Strategien zur Erhöhung des Erfolgs beim Börsengang

Außerordentliche Zeiten erfordern kreative Herangehensweisen

Außerordentliche Zeiten erfordern kreative Herangehensweisen: Strategien zur Erhöhung des Erfolgs beim Börsengang
Außerordentliche Zeiten erfordern kreative Herangehensweisen: Strategien zur Erhöhung des Erfolgs beim Börsengang

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Wir leben in unsicheren Zeiten – auch am Kapitalmarkt. Geopolitische Spannungen, Handelskonflikte, Brexit und aktuell die Corona-Pandemie sorgen für Unsicherheit, und selbst auf Wochenfrist sind Entwicklungen an den Kapitalmärkten kaum mehr vorhersehbar. Seit Jahren erhöht sich dadurch die Volatilität von Aktienkursen, die ein nie dagewesenes Niveau erreicht hat. Für Börsenaspiranten in der kritischen Platzierungsphase stellt sie eine besondere Herausforderung dar – gerade in der Woche des IPO-Bookbuildings und der Emissionspreisfindung. Einige reagieren, indem sie das Platzierungsvolumen reduzieren und damit die Verwässerung geringer halten. Andere entscheiden in letzter Minute, den Börsengang zu verschieben oder sogar abzusagen – und das oft nach Jahren der Vorbereitung und umfangreichen Investitionen in die Kapitalmarktfähigkeit. Geschäftsleitungen und Eigentümer von Börsenkandidaten stellen sich deshalb eine entscheidende Frage: Wie können die Risiken verringert und die Erfolgswahrscheinlichkeit des Börsengangs erhöht werden?

Der Aktienhandel in Hochgeschwindigkeit, Realtime-Informationen und die Vernetzung von Liquiditätszentren weltweit bestimmen den modernen Kapitalmarkt. In diesem digitalen Umfeld ohne räumliche oder zeitliche Grenzen sorgen immer häufiger externe Schocks für Volatilitäten – unabhängig davon, wo sie ursprünglich auftreten. Der Einfluss auf Börsengänge ist dementsprechend groß, denn es besteht ein eindeutiger statistischer Zusammenhang zwischen dem Grad an Volatilität und dem Erfolg eines Börsengangs: Eine hohe Volatilität beeinflusst die IPO-Aktivität negativ. Die Gründe liegen auf der Hand: Ein positives Marktsentiment in stabilen Märkten erleichtert eine valide Preisfindung und den Aufbau des IPO-Orderbuchs. In volatilen Zeiten, in denen Bewertungskennziffern von Vergleichsunternehmen starken Schwankungen unterliegen, gestaltet sich das deutlich schwieriger. Zudem sind Investoren in einem stabilen Umfeld eher bereit, an IPO-Roadshows teilzunehmen und in Börsengänge zu investieren. Emissionsprozesse und -konzepte müssen den neuen Realitäten Rechnung tragen, um für Börsenkandidaten das Risiko in der kritischen Platzierungsphase zu senken. Neben dem klassischen Weg an die Börse stehen Unternehmen mehrere alternative Strategien oder „Routen“ zur Verfügung, die zu einer Börsennotiz führen und gleichzeitig die hohen Investitionen in die Herstellung der Kapitalmarktfähigkeit, in die Due Diligence und in den Wertpapierprospekt sichern.

1. Direct Listing. Auf dem Weg des Direct Listing werden bereits existierende Aktien durch technische Aufnahme in ein Börsensegment handelbar gemacht, ohne dass neue geschaffen werden. Diese Route erfordert – abhängig von den Regularien des Börsenplatzes – ein Mindestmaß an Streubesitz, den man schon vor dem Börsengang schafft. Bestimmende Größen sind dabei die Anzahl und die Beteiligungshöhe von Investoren.
2. Safe IPO. Die sogenannte Safe IPO-Strategie separiert die Kapitalerhöhungsaktivitäten von der Handelsaufnahme der Aktien, dem Börsengang. Die Aktienplatzierung erfolgt dann entweder zeitlich vor dem Börsengang (Cross-over- oder Pre-IPO-Finanzierungen) oder nachdem man sich am Kapitalmarkt positioniert und einen guten Ruf bei Investoren erzielt hat.
3. Indirect IPO. Eine weitere alternative IPO-Route ist der Zusammenschluss mit einer bereits börsennotierten Special Purpose Acquisition Corporation (SPAC). Vorteile des indirekten Börsengangs sind die Sicherheit und Schnelligkeit des IPOs und die direkte Nutzung des in der SPAC verfügbaren Kapitals.
4. Reverse IPO. Bei einem Reverse IPO fusioniert der Börsenkandidat mit einer bereits börsennotierten Gesellschaft im eigenen oder einem nahestehenden Sektor oder er akquiriert sie. Eigentümer erhalten dabei börsennotierte Aktien (Akquisitionswährung) am fusionierten Unternehmen, ohne das Platzierungsrisiko im IPO-Prozess zu tragen.
5. Carve-out-IPO. Für Tochtergesellschaften oder Unternehmenseinheiten von bereits börsennotierten Konzernen stellt das Carve-out-IPO eine „sichere“ Option für einen Börsengang dar. Der für die Börsennotiz notwendige Streubesitz wird quasi durch Spiegelung der Aktionärsstruktur der Muttergesellschaft beim Börsenkandidaten erreicht. Danach wird der Handel im gewünschten Börsensegment aufgenommen.
6. IPO-Bonds. In diesem Szenario nutzen Börsenkandidaten eine IPO-Wandelschuldverschreibung oder IPO-Optionsanleihe, um zum Zeitpunkt des geplanten Börsengangs beziehungsweise Wandlungs- oder Ausübungszeitpunkts neue Aktionäre begrüßen zu können und damit Streubesitz zu schaffen. Das wird dann wiederum mit der Handelsaufnahme der geschaffenen Aktien in einem Börsensegment kombiniert.

Punkte, die vorab zu klären sind

All diese alternativen IPO-Routen erfordern anhand von Beispielen und Erfahrungswerten eine individuelle Evaluierung mit Eigentümern und dem Unternehmen. Zudem gilt es, die jeweiligen Regularien und die Flexibilität der infrage kommenden Börsenplätze zu eruieren und im Hinblick auf Streubesitzanforderungen zu vergleichen. Zur Erhöhung der Platzierungswahrscheinlichkeit und des Erfolgs eines Börsengangs ist es wichtig, dass Eigentümer und Geschäftsleitungen etwa sechs bis zwölf Monate vor dem geplanten IPO folgende wichtige Fragen klären:
1. Wurden im Rahmen eines strukturierten und gut vorbereiteten Auswahlprozesses die richtigen Konsortialführer ausgewählt? Ist das Bankenteam über differenzierende Kommissionsmodelle entsprechend incentiviert? Ist es flexibel und offen für alternative IPO-Strategien?
2. Haben wir uns im Kapitalmarkt bereits bekannt gemacht? Haben Analysten branchenspezifische Einblicke erhalten und wurde Investorenfeedback aus sogenannten Pre-Marketing-, Pre-Sounding- and Pilot-Fishing-Roadshows zur laufenden Feinjustierung der Equity Story berücksichtigt?
3. Sind Investoren rechtzeitig angesprochen worden und haben wir Zusagen sogenannter Hard- and Soft-Commitments von Cornerstone- und Ankerinvestoren zur Unterstützung des IPO-Orderbuchs erhalten?
4. Bietet das Unternehmenswachstum zum Zeitpunkt des IPOs und danach sowie die Equity Story weiteres Wertsteigerungspotenzial für neue Investoren nach dem Börsengang?
5. Sind wir kapitalmarktfähig aufgestellt – IPO-ready –, um fortlaufend Kapitalmarktregularien zu erfüllen? Können notwendige unterjährige Prospektinhalte geliefert und der Prospektbilligungsprozess gestartet werden, um sich kurzfristig öffnende IPO-Fenster flexibel für den Börsengang zu nutzen?
6. Haben wir einen Plan B, um den Finanzierungsbedarf über Cross-over-Finanzierungen, Anleihen oder Private Equity bis zum nächsten IPO-Anlauf zu überbrücken?

Raue Zeiten erfordern smarte Ideen und Kreativität

Es existiert kein Patentrezept, mit dem sich das Risiko hoher Marktvolatilität aus der erfolgskritischen Platzierungsphase senken oder herausnehmen ließe. Börsenkandidaten können jedoch traditionelle Wege infrage stellen und das IPO-Ecosystem mit neuen Ansätzen herausfordern. Ausgewählte Fragen an das externe IPO-Team könnten sein:
• Wie kann wieder eine breite und diverse Investorenbasis besser über die Öffentlichkeit im Rahmen eines wirklichen Initial Public Offerings angesprochen werden, nachdem in den letzten Jahren in vielen Märkten der Börsengang mehr eine Privatplatzierung unter wenigen ausgewählten institutionellen Investoren geworden ist?
• Wie können Möglichkeiten aus neuen Technologien und neuen Medien kosteneffizient in der Investorenansprache und der Kapitalaufnahme genutzt werden?
• Wie kann der Preisbildungsprozess durch mehr Studien, ein größeres Maß an Transparenz und andere Preisfindungsmodelle verbessert werden?

Gründe für einen Börsengang

Unabhängig von den Unsicherheiten an Kapitalmärkten bereiten Unternehmen weiterhin den Börsengang vor. Sie schätzen auch trotz der hohen Verfügbarkeit von privatem Kapital den Zugang zum öffentlichen Kapitalmarkt, zur Börse, aus fünf wesentlichen Gründen:
1. Öffentliche Kapitalmärkte sind weiterhin der stärkste Zugang zu den größten Kapitalressourcen und bieten eine tägliche Bewertung.
2. Bessere Möglichkeit der Steigerung des Bekanntheitsgrads im öffentlichen Rampenlicht mit positiven Wachstumseffekten im operativen Geschäft.
3. Bessere Überwachung im Bereich guter Corporate Governance durch Regulatoren, Analysten und einer Vielzahl von Investoren.
4. Börsennotiz eröffnet einen direkten und fortlaufenden Zugang zu Kapital.
5. Größere unternehmerische Unabhängigkeit mit einer neuen und diversifizierten Investorenbasis.

Fazit

Die Evaluierung von Strategien zwecks der möglichst erfolgreichen Gestaltung des Schritts auf das Parkett ist ein wichtiger Bestandteil der rechtzeitigen und ganzheitlichen Vorbereitung auf einen Börsengang – kurz: IPO-Readiness. Flexibilität erreichen und Optionen erschließen sind dabei wichtige Ziele mit Unterstützung eines erfahrenen externen IPO-Teams für viele Unternehmen.

Dr. Martin Steinbach, EYDr. Martin Steinbach verantwortet als Partner die „IPO und Listing Services“ bei EY für Deutschland, die Schweiz und Österreich und ist IPO Leader für Europa, Middle East, Indien und Afrika. Vor seiner Zeit bei EY hatte er verschiedene Führungspositionen in den Bereichen Investment Banking und Private Equity sowie bei der Deutschen Börse inne. Zudem war er Mitglied im Aufsichtsrat von börsennotierten und nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften, Beiräten sowie Investitionsgremien verschiedener Private Equity- und Venture Capital-Fonds.