Start-up-Verband und Business Angels Netzwerk schaffen anerkannten Dokumentenstandard

Standardverträge für den Investitionsstandort Deutschland

Das German Standards Setting Institute (GESSI), eine Einrichtung des Business Angels Netzwerks Deutschland (BAND) und des Bundesverbands Deutsche Startups (BVDS), hat das Ziel, Standardverträge für die Finanzierung von Start-ups zu schaffen. Nach vier Jahren zeigt sich jetzt mit einem von allen Seiten im Markt anerkannten Dokumentenstandard der Erfolg.

Eine sichere und allgemein anerkannte Rechtsbasis ist ein manchmal unterschätzter, aber dennoch großer Vorteil für einen Start-up- und Investitionsstandort. Im Bereich der Finanzierung von jungen Unternehmen spielen neben dem staatlichen Recht vor allem Vertragsdokumente eine große Rolle, die in der Regel von Anwälten aufgesetzt werden. Diese nutzen dafür Muster, welche dann die Basis für den interessengeleiteten Aushandlungsprozess durch die mehr oder weniger sachkundigen Parteien bilden. Das Ergebnis hängt von der Marktmacht der jeweiligen künftigen Vertragspartner, aber auch von deren eigener Sachkunde und der Qualität des vorgelegten Musters sowie der Beratung durch die Anwälte ab.

Weltweit verschiedene Muster-Templates

Kein Wunder, dass Angels, aber auch Start-ups – oft mit dem Verweis auf das Ausland – immer wieder beim Business Angels Netzwerk Deutschland (BAND) nachgefragt haben, ob ihnen ein Vertragsmuster zur besseren Vorabinformation und zur Nutzung zur Verfügung gestellt werden könne. In der Tat bieten zum Beispiel die UK Business Angels Association (UKBAA), der britische Angels-Verband, und die British Private Equity & Venture Capital Association (BVCA), der dortige Wagniskapitalverband, ihren Mitgliedern Muster-Templates für die wichtigsten Verträge an, ähnlich das Australian Investment Council (AIC) zum freien Download. In den Niederlanden hält die private Firma Capital Waters Open Source-Dokumente bereit. Am bekanntesten ist das Safe-Template eines US-Accelerators, das ein Wandeldarlehen „light“ betrifft.

Anerkannten Dokumentenstandard schaffen

Von diesen und anderen Beispielen konnte man lernen, zum echten Vorbild waren sie nicht geeignet – denn die Aufgabe war, Start-up-Finanzierungen in Deutschland mit einem im Markt von allen Seiten anerkannten Dokumentenstandard schneller, einfacher, rechtssicher und kostengünstiger zu machen. Die Dokumente sollten individuellen Freiraum gewähren, in sich konsistent sein und höchste professionelle Ansprüche erfüllen. Ziele waren ­freier, kostenloser Zugang für jedermann, Anwenderfreundlichkeit, Interessenausgewogenheit, Anwaltsunabhängigkeit und internationale Anschlussfähigkeit. Als ersten Schritt haben der BAND und der BVDS als organisatorische Basis das German Standards Setting Institute (GESSI) gegründet. In Kooperation beider Verbände sollten Vertreter beider Vertragsparteien der Start-up-Finanzierung die Dokumente gemeinsam erarbeiten, sodass ein fairer Interessenausgleich erreicht werden kann. Dieser Weg wurde bei der konkreten Arbeitsweise des GESSI umgesetzt. Jedes Vertragswerk wird von einer gesonderten Arbeitsgruppe erstellt, in die fachliche Experten, Start-up- und Investorenvertreter berufen werden. Die Federführung obliegt jeweils einer renommierten und fachlich versierten Anwaltskanzlei, wobei je nach Arbeitsthema wechselnd Vertreter der Elite der deutschen Kanzleien eingebunden werden. Im Ergebnis han­delt es sich so um GESSI-Dokumente, nicht Dokumente einer ­bestimmten Kanzlei. Beschlüsse der Arbeitsgruppen werden im Konsens der Mehrheit beider Seiten und unter Akzeptanz der federführenden Kanzlei gefasst. Um Konsistenz zwischen den einzelnen Dokumenten zu erreichen, nimmt in der Regel der Anwalt der vorangegangenen Arbeitsgruppe an der darauffolgenden teil. Die Themen der zu erarbeitenden Dokumente legen BAND und BVDS einvernehmlich fest. Einer der beiden Verbände übernimmt anschließend die organisatorische Leitung der jeweiligen Arbeitsgruppe.

Relaunch im Zweijahrestakt

Alle erstellten Texte werden auf der Website des GESSI veröffentlicht und sind für jedermann, nur gegen eine kurze Registrierung, kostenlos herunterladbar. Dies war möglich, weil alle Mitwirkenden das Projekt pro bono unterstützen. Ein gutes Zeichen ist, dass auch viele Anwaltskanzleien diesen Service nutzen. Auf der Website kann man sich auch über die Mitglieder der Arbeits­gruppen, die Downloadzahlen und Termine der ebenfalls kostenlosen Präsenz- oder Online-Roadshows informieren. Von August 2018 bis Ende Juni 2021 werden es 24 Veranstaltungen mit rund 3.000 Teilnehmern gewesen sein. Die Nutzer können auf der GESSI-Homepage Fragen stellen oder Anregungen geben. Die dabei unterbreiteten Vorschläge münden ein in einen etwa alle zwei Jahre stattfindenden Relaunch der Texte durch die Arbeitsgruppen.

Nutzerfreundlichkeit im Blick

Größter Wert wird auf Nutzerfreundlichkeit gelegt. Die Dokumente sind an den individuellen Bedarf anpassbar und des­wegen als Word-Dokument verfügbar. Sie sind „zweispaltig“ in deutscher und englischer Sprache, können somit bei deutschen Behörden und Gerichten genutzt werden und sind gleichzeitig nachvollziehbar für internationale Investoren. Alle GESSI-Dokumente habe einführende Verwendungshinweise, die das Verständnis erleichtern. Eckige Klammern in den Texten weisen auf ausfüllungsbedürftige Teile hin, und Anmerkungen führen zu möglichen Varianten. Ergänzt werden viele Dokumente durch Hilfsmittel wie Excel Sheets für Berechnungen oder zusätzliche „Hilfsdokumente“, wie beim Arbeitsvertrag ein Merkblatt zum Datenschutz. Nicht unwichtig ist, dass die Arbeitsgruppen ­bemüht waren, Konformität mit den Richtlinien für den Invest-Zuschuss zu erreichen oder zumindest auf deren Regeln zu verwei­sen, um die Beteiligten dabei zu unterstützen, ihre Verträge an diese anzupassen. Das gilt zum Beispiel für die Frage der Marktüblichkeit von Discount und Cap beim Wandeldarlehen oder von Verwässerungsschutz und Liquidationspräferenz bei der Finanzierungsrunde.

Erstes Dokument von Osborne Clarke

Das erste Dokument war das Vertragswerk Wandeldarlehen unter Federführung von Osborne Clarke, online seit Mai 2018, bei dem das Problem darin bestand, eine rechtssichere Version zu schaffen und andererseits mutigen Vertragspartnern die Chance zu geben, die umständliche und kostenpflichtige notarielle Beurkundung zu vermeiden. Das Ergebnis war die Aufteilung in drei Einzeldokumente: grundlegender Gesellschafterbeschluss, Wan­deldarlehensvertrag und Wandlungsverpflichtung. Wer alles rechtssicher haben will, sollte alle drei Dokumente nutzen; wer viel Vertrauen in die Gegenseite hat, kann sich mit dem Dokument Wandeldarlehensvertrag begnügen. Inzwischen ist bereits eine Version 2.0 verfügbar.

Roadmap schaffen vor der Due Diligence

Im Vorfeld des eigentlichen Beteiligungsvertrags empfiehlt es sich unbedingt, ein Term Sheet zu vereinbaren, dessen Zweck die gemeinsame Roadmap für die spätere Finanzierungsrunde ist, bevor eine vertiefte Due Diligence stattfindet. Alle wesent­lichen Elemente der Dokumente der Finanzierungsrunde, wie Bewertungsgrundlagen, Corporate Governance, Investoren­rechte, Exitrechte oder Gründerverpflichtungen, sind hier ­bereits angelegt. Die Federführung für das nicht rechtsverbindliche, aber Vertrauen schaffende Term Sheet hatte Arqis Rechtsanwälte.

Notarkostenreduzierung durch entfallende Beurkundungspflicht

Das Konvolut-Vertragswerk Finanzierungsrunde wurde unter Federführung von Weitnauer Rechtsanwälte bewältigt. Es besteht unter anderem aus der Beteiligungs- und Gesellschaftervereinbarung, der (neuen) Satzung und den Geschäftsordnungen für Geschäftsführung und einen eventuellen Beirat. Indem unter anderem übliche Übertragungspflichten von Anteilen nicht in die Gesellschaftervereinbarung, sondern in die Satzung aufgenommen wurden, entfällt die Beurkundungspflicht der ­Beteiligungs- und Gesellschaftervereinbarung. Dies führt zu einer erheblichen Notarkostenreduzierung. Hilfreiche Hinweise erfuhr die Arbeitsgruppe hier durch das Notariat Schwenke Schütz. Auch eine Secondary- und eine ESG-Klausel in den Doku­menten weisen in die Zukunft.

Neueste Entwicklungen des Arbeitsrechts berücksichtigt

Der Standard-Arbeitsvertrag nimmt die neuesten Entwicklungen des Arbeitsrechts auf und hat das Ziel, in Rechten und Pflichten ausgewogene Regeln anzubieten. Den Start-ups wird damit Rechtssicherheit für die Personalarbeit gegeben. Die juristische Federführung dieser Arbeitsgruppe lag bei Greenberg Traurig. Zwei „kleinere“ Dokumente sind für den Alltagsgebrauch gedacht. Der „Gesellschafterschluss“ erleichtert die Abwicklung dieser Formalie in digitalen Zeiten. Das „NDA“ ist professionell gestaltet, sollte aber auf keinen Fall bei jedem Pitch verlangt werden. Die laufenden Arbeitsgruppen „Syndizierung“ unter juris­tischer Federführung von Tigges Rechtsanwälte und „Mitarbeiterbeteiligung (VSOP)“ unter Federführung von Hengeler Mueller werden noch im Sommer 2021 zum Abschluss kommen. Im zweiten Halbjahr 2021 folgt dann die Arbeitsgruppe „Exit“ unter Federführung von Dentons.

Fazit

Mit 20.000 Downloads und, wie wir wissen, zahlreichen tatsächlichen Nutzungen hat das Wandeldarlehen das Ziel, Standard zu werden, bei etwa 1.000 Wandeldarlehen im Start-up-Bereich jährlich, erreicht. Term Sheet und Finanzierungsrunde sind mit knapp 10.000 Downloads zumindest nahe dran. Das Konzept scheint aufzugehen.

Dr. Roland Kirchhof ist seit 2001 Co-Vorsitzender des Business Angels Netzwerk Deutschland e.V. (BAND), des Verbands der Angel-Investoren und ihrer Zusammenschlüsse in Deutschland. Zuvor war er unter anderem Anwalt und geschäftsführen­des Vorstandsmitglied von pro Ruhrgebiet. Ge­genwärtig ist er außerdem Vorstand des BAAR und Geschäftsführer der Startbahn Ruhr GmbH.