Risiken bei der Start-up-Bewertung verlässlich bestimmen

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Das Problem ist evident: Quantitativen Bewertungsverfahren wie der Venture Capital-Methode mangelt es an der Datengrundlage. Doch auch die alternativ genutzten qualitativen Faktoren, zu denen vorrangig USP, Wachstums-, Entwicklungs- und Exit-Potenzial sowie die Wettbewerbsposition gehören, können häufig nicht verhindern, dass Beteiligungsrisiken falsch eingeschätzt werden. Denn auch die qualitativen Bewertungsfaktoren erfordern eine erfahrungsgeleitete Entscheidung, die somit auf Erkenntnissen aus der Vergangenheit basiert. Um das Potenzial eines Start-ups angemessen zu bewerten, reicht es jedoch nicht aus, die Erfahrungen der Vergangenheit zu reflektieren. Denn häufig gibt es den Markt, den ein Start-up bearbeiten will, noch nicht. Und selbst wenn dieser bereits existiert, kann er sich in einem Wandel befinden. Wer die tatsächlichen Stärken und Schwächen eines Start-ups ermitteln will, benötigt ein konsistentes Bewertungsinstrument, das weit über eine Kenn- und Planzahlenbetrachtung hinausgeht und in der Lage ist, Unsicherheiten, unrealistische Zukunftsprognosen und unstimmige Hypothesen im Vorhaben eines Start-ups aufzudecken.

Zweistufige Herangehensweise

Ideal ist ein mehrdimensionales Modell, das die relevanten Erfolgsfaktoren erhebt. Dazu gehören das Geschäftsmodell, Disruptions- sowie Skalierungspotenzial und die langfristige Innovationsfähigkeit eines Start-ups. Das Schlüsselkriterium ist das Wertversprechen. Außerdem sind die psychologischen und kulturellen Charakteristiken des Gründerteams zu analysieren und deren Auswirkungen auf den Führungsstil, das Management der Kundenbeziehungen oder die Start-up-Konzeption zu beurteilen. Das Ergebnis spiegelt die Risiken und den disruptiven Wirkungsgrad der Innovation wider. Eine solche Start-up-Analyse sollte aus Gründen der Effizienz zweistufig konzipiert sein: Auf eine grobe Plausibilitätsprüfung folgt eine tiefer gehende Detailanalyse. Die Plausibilitätsprüfung konzentriert sich ausschließlich auf die qualitative und quantitative Bewertung des Geschäftsmodells sowie des Wertversprechens. Die Detailanalyse bezieht neben den Daten aus belastbaren Markttests die Disruptivität und Innovationsfähigkeit mit ein. Die Marktaussichten und die damit verbundenen Annahmen eines Start-ups lassen sich sehr gut durch einen Vorabtest der Produkt- oder Dienstleistungsidee bestimmen. Mithilfe eines Minimum Viable Product (MVP) oder eines Fake Door Pretotype kann das Wertversprechen bereits von Anfang an sehr effektiv am Markt getestet werden. Im Gegensatz zur Entwicklung von Prototypen verschafft dieses Vorgehen valide Daten, die zeigen, ob ein Start-up die richtige Produkt-Service- bzw. Problem-Lösungs-Kombination entwickelt. Weitere Fakten können zudem durch Interviews mit potenziellen Kunden und Partnern erhoben werden. Darüber hinaus lassen sich faktenbasierte Schlüsselmerkmale aus dem Wertversprechen ableiten und im Rahmen einer Delta-Analyse mit denen der Hauptkonkurrenten vergleichen.

Zuverlässige Prognosedaten

Im weiteren Verlauf wird das Potenzial zur Marktrevolution bewertet. Disruptive Innovationen sind für Start-ups häufig die einzige Chance, um sich gegenüber etablierten Marktführern zu behaupten, da diese über mehr Kapital, bessere Kundenbeziehungen und eine effiziente Organisationsstruktur verfügen. Der Grad der Disruptivität lässt sich nicht mithilfe bekannter Kennzahlen ermitteln. Dazu bedarf es zuverlässiger Prognosedaten. Daher wird der zukünftige Markt durch ein Hypothesenmodell repräsentiert. Anhand von Analysen lassen sich so Maßnahmen erarbeiten, die das Start-up erfolgreich umsetzen kann, etwa bestimmte Preis- und Kostenstrukturen, Fertigungsverfahren oder die Beherrschung neuer Technologien. Auf diese Weise können auch nicht vorhandene Märkte greifbar gemacht und Gesamtszenarien aus Investorensicht entwickelt werden. Abschließend wird die Veränderungsbereitschaft untersucht. Schließlich müssen Start-ups fähig sein, sich immer wieder erfolgreich an Marktveränderungen anzupassen und ihre Produkte, Services sowie Geschäftsmodelle neu zu erfinden. Das erhöht die Aussicht auf renditeträchtige Exits. Ausgehend von Strategie, Kernkompetenzen und Marktbedingungen bis hin zur wichtigsten Ressource, dem Menschen, eröffnet diese Analyse einen klaren Blick auf die organisatorische Veränderungsbereitschaft, die unabhängig vom Produkt den Erfolg eines Unternehmens bestimmt. Danach werden allgemeine gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Trends und deren Berücksichtigung im Unternehmen analysiert. Auch die Teilnahme an Netzwerken, etwa der Wissenschaft, beeinflusst den Grad der Innovationsfähigkeit, gerade in der Frühphase eines Unternehmens.

Fazit

Investoren sollten ihre geplanten Engagements greifbar machen. Das skizzierte Vorgehensmodell ermöglicht genau das: eine faktenbasierte Einschätzung des Investitionsrisikos. Häufig entwickeln sich erst aus der Risikobewältigung die Chancen, die ein Investmentprojekt entscheidend vorantreiben. Gründern ermöglicht diese zielgerichtete Gesamtanalyse, ihren Blick für das eigene Vorhaben zu schärfen und ihre Maßnahmen auf den Erfolg zu fokussieren.

D3 Sven von Loh

Sven von Loh gründete mit 20 Jahren seine erste Firma. Der Unternehmer begleitet seitdem technische, bevorzugt disruptive Innovationsprojekte von Investoren und Start-ups. Seinen Ansatz der Start-up-Bewertung hat von Loh in seinem neuen Buch „Richtig dicke Fische angeln“, das Ende des Jahres im Going Public Media Verlag erscheinen wird, umfassend erläutert.