Interview mit Peer Schatz, CEO, Qiagen N.V.

Peer Schatz

VC Magazin: Was ist die technologische Vorgehensweise bei Ihren Tests?

Schatz: Zunächst hat man die rohe biologische Probe, einen Tropfen Blut, ein Stück Gewebe, Speichel, einen Abstrich, eine Pflanze, eine Lebensmittelprobe etc. Die Probe wird so vorbehandelt, dass die Zellen aufgebrochen werden, die spezifische genetische Informationen wie DNA oder RNA beinhalten. Dann werden die genetischen Informationsstücke, die von Interesse sein könnten, gezielt extrahiert und aufgereinigt. Weil sie aber nur in geringster Form vorliegen und mit dem bloßen Auge nicht sichtbar ist, kopiert man sie millionenfach und macht sie so nachweisbar und lesbar.

VC Magazin: Was ist Ihr Alleinstellungsmerkmal? Liegt das Herausragende in der Extrahierung, in der Reinigungstechnik oder in der Vervielfältigung?

Schatz: Wir haben in den ersten Schritten, also von der rohen Probe bis zur gereinigten Nukleinsäure, einen signifikanten technischen Vorsprung, oftmals sogar Marktanteile von 60 bis 70%. Wenn Sie die gereinigte Nukleinsäure vorliegen haben, ist eine der größten Herausforderungen gelöst. Der zweite Schritt, die Vervielfältigung und das „Lesen“, ist dann etwas generischer.

VC Magazin: Was sind Ihre Stoßrichtungen bei Innovationen?

Schatz: Es gibt zwei Stoßrichtungen: Die eine ist die weitere Vereinfachung der Technologie, oft mittels Automatisierung, damit unsere Produkte bei Lebensmittelkontrollen, in Veterinärlabors, Polizeilabors, aber auch klinischen Labors noch stärker eingesetzt werden. Das Zweite ist, dass wir die Grenzen der Technologie an sich noch weiter nach vorne ausweiten. Wir werden z.B. 2013 ein Gerät auf den Markt bringen, mit dem die Gen-Sequenzierung der nächsten Generation in Bereiche der klinischen Forschung und Diagnostik Einzug erhalten wird.

VC Magazin: In welchen Anwendungsfeldern sehen Sie die größten Wachstumschancen?

Schatz: Heutzutage gibt es in Deutschland einige Hundert Labors, die unsere Testtechnologien einsetzen. Das dürfte auf einige Tausend Labors ansteigen. Es wird auch mehr Tests geben für neue Krankheiten oder deren Früherkennung. Im klinischen Bereich werden unsere Technologien am stärksten den Bereich Krebs revolutionieren. Das Verständnis über die genetischen Zusammenhänge bei Krebs hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Die neuen Arzneimittel basieren auf diesen Erkenntnissen und werden sehr oft unter Einsatz von Gentests verabreicht. Wo wir auch eine gute Nachfrage sehen, ist bei personalisierten Ansätzen für Autoimmunerkrankungen wie z.B. Rheuma.

VC Magazin: Ihre zwei großen Umsatzbereiche sind der Bereich der Forschung und der der klinischen Diagnostik. Wie wollen Sie hier in Zahlen wachsen in den kommenden fünf Jahren?

Schatz: Im Jahr 2017 verteilt sich unser Umsatz wahrscheinlich auf drei Viertel im klinischen Bereich und ein Viertel in allen anderen Bereichen. Der klinische Bereich ist dabei strategisch der größere Markt. Die anderen Märkte im Forschungsbereich, also vor allem die pharmazeutische und akademische Industrie, weisen ein Umsatzvolumen von 5 bis 6 Mrd. EUR im weitesten Sinne aus, und wir erzielen davon in unserem Segment ca. 500 Mio. EUR. Das Wachstumspotenzial im Bereich der pharmazeutischen Industrie ist sehr gut, wir werden hier solide einstellige Wachstumsraten für viele Jahre erleben. Die pharmazeutische Industrie setzt unsere Produkte mehr und mehr ein, um Patienten in den klinischen Versuchsverfahren zu begleiten, Patienten werden also auf genetischer Basis ausgewählt. Auch ihre Krankheitsverläufe werden auf genetischer Basis überwacht. All diese Einsätze unserer Produkte gab es in der Vergangenheit noch nicht. Beim Markt der klinischen Diagnostik sprechen wir von einer Größenordnung von 2 bis 3 Mrd. EUR. Dieser Bereich macht bei uns etwa die Hälfte unseres derzeitigen Umsatzes aus. Wir haben etwa 30% Marktanteil und fahren ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Roche. Wir zielen da über die nächsten fünf Jahre auf Marktwachstumsraten zwischen 10 und 15% ab. Der Markt wird sich also bis 2017 auf bis zu ca. 7 Mrd. EUR verdoppeln. Davon würden wir gerne mehr als die 30% Marktanteil bekommen.

VC Magazin: Sie haben u.a. Ipsogen und Cellestis gekauft. Wie wollen Sie durch M&A-Aktivitäten wachsen? Welche Targets haben Sie?

Schatz: Unsere Akquisitionsstrategie stützt unsere Gesamtstrategie, Unternehmen bzw. deren Tests und Produkte einzukaufen, die wir auf unsere Geräte und Plattformen aufsetzen können. Das ist jetzt mit Ipsogen und Cellestis letztes Jahr der Fall gewesen. Wir haben Tests für latente Tuberkulose gekauft, die jetzt integriert werden. Cellestis kostete etwas mehr als 300 Mio. EUR. Aber es werden bei uns jetzt nicht Milliardenbeträge für Zukäufe sein. Regional expandieren wir sehr stark in Lateinamerika, Osteuropa und ähnlichen Regionen mit zum Teil kleinen Zukäufen. Technologie-Akquisitionen wie z.B. bei Genomsequenzierung mit Intelligent Biosystems führen wir immer wieder durch, diese Akquisitionen sind eine Art Grundrauschen. Wir haben auch viele Ausgründungen vollzogen, zwei davon wurden börsennotiert. Eines ist von Pfizer übernommen worden, das andere ist heute Evotec.

VC Magazin: Wo sollte die Politik bessere Rahmenbedingungen für Testverfahren und die Zulassungsprozesse und damit auch für Ihr Wachstum schaffen?

Schatz: Wenn bewiesen wird, dass informationsgebende Technologien einen positiven Ergebnisbeitrag leisten, sollte man sie unkompliziert und schnell zulassen. Wir sind bei manchen Tests hingegen schon fast zehn Jahre im Prüfverfahren für die Erstattung. Pharmazeutische Produkte haben inzwischen über das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ein interessantes System bekommen, bei dem die Zulassungsverfahren zeitlich begrenzt sind. Das fehlt bei uns. Wir haben mit einem Arzneimittelhersteller ein hochinteressantes Lungenkrebsmittel mit einem Gentest verbunden. Dieser Gentest wird Patienten identifizieren, die man mit dem neuen Medikament erfolgreich behandeln kann. Wenn man ohne den Gentest arbeitet, wird das Medikament mehr Leuten schaden, als es effektiv nutzt. Das Arzneimittel, das im Jahr ca. 30.000 EUR kostet, ist in Nullkommanichts erstattet worden. Der Gentest hingegen, der die Patienten auswählt, ist nach langem Tauziehen erst rund zwei Jahre später für die Erstattung zugelassen worden. Wir brauchen also eine Pflichtenlösung mit einer Frist zur Entscheidung für oder gegen Erstattung von Diagnostika.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Zum Gesprächspartner

Peer Schatz ist Vorstandsvorsitzender der Qiagen N.V, einem Unternehmen in den Märkten für molekulare Diagnostik und angewandte Testverfahren. Er brachte das Unternehmen als das erste deutsche Unternehmen an die NASDAQ. Vor seinem Eintritt bei Qiagen 1993 arbeitete Schatz für Sandoz und Computerland und war an der Gründung mehrerer Start-ups beteiligt.