„Wir brauchen eine Kultur der Integrität“

Panthermedia/Benjamin Haas

VC Magazin: Seit ein paar Jahren steht der Finanzsektor wieder vermehrt unter kritischer Betrachtung – auch in ethischen Aspekten. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation im historischen Kontext ein?

Meder: Wir haben in den letzten Jahren wieder Gier erlebt und eine ganze Reihe von Fehltritten. Viele dieser Fehler konnten wir jedoch schon vor mehreren Jahrzehnten beobachten, weshalb das für mich kein neues Thema ist. Allerdings ist es heute einfacher als damals, andere auszunutzen und auf deren Kosten zu verdienen. Das liegt an der Machtkonzentration, denn der Aufgabenbereich der Banken ist nun viel breiter und tiefgehender. Verbunden mit der egoistischen menschlichen Natur entsteht dadurch ein großes Problem: In guten Zeiten werden gute Gewinne erwirtschaftet, große Boni ausgezahlt und die Verantwortlichen können sich selbst bereichern. Aber wenn es schief geht, gilt eine ‚Too big to fail‘-Doktrin und Verluste werden auf die Gesellschaft abgewälzt, etwa in Form von Bail-outs.

Spinner: Die Komplexität des Finanzsektors macht ihn außerdem besonders anfällig für unethisches Verhalten, da es sehr schwierig für Außenstehende ist, Vorgänge zu kontrollieren.

Meder: Ein zentrales Problem entsteht durch das sogenannte Agency Risk. Man muss die Handlungsträger im Finanzsektor, gleich welcher Art, beobachten und kontrollieren, denn es gibt wahnsinnig viele Interessenskonflikte. Ethisches Verhalten ist aber essenziell, da Märkte auf Vertrauen basieren.

VC Magazin: Wie definieren Sie ethisches Verhalten?

Meder: Wir brauchen eine Kultur der Integrität und die läuft für mich auf drei Eigenschaften hinaus: Ehrlichkeit, Bildung und Selbstlosigkeit. Diese Eigenschaften sind universell, also unabhängig von Kultur oder Glaubenszugehörigkeit, und finden sich sowohl in antiker Philosophie als auch in den großen Religionen.

Spinner: In der Praxis drückt sich das dadurch aus, dass die Bedürfnisse des Kunden vor den eigenen stehen.

Meder: Egoistische Agents sollte man feuern. Das braucht manchmal Mut, aber man muss klare Signale senden.

VC Magazin: Mit dem Chartered Financial Analyst, kurz CFA, hat Ihre Organisation vor gut 50 Jahren ein Fortbildungsprogramm für Finanzanalysten entwickelt, das fachliche wie ethische Inhalte vermittelt. Was bedeutet das in der Praxis?

Meder: Diese Ausbildung ist ein dreistufiges, aufeinander aufbauendes System. Zuerst geht es in die Breite, um Investmentkonzepte und Werkzeuge zu erlernen, im zweiten Level geht es um Bewertungsfragen sowie um die Anwendung der gelernten Tools. Die dritte Stufe ist eine Synthese der beiden ersten und zielt auf ein ganzheitliches Portfolio-Management ab. Neben technischer Expertise legen wir außerdem besonderen Wert darauf, Kandidaten ethisch richtiges Verhalten zu vermitteln. Deshalb ist das Fach „Ethical and Professional Standards“ ein wichtiger Bestandteil unseres Lehrplans.

VC Magazin: Der Schwerpunkt Ihres Programms liegt auf dem Bereich Investment Banking. Welche Teile sind relevant für den Private Equity-Sektor?

Meder: In der dritten Stufe werden auch alternative Anlageprodukte behandelt, aber ein direkt auf die Bedürfnisse von Private Equity zugeschnittenes Element haben wir nicht als Bestandteil der Fortbildung. Tools wie Anlagebewertung oder Finanzanalyse lassen sich aber breit anwenden, so dass das Programm auch für diese Gruppe interessant ist.

VC Magazin: Wie trägt der Titel CFA dazu bei, dass nach Abschluss des Programms ethische Standards eingehalten werden?

Spinner: Wir ziehen und erziehen unsere Mitglieder zur Verantwortung: Wer einen CFA-Titel trägt, muss einem strengen Ethik-Kodex folgen und das Bekenntnis dazu jedes Jahr erneuern. Wer dagegen verstößt, muss im schlimmsten Fall mit dem Ausschluss rechnen. Außerdem bilden sich die meisten Charterholder, sprich erfolgreichen Absolventen, nach ihrem Abschluss weiter.

Meder: Wir nehmen die Prüfungen weltweit mit denselben Fragen vor. Damit ist der Abschluss weltweit einheitlich und wirkt wie ein globaler Ausweis, denn jeder Arbeitgeber kann den gleichen hohen Standard erwarten. Da zudem die Durchfallquote pro Level meist bei 50% aufwärts liegt und man durchschnittlich vier Jahre investiert, will niemand den Verlust des Titels durch unethisches Handeln riskieren.

VC Magazin: Wer nimmt typischerweise an Ihrem Programm teil?

Meder: Es sind Investment Professionals, Studenten und auch Berufswechsler. Früher haben durchschnittlich 30-Jährige den Charter erworben, heute fangen viele gleich nach der Universität an. Damit ist das Durchschnittsalter auf unter 30 Jahre gesunken. Die meisten Charterholder stammen aus den USA, die höchsten Zuwachsraten sehen wir in Asien, vor allem in China und Indien. In Europa haben Großbritannien und Deutschland die stärkste Präsenz.

VC Magazin: Schließen wir den Kreis: Hat sich seit der Bankenkrise Einstellung und Handeln der Banker bezüglich Ethik geändert?

Meder: Sie spüren etwas Druck, beispielsweise fordert die Gruppe der 20 größten Industrienationen G20 transparentere Finanzberichte. Aber der Sektor sträubt sich. Um auf das Agency-Problem zurückzukommen: Es gibt einfach zu viele Interessenskonflikte. Wenn, dann erwarte ich sehr kleine Schritte.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Torsten Paßmann und Simona Schamper.

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Zu den Gesprächspartnern

Alan Meder, CFA, ist Vorsitzender des CFA Institutes. Hauptberuflich ist er als Senior Vice President und Chief Risk Officer bei Duff & Phelps in Chicago tätig. Susan Spinner, CFA, ist Geschäftsführerin der deutschen CFA Society mit Hauptsitz in Frankfurt.