Start-ups machen Geschichte

Über den Aufstieg der Innovationswirtschaft in Deutschland

Tanja Emmerling, High-Tech Gründerfonds
Tanja Emmerling, High-Tech Gründerfonds

Bildnachweis: High-Tech Gründerfonds.

Vor 25 Jahren erschien die erste Ausgabe des VentureCapital Magazins. Seither hat sich die Innovationswirtschaft in Deutschland tiefgreifend verändert – und mit ihr die Rolle des Wagniskapitals. Was einst als Nische begann, ist heute ein Milliardenmarkt. Doch der Weg dorthin war lang, voller Rückschläge und Überraschungen.

Ende der 1990er-Jahre hält in Deutschland ein neues Alltagswort Einzug: Digitalisierung. Internetanbieter drängen auf den Markt, und Werbefiguren wie Robert T-Online, eine fiktive Telekom-Figur mit blondem Haar und blauem Anzug, sollen den Menschen die Neuheit näherbringen. Viele junge Gründer sind da schneller und entdecken das Internet als Spielfeld neuer Geschäftsmodelle. Das Wort Start-up etabliert sich. Erste Investoren springen auf, Fonds werden gegründet. Doch mit dem Platzen der Blase bricht auch das Vertrauen. Viele junge Unternehmen und Fonds verschwinden so schnell, wie sie entstanden sind. In den 2000er-Jahren stagniert der Markt, die Finanzkrise 2008/09 verschärft die Lage zusätzlich. Von einem tragfähigen Ökosystem ist keine Rede.

Die Samwer-Ära

In diesem Vakuum übernehmen die Samwer-Brüder eine besondere Rolle. Mit Rocket Internet kopieren sie US-Modelle, setzen sie in Europa um und bringen sie in kurzer Zeit an den Kapitalmarkt. Zalando, Delivery Hero, home24 – all diese Marken wären ohne die
Samwers kaum so schnell gewachsen. Ihre Methode ist umstritten, aber wirksam: Sie professionalisieren den Prozess, sammeln Kapital in nie da gewesenem Umfang und bringen internationales Geld nach Berlin. Auch die Art, wie sie als Unternehmer auftreten, markiert eine neue Ära. Legendär ist die interne Mail von Oliver Samwer, in der er „Rücksichtslosigkeit“ gegenüber Wettbewerbern – und auch sich selbst – einfordert. Sie steht bis heute für den kompromisslosen Stil, mit dem Rocket Internet vorgeht. Ihre Netzwerke und ihr Einfluss, insbesondere in Berlin und rund um die WHU in Vallendar, wirken bis heute nach. Bewundert und kritisiert zugleich, prägt dieser Ansatz eine neue Epoche der deutschen Start-up-Geschichte.

Vom Nischenmarkt zum Milliardenvolumen

Erst Mitte der 2010er-Jahre setzt ein nachhaltiger Aufschwung ein. Größere Fonds werden aufgelegt, internationale Investoren entdecken Deutschland. 2021 markiert einen Höhepunkt: Start-ups sammeln fast 19 Mrd. EUR ein – ein Rekord, getragen von Megarunden und hohem US-Anteil. Danach folgt die Abkühlung: 2024 liegt das Volumen bei gut 7 Mrd. EUR. Im ersten Halbjahr 2025 deutet sich wieder Erholung an; rund 4 Mrd. EUR fließen in junge Unternehmen, das zweite Quartal ist sogar das stärkste seit dem Rekordjahr. Während in der Frühphase durchaus deutsche Player aktiv sind, dominieren in den großen Runden ausländische Investoren. Zwischen 2020 und 2024 stammt nur rund ein Viertel des Wagniskapitals aus dem Inland. Über 30% kommen aus den USA, rund 10% aus Asien. Das zeigt: Internationale Fonds haben Deutschland für sich entdeckt – und prägen inzwischen das Bild.

Wie aus der Lücke ein Netzwerk entsteht

Auch die Zahl der Investoren zeigt den Wandel: Um die Jahrtausendwende steigt sie im Sog des Neuen Markts auf rund 250 Venture Capital-Gesellschaften – so beschreibt es damals auch ein Bericht in der Wired. Nach dem Platzen der Blase schrumpft die Zahl rapide; 2005, in BVK-Statistiken dokumentiert, sind nur noch einige Dutzend aktiv. In dieser Lücke entsteht der High-Tech Gründerfonds; gegründet, als die Frühphasenfinanzierung fast vollständig versiegt ist. Seine Wirkung entfaltet sich auf zwei Ebenen: Zum einen aktiviert er Start-ups, indem er ihnen Zugang zu Kapital verschafft und ihnen die erste Finanzierungsrunde ermöglicht. Rund 800 junge Unternehmen erhalten so ihre Starthilfe, viele von ihnen finden anschließend Anschlussinvestoren. Zum anderen stabilisiert der HTGF die Venture Capital-Szene insgesamt. Er gibt Investoren Sicherheit, schafft Vertrauen in die Assetklasse und bindet Corporates, Mittelständler und internationale Kapitalgeber in ein gemeinsames Netzwerk ein. So trägt der Fonds nicht nur dazu bei, dass innovative Gründungen wieder möglich werden, sondern auch dazu, dass sich der deutsche Wagniskapitalmarkt nach den Krisenjahren professionalisiert und dauerhaft etabliert. Heute sind laut KfW knapp 350 Venture Capital-Fonds in Deutschland aktiv – international vernetzt und spezialisiert, von Deeptech über KI bis zu Energie- und Nachhaltigkeitsfonds. Diese Vielfalt ist Ausdruck von Differenzierung, nicht von Fragmentierung. Der Erfolg dieses Modells zeigt sich auch darin, dass der HTGF im vergangenen Jahr an drei deutschen Unicorns beteiligt gewesen ist – ein Zeichen dafür, dass aus frühen Investments international relevante Unternehmen entstehen können. Mit dem Opportunity-Fonds reicht seine Wirkung nun auch in spätere Wachstumsphasen hinein und schließt weitere Lücken in der Finanzierungskette.

Frühphase – unverzichtbar, aber angespannt

Dennoch bleibt die Frühphase angespannt. Sie ist der neuralgische Punkt jedes Ökosystems und steht nach wie vor unter Druck. Seed-Investments machen in Deutschland nur rund ein Zehntel des gesamten Dealvolumens aus. Zwar gibt es eine Vielzahl an Business Angels, staatlichen Programmen und spezialisierten Fonds. Doch international betrachtet hinkt Deutschland hinterher. Vor allem bei Pre-Seed und Seed zeigen die Daten, dass die Dynamik schwächer ist als in späteren Phasen. Die positive Grundentwicklung darf nicht darüber hinwegtäuschen: Es fehlt weniger an Kapital insgesamt, sondern an Risikobereitschaft am Anfang.

B2B als deutsche Stärke

Deutschland glänzt besonders im Bereich B2B. Schon mit SAP, gegründet 1972, entsteht ein Gigant der Unternehmenssoftware, der bis heute Europas größter Tech-Erfolg bleibt – und bis in die aktuelle Fondsgeneration des HTGF reicht. Lösungen für Geschäftskunden sind und bleiben der Kern. Diese Stärke zeigt sich auch heute wieder, etwa bei Personio. Das Münchner Start-up entwickelt HR-Software speziell für kleine und mittlere Unternehmen und wächst rasch zur Plattform für tausende KMU in ganz Europa. Als Unicorn zählt Personio 2025 zu den wertvollsten Start-ups Deutschlands. Die Kombination aus dem Vorbild SAP und dem Modell von Personio zeigt, wie tief verwurzelt der B2B-Fokus in der deutschen Start-up-DNA ist. Die Zahlen unterstreichen dies: Laut dem Deutschen Startup Monitor 2024 verfolgen rund 75% der deutschen Start-ups ein B2B-Geschäftsmodell. Fast drei Viertel setzen also auf stabile Beziehungen zu Geschäftskunden statt auf Konsum. Gerade daraus haben sich starke Branchen entwickelt – von Enterprise-Software über Deeptech bis hin zu Climate- und Greentech, Robotik und KI. Der Konsumentenmarkt bleibt dagegen kleiner als etwa in den USA oder Großbritannien. Dafür entstehen enge Anknüpfungspunkte zum Mittelstand, der immer häufiger mit Start-ups kooperiert – eine historische Kontinuität, die mit SAP begann und heute in Personio eine moderne Fortsetzung findet.

Eine Geschichte im werden

Was bleibt von diesen 25 Jahren deutscher Venture Capital- und Innovationsgeschichte? Vor allem die Erkenntnis, dass aus improvisierten Anfängen ein Markt geworden ist, der heute international vernetzt und thematisch hoch spezialisiert ist. Aus wenigen Dutzend Fonds sind Hunderte geworden, aus vereinzelten Erfolgsgeschichten ein sichtbares Ökosystem. Doch die Geschichte ist nicht abgeschlossen. Kapital ist vorhanden, doch die entscheidende Frage bleibt, ob genug Risikobereitschaft am Anfang steht, damit aus Ideen auch Unternehmen entstehen. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Deutschland nicht nur einzelne Leuchttürme hervorbringt, sondern dauerhaft einen breiten Strom an Innovationen. Erst dann wäre das Ökosystem wirklich erwachsen.

Über die Autorin:

Dr. Tanja Emmerling ist Partnerin beim High-Tech Gründerfonds und seit über zehn Jahren als erfolgreiche Investmentmanagerin im Bereich Digitaltech tätig. Sie baute 2018 den Berliner Standort des HTGF auf und leitet seitdem die Niederlassung.

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