Partnerschaften.

VC Magazin: Mit BioNTech, Siltectra und Ganymed hatten Sie in den letzten Jahren äußerst erfolgreiche Exits und einen guten Riecher. Auf welche Branchen setzen Sie aktuell und in der Zukunft?
Motschmann: Wir gehören in Deutschland sicherlich zu den Investoren, die einen besonderen Fokus auf Deeptech-Start-ups legen. In diesem Bereich sind wir dann breit aufgestellt. Wir sind beispielsweise Erstinvestor bei IQM, das an dem führenden europäischen Quantencomputer arbeitet. Mit den erwähnten Immatics und AC Immune haben wir zwei heiße Kandidaten im Feuer bei den Themen Krebsimmuntherapie und neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson. Mit Zadient Technologies haben wir seit Anfang 2021 ein französisches Start-up im Portfolio, das an unsere Erfahrungen mit Siltectra anknüpft und auf die Herstellung von Siliziumkarbid als Basis für Leistungshalbleiter spezialisiert ist. Unser Ansatz ist es zunehmend, auf konvergente Geschäftsmodelle zu setzen, die zwei oder mehr unabhängige Technologien zu etwas wirklich Innovativem vereinen.

VC Magazin: Beeinflussen die weltpolitischen Entwicklungen und wirtschaftlichen Engpässe aktuell Ihr Fundraising?
Motschmann: Diese Frage kann ich Ihnen in einem Jahr beantworten. Fakt ist, dass wir Ende vergangenen Jahres den MIG Fonds 16 mit einem Rekordergebnis geschlossen haben. Der neue MIG Fonds 17 geht jetzt in den Markt. Wir hoffen natürlich, dass er ähnlich gut von den Anlegern angenommen wird wie sein Vorgänger. Aus rationaler Sicht spricht nichts dagegen.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Interviewpartner:

Michael Motschmann ist Vorstand der MIG AG, die die für Privatanleger konzipierten MIG Fonds managt.