Alles nur Lug und Betrug?

Liebe Leserinnen und Leser,

Es war der wohl am sehnsüchtigsten erwartete Börsengang der jüngeren Geschichte, und dann, am 18. Mai, war es endlich soweit: Das soziale Netzwerk Facebook gab sein Parkettdebüt und vollführte den Sprung an die Technologiebörse Nasdaq. Junge Technologieunternehmen träumten von einem positiven Impuls für die eigenen Börsenambitionen, Venture Capital-Investoren hofften auf sprudelnde Quellen frischen Kapitals, und für die gesamte Börsen-Community dies- und jenseits des Atlantiks sollte das Facebook-IPO der Eisbrecher nach der Frostperiode sein, die seit Ausbruch der Finanzkrise an den Märkten herrscht. Und dann das: Pannen bei der technischen Abwicklung, Kurssturz, Täuschungsvorwürfe, sogar Sammel-Klagen gegen den einstigen Hoffnungsträger aus dem Silicon Valley. Das Fiasko hätte kaum größer sein können.

Ist da mitten im Wonnemonat Mai also eine große Blase geplatzt? War alles nur Lug und Betrug? Ganz so einfach, wie es sich manche Kommentatoren machen, ist die Sache nicht: Natürlich sind einige Investoren und Mitarbeiter des Netzwerks durch den Börsengang steinreich geworden – es ist jedoch nicht moralisch verwerflich, nach jahrelangem Risiko und Fleiß die Früchte der eigenen Arbeit zu ernten. Natürlich konnte  mit einem Emissionspreis von 38 EUR eine sehr hohe Bewertung erzielt werden – aber den Preis einer Aktie legen nicht nur die Verkäufer, sondern auch die Käufer fest. Natürlich haben einige Neu-Aktionäre durch die Kursverluste der ersten Handelstage viel Kapital verloren – aber keiner von Ihnen kann ernsthaft behaupten, nicht über die Risiken Bescheid gewusst zu haben, die das Geschäftsmodell birgt. Der Börsengang von Facebook war von Anfang an von einem großen Hype, aber auch von lauter Kritik und Zweifeln begleitet.

Nachträgliches Lamentieren greift also zu kurz. Wer in einen Börsengang investiert, muss sich über die Spielregeln im Klaren sein – gerade in einem so spektakulären Fall wie Facebook. Ein übler Nachgeschmack bleibt dennoch: Die Nasdaq hat unvorstellbare Schwächen offenbart, die Blamage wird sich noch lange auf ihr Geschäft auswirken. Eine fast noch schlechtere Figur haben jedoch die Banken gemacht, die offenbar nicht alle Informationen mit allen potenziellen Anlegern geteilt haben. Es sind die großen Namen wie Morgan Stanley und Goldman Sachs, die erneut durch dubiose Geschäftspraktiken auf sich aufmerksam machen – als hätte ihr Image im Zuge der Finanzkrise nicht schon genug gelitten. Das ist das eigentliche Fiasko am Facebook-Börsengang: Das Misstrauen in Politik und Öffentlichkeit gegenüber dem Finanzsystem und besonders gegenüber den großen Banken wird weiter wachsen. Von einer Lösung der aktuellen Probleme werden wir uns noch ein Stück weiter entfernen.

Ob die Facebook-Aktie nun top oder ein Flop ist, werden wir frühestens in einigen Monaten einschätzen können. Probleme beim Börsenstart hin oder her – das Netzwerk hat fast 1 Mrd. User, ein enormes Potenzial, wie Andreas Thümmler, CEO von Corporate Finance Partners, im Interview (S. 8) betont. Für neue Geschäftsmodelle im Bereich Mobile&Apps liefert Facebook ebenfalls wichtige Impulse (S. 30-31). Wir dürfen also gespannt sein!

Ich wünsche Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre

Susanne Gläser