Interview Martin Weber, Infarm

„Vertical Farming hat das Interesse großer Infrastrukturinvestoren und Banken“

„Vertical Farming hat das Interesse großer Infrastrukturinvestoren und Banken“ - Martin Weber, Infarm
„Vertical Farming hat das Interesse großer Infrastrukturinvestoren und Banken“ - Martin Weber, Infarm

Bildnachweis: Infarm.

Wenn wir nach 2050 die Bevölkerungsgrenze von 10 Milliarde Menschen erreichen, wird die heutige Landwirtschaftsfläche allein nicht genügen. Eine Lösung könnten Urban Farming-Plattformen darstellen, mit denen auch in den Städten Lebensmittel frisch angebaut werden können. Derartige Lösungen bieten noch aus anderen Gründen viele Vorteile.

VC Magazin: Was macht Infarm und wie ist es im Bereich Agri- und Foodtech positioniert?
Weber: Infarm wurde 2013 in Berlin von den Brüdern Erez und Guy Galonska sowie Osnat Michaeli aus der Leidenschaft heraus gegründet, besser zu essen – vorzugsweise frisch aus dem eigenen Garten, mit allen Geschmäckern und Nährstoffen sowie ohne chemische Pestizide und unnötige Transportwege. Unsere Gründer wollten, dass jeder zu jeder Jahreszeit all die guten Dinge aus seinem eigenen Garten in großem Maßstab und in bester Qualität genießen kann. Sie haben erkannt, dass der größte Mangel unseres derzeitigen Nahrungsmittelsystems darin besteht und es zu weit von den Menschen entfernt ist, die es zu ernähren versucht. Der Ansatz dabei ist, die gesamte Lieferkette von Anfang bis Ende neu zu definieren – statt große Landwirtschaftsflächen außerhalb der Stadt zu errichten –, auf einen bestimmten Ertrag hin zu optimieren und dann die Produkte zu verteilen. Es geht darum, Anbauflächen effektiver selbst in der Stadt zu verteilen. Die Lösung dafür sind modulare vertikale Farmen, die an verschiedenen Orten in der Stadt aufgestellt werden können, sodass Gemüse wachsen und dann kurz vor dem Kauf oder Verbrauch geerntet werden kann. So ermöglicht man allen, lokal angebaute, handverlesene Lebensmittel zu genießen. Heute ist Infarm eine der weltweit größten Urban Farming-Plattformen, die monatlich mehr als 250.000 Pflanzen in ihrem Netzwerk erntet und verteilt. Infarm ist derzeit in Kanada, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Japan, Luxemburg, Großbritannien, den USA sowie der Schweiz tätig und hat mehr als 600 Farmen in Geschäften und Vertriebszentren installiert.

VC Magazin: Wie sehen diese Farmen aus?
Weber: Jede Farm ist mit einer zentralen cloudbasierten Plattform verbunden, die mehr als 50.000 Datenpunkte während der gesamten Lebensdauer einer Pflanze analysiert, um mit jeder Pflanze dazuzulernen, sich anzupassen und zu verbessern. Die vertikalen Farmen benötigen weniger Platz als die industrielle Landwirtschaft; der Anbauprozess verbraucht weniger Wasser und weniger Transport. Da die Produkte in Farmen, in Supermärkten und/oder nahe gelegenen Vertriebszentren angebaut und geerntet werden, wird der Transport bis zu 90% reduziert. Sie sind frei von chemischen Pestiziden und bieten einen hochwertigen, stabilen wie auch konsistenten Produktionsweg, der 365 Tage im Jahr funktioniert. Und nach unseren eigenen Untersuchungen verbraucht jede Farm 95% weniger Wasser und 75% weniger Dünger, als es bei bodengebundener Landwirtschaft der Fall ist.

VC Magazin: Was ist das Geschäftspotenzial der vertikalen Landwirtschaft in Bezug auf den gesamten Bereich der Agrar- und Lebensmitteltechnologie?
Weber: Historische Marktprognosen hatten geschätzt, dass der globale Obst- und Gemüsemarkt bereits bis 2017 die 2-Bio.-USD-Marke überschreiten würde. Klimaunwägbarkeiten, ökologische Erschütterungen, die urbane Expansion und erhöhte Verbrauchernachfrage treiben das Streben nach nachhaltigeren Lösungen und Innovationen voran. Im Foodtech-Bereich gibt es viele Ideen, die nach Lösungen für die ökologischen und nachhaltigen Herausforderungen im Zusammenhang mit landwirtschaftlicher Produktion und Distribution suchen.

VC Magazin: Was sind die Herausforderungen des Vertical Farming für zukünftiges Wachstum?
Weber: Die größte Herausforderung ist keine technische, sondern eine wirtschaftliche. Sie ist hauptsächlich auf die Energie zurückzuführen, die bestimmte Pflanzen verbrauchen. Das heißt, wenn wir Zugang zu sauberer, günstiger Energie haben, werden auch Blütenpflanzen, Reis, Weizen und Sojabohnen im Vertical Farming-Bereich Realität werden.
So verbessern wir kontinuierlich die Energieeffizienz der Prozesse. Durch die Verwendung der für das Pflanzenwachstum verantwortlichen Wellenlängen sparen wir Energie und optimieren das Licht. Vorteile lassen sich erzielen, indem wir Daten darüber sammeln, aggregieren und analysieren, wie jede Pflanze auf spezifisches Licht und Nährstoffe reagiert. Da sich die Branche bei der Nutzung von Lichtenergie und LED-Technologie weiterentwickelt, wird es hier zu weiteren Innovationen kommen. Der Infarm-Ansatz ist dabei nur eine Möglichkeit, die dringenden landwirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Es braucht auch Innovation und Zusammenarbeit in der gesamten Branche. Vor diesem Hintergrund bauen wir ein Farming as a Service-Modell auf. Es wird ermöglichen, Technologie, Prozesse und das Know-how für ein ganzes Ökosystem bereitzustellen, also von Partnern – von Vertriebszentren bis hin zu Lebensmittelherstellern, von Schulen bis zu Krankenhäusern und anderen –, um diese dazu zu befähigen, ihren Beitrag dazu zu leisten, damit Städte in ihrer Lebensmittelproduktion wirklich autark werden.

VC Magazin: Was sehen Sie als wichtige Entwicklungen auf dem Gebiet der Agrar- und Lebensmitteltechnologie?
Weber: Heute besteht das Potenzial, die Fortschritte der letzten zehn Jahre, einschließlich Internet of Things (IoT), maschinelles Lernen, Bilderkennung, erneuerbare Energien et cetera mit Fortschritten in den Pflanzen- und Agrarwissenschaften zu kombinieren, um nachhaltige Lösungen zu schaffen, die unserem Planeten die nächsten 100 Jahre zugutekommen werden. Es gibt außerdem viel zu lernen aus den Erfahrungen in etlichen nicht-verwandten Branchen. Beispiel Lagerautomatisierung: Agritech war schon immer richtungsweisend in der Automatisierung, aber mit der Zeit lassen sich noch weitere Effizienzsteigerungen erzielen. Es ist wichtig, den Fokus auf eine enge Zusammenarbeit mit großen Playern in diesen Branchen zu setzen.

VC Magazin: Wie wird Infarm finanziert? Welche Private Equity- und Venture Capital-Akteure sehen Sie im Bereich der vertikalen Landwirtschaft/Agrar- und Lebensmitteltechnologie aktiv?
Weber: Bisher haben wir Unterstützung und Investitionen von Organisationen wie der Europäischen Kommission und einer Reihe von Wagniskapitalunternehmen erhalten, darunter Cherry Ventures, Balderton Capital und Atomico, die unsere letzte Series B-Finanzierungsrunde im Juni 2019 angeführt haben. Heute werden Investoren aus der ganzen Welt von nachhaltigen Innovationen für die Herausforderungen angezogen, die unseren Planeten betreffen. Wir erhalten insbesondere Interessenbekundungen von internationalen Investoren, die sich auf Impact Investing konzentrieren – da dieser Bereich auch in der gesamten Venture Community an Dynamik gewinnt. Vertical Farming hat auch das Interesse großer Infrastrukturinvestoren und Banken geweckt, da der Ertrag pro Quadratmeter wachsender und kontinuierlich verbesserter Effizienz vielversprechende Renditen gezeigt hat.

VC Magazin: Was raten Sie aus Ihrer Erfahrung Start-ups im Bereich Agri- und Foodtech?
Weber: Wir besitzen das Glück, ein sehr vielfältiges Team aus mehr als 55 Ländern zu haben: Gartenbauer arbeiten neben Wirtschaftsingenieuren, Biologen arbeiten mit Köchen und alle Experten auf ihrem Gebiet arbeiten zusammen auf ein gemeinsames Ziel hin. Für viele neue und wachsende Start-ups in unserer Branche wird ein Schlüssel zu langfristigem Erfolg sein, ein Team zusammenzubringen, das in der Lage ist, das Wissen unterschiedlicher Disziplinen in Biologie, Agronomie, Datenwissenschaft und Computertechnik zu kombinieren, um so kreative Lösungen für die Herausforderungen von morgen anbieten zu können.

VC Magazin: Herr Weber, vielen Dank für das Interview.

 

Martin Weber ist Senior Vice President Global Business Development bei Infarm. Zuvor arbeitete er bei Infarm als CFO und war für die Londoner Investmentfirma Sushi Venture Partners sowie als COO für das Startupbootcamp in Tel Aviv tätig. Bei etventure leitete er EuropeanPioneers, ein von der Europäischen Kommission gefördertes Investmentinstrument