„Cloud Computing ist noch sehr viel Hype“

VC Magazin: Was wird Ihre Branche in den nächsten zwei Jahren besonders verändern?

Protiva: Die Telekommunikationsbranche wird von den großen Netzbetreibern bestimmt. Sie bewegen sich seit zehn Jahren in einem sehr schwierigen Marktumfeld, werden von den Regulierern stark kontrolliert und haben gleichzeitig hohe Kosten, vor allem aufgrund meist mehrerer Hunderttausend Mitarbeiter. Dementsprechend können sie nicht flexibel agieren und verlieren Marktanteile an die kleineren und oft flexibleren Netzbetreiber. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt wollen nun die großen Netzbetreiber ihren mobilen Kunden keine Festpreismodelle mehr anbieten. Bis zu einigen Gigabyte der Daten sind in den neuen Verträgen kostenlos, aber darüber hinaus müssen die Kunden für die Nutzung zahlen. AT&T hat dies schon bekannt gegeben, und Verizon sowie die großen Netzbetreiber in Europa besprechen diese Modelle jetzt. Dies ermöglicht den Netzbetreibern, Umsatz und Profite zu steigern. Dadurch hätten sie mehr Geld für den Ausbau der Infrastruktur mit der Next Generation Network-Technologie, um damit beim Kunden, z.B. mit schnellerem Datenverkehr oder flüssigem Video, zu punkten. Für uns Zulieferer ergeben sich da viele Chancen.

VC Magazin: Welche Rolle spielt dabei Cloud Computing?

Protiva: Es ist heute noch sehr viel Hype, aber das IT-Marktforschungsunternehmen Gartner prognostiziert ein Marktvolumen von 148,8 Mrd. USD im Jahr 2014. Viele Firmen investieren bereits in Cloud Computing. Immer mehr Unternehmen benötigen mehr Bandbreite, um auf Serveranwendungen und IT-Mitarbeiter von Anbietern wie IBM, Salesforce.com, Oracle oder Microsoft zuzugreifen. Auch wir bei Adva Optical Networking haben über die letzten zwölf Monate unsere Bandbreite verfünffacht, um Anwendungen von Firmen zu nutzen, die Rechenzentren in Kalifornien oder in Irland betreiben.

VC Magazin: Fällt es den Telekommunikationsanbietern dennoch schwer, so richtig in optische Netzwerke zu investieren?

Protiva: Das stimmt zu einem gewissen Teil schon. Aber die Telekommunikationsanbieter haben sich alle für Technologie der nächsten Netzwerkgeneration entschieden. Auch wenn sie heute wenig Geld haben, um zu investieren, müssen sie den Übergang in die neue Technologie meistern und trotzdem investieren. In Europa werden Deutsche Telekom, France Telecom, Telecom Italia und Telefonica diese Investitionen wahrscheinlich eher in kleinen Schritten durchführen. Dies ist auch für Adva Optical Networking von Vorteil. In den USA hingegen hat AT&T über die letzten drei Jahre Milliarden an USD ausgegeben, um das gesamte Netz auszubauen.

VC Magazin: Wie stark ist die Konkurrenz aus China?

Protiva: In den letzten zehn Jahren haben chinesische Netzwerk-Equipment-Unternehmen wie Huawei viele Marktanteile gewonnen. Sie haben ihren Umsatz von null auf 30 Mrd. USD Umsatz gesteigert, weil sie den Netzbetreibern, die nur auf die Kosten geschaut haben, ihre Produkte extrem günstig angeboten haben. Aber das verändert sich gerade, denn Netzbetreiber setzen wieder stärker auf Forschung und Innovation. Jetzt geht es um die nächste Generation von Technologie. Adva ist Vorreiter für den Aufbau der Infrastruktur, z.B. für Netzanbindungen wie LTE oder 4G. Ethernet und paketorientierte Technologien lösen die Technologie der Vergangenheit ab. Zusätzlich bietet Adva Optical Networking im optischen Bereich 10-, 40- und jetzt bald 100-Gigabit-Lösungen mal eine Vielzahl von Wellenlängen an. Licht besteht aus Wellenlängen, und jede Wellenlänge kann man einzeln nutzen, um Informationen zu transportieren. So kann man gleichzeitig mehr Bandbreite über dieselben Fasern übertragen.

VC Magazin: Sie haben einmal gesagt, Adva könnte verkauft werden, wenn der Preis hoch genug ist. Stimmt das nach wie vor?

Protiva: Börsenzeitungen und Journalisten haben meine Zitate oft aus dem Kontext herausgerissen präsentiert. Um das nochmals klarzustellen, ich wäre gegenüber den Aktionären verantwortungslos, wenn ich ein Angebot nicht ernst nehmen und es nicht an unsere Aktionäre weitergeben würde. Nichtdestotrotz kann Adva Optical Networking auch aus sich selbst heraus über mehrere Jahre hinweg wachsen.

VC Magazin: Wie stark ist der M&A-Teil Ihrer Wachstumsstrategie?

Protiva: Wir haben in den letzten zehn Jahren öfter akquiriert, wie zuletzt Movaz oder Covaro. Bis aber unsere Aktien wieder erheblich höher im Kurs stehen, werden wir uns nichts anschauen, weil ich unsere Aktionärsbasis nicht verwässern will. Wir haben alle Komponenten, um aus uns heraus weiter zu wachsen.

VC Magazin: Im Jahr 2000 war Adva mit 140 EUR am Neuen Markt ein Star, 2008 verzeichneten Sie den Tiefststand bei 70 Cent – heute notiert Ihre Aktie bei rund 5,7 EUR. Wie ist es, eine börsennotierte Gesellschaft in Deutschland zu sein?

Protiva: In guten Zeiten ist es toll, in schlechten Zeiten ist es schrecklich, eine börsennotierte Firma zu sein. Dass die Deutschen gegenüber Hightech-Wachstumsfirmen solche Ausschläge erlauben, ist ein Zeichen der Börsenkenntnisse hier in Deutschland. Man bewertet Firmen rein auf Gewinn und nicht auf Gewinn, Kunden, Technologie und Stärke des Mitarbeiterstamms. Wenn jemand 2008, als unser Aktienkurs bei 70 Cent lag, wirklich die Due Diligence gemacht hätte, hätte er die Qualität unserer Kunden, Technologie und Mitarbeiter gesehen, auch wenn wir keine guten Ergebnisse gebracht haben. Dann wäre man vielleicht auf 3 EUR gekommen. Bei Aktientiefständen fragen unsere Kunden natürlich, wird die Firma in zwei Jahren noch existieren? Das tut uns sehr weh. Denn Adva war nicht pleite, sondern hat tolle Kunden, tolle Technologie.

VC Magazin: Kann der Gesetzgeber etwas an den Rahmenbedingungen ändern?

Protiva: Die Regulierer müssen die Möglichkeit für Unternehmen verbessern, eigene Aktien zu kaufen, Wandelschuldverschreibungen auszugeben oder neue Finanzierungswerkzeuge freizugeben. Ansonsten ist das nicht gut für die Börsen- und Firmenlandschaft in Deutschland. Als unser Kurs so niedrig war, hatten wir 50 Mio. EUR in der Kasse, um unsere Aktie durch Rückkäufe zu stützen. Wir hätten dann weniger Probleme mit unseren Kunden während dieser Zeit erlebt. Wir konnten aber keine Aktien zurückkaufen. Warum? Wenn man bestimmte Verlustvorträge hat, muss man erst Gewinn einfahren, um die Verlustvorträge auszugleichen.

VC Magazin: Zum Abschluss: Was für ein Dasein würden Sie sich in einem nächsten Leben wünschen?

Protiva: Ich habe neulich wieder ein Konzert von U2 gesehen. Es wäre nicht schlecht, jemand zu sein, der auf der Bühne so begeistert wie ein Rockstar. Aber ich finde das Leben als Geschäftsmann sehr schön, denn da kann ich leichter einen Ausgleich zum Privatleben herstellen. Ich werde wahrscheinlich als Vorstandsvorsitzender von Adva sterben. Wenn es nicht wie das Bild des Dorian Gray ist, würde ich mein Leben auch gerne 300 Jahre lang führen können. In jedem Fall würde ich gerne mehr reisen und Kunst und kulturelle Themen verfolgen, denn das öffnet Augen und Ohren.

VC Magazin: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Georg von Stein

Zum Gesprächspartner

Brian Protiva studierte Elektrotechnik in Stanford und war 1994 Mitgründer von Adva Optical Networking, einem Anbieter optischer Netzwerklösungen. Seit 2001 ist er ihr Vorstandsvorsitzender. Mit rund 1.100 Mitarbeitern wurde 2009 ein Umsatz von 232 Mio. EUR erzielt.