„Wir werden in Europa kurz- bis mittelfristig größere VC-Fonds sehen“

Sommerinterview Teil 8: Mit Dr. Jörg Goschin, KfW Capital

Dr. Jörg Goschin
"Wir werden in Europa kurz- bis mittelfristig größere VC-Fonds sehen" - Sommerinterview mit Dr. Jörg Goschin, KfW Capital

Bildnachweis: © istock.com/Vadym Ilchenko / KfW Capital/F. Hensel.

Nach anderthalb Jahren Coronapandemie hat sich vieles verändert: Neue Trends sind entstanden, Branchen stärker in den Fokus gerückt, die Arbeitswelt ist digitaler geworden. Es ist Zeit für ein erstes Fazit und einen Blick nach vorn. In den Sommerinterviews erzählen Persönlichkeiten aus der Private Equity- und Venture Capital-Branche von Fundraising- und Investmenterfahrungen, schätzen den aktuellen Markt ein und berichten von ihren Erwartungen für 2022.

VC Magazin: Wie sieht ihr aktuelles Fazit nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie für die Venture Capital-Branche aus?
Goschin: Die Corona-Krise hatte auf die Entwicklung von Start-ups und innovativen Technologieunternehmen insbesondere im Frühjahr und Sommer 2020 immense Auswirkungen, das Klima im VC-Markt sank entsprechend auf einen historischen Tiefpunkt. Die Bundesregierung kündigte bereits Anfang April 2020 ein spezielles Hilfspaket für Start-ups und junge innovative Technologieunternehmen an; übrigens war es das erste Mal überhaupt, dass für diese Zielgruppe während einer Krise ein eigenes Hilfspaket geschnürt wurde. Die 1. Säule dieser Maßnahmen wurde von KfW Capital konzipiert und von dem Europäischen Investitionsfonds (EIF) und uns über VC-Fonds an die Start-ups weitergegeben. Diese Maßnahmen halfen neben anderem dabei, die Folgen der Pandemie und den Schock des ersten Lockdowns abzumildern. Das Klima im VC-Markt erholte sich im Jahresverlauf sehr deutlich. Daneben hat aber auch das professionelle Agieren vieler Venture Capital-Fonds und innovativer Technologieunternehmen dazu beigetragen, dass die Krise für das VC-Ökosystem vergleichsweise glimpflich abgelaufen ist. So haben beispielsweise die meisten Start-ups sehr flexibel auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert und ihr Geschäftsmodell dort, wo erforderlich, rasch angepasst, einige konnten sogar profitieren. Das Thema Digitalisierung hat durch die Krise zudem quer durch alle Branchen einen enormen Boost erfahren, den viele für sich zu nutzen wussten. All das zusammen hat dazu beigetragen, dass im VC-Markt nun, da die Pandemie durch die Impfungen zwar noch nicht besiegt, aber kalkulierbarer geworden ist, viel Optimismus herrscht: Laut jüngst veröffentlichtem VC-Investbarometer von KfW und BVK gibt es Bestwerte bei den Klima-Indikatoren für Fundraising, Exits und Stärke des Dealflows.

VC Magazin: KfW Capital hat Jungunternehmen in dieser schwierigen Phase auch mit der Corona Matching Facility (CMF) unterstützt. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht, wie sahen die Rückmeldungen auf das Angebot aus?
Goschin: Die CMF war ein wichtiger Stabilisator. Beide Säulen der Start-up-Hilfen haben dazu beigetragen, die Phase der großen Unsicherheit über die Auswirkungen der Corona-Pandemie abzufedern. Viele VC-Fonds nutzten das zusätzliche Kapital aus der Corona Matching Fazilität, um während dieser Zeit die Start-ups zu unterstützen. Im Jahresverlauf 2020 haben wir gesehen, dass der Ansturm auf das Hilfspaket – parallel zu dem sich verbessernden Marktklima – abnahm. Viele Fonds, die sich die Gelder aus dem Hilfspaket zunächst sicherten, zogen diese Linien zu Jahresende nicht mehr. Zum 30.6. ist die Corona Matching Fazilität planmäßig ausgelaufen.

VC Magazin: Seit Jahresanfang gibt es viele hohe Finanzierungsrunden und immer mehr Unicorns. Wie stufen Sie das derzeitige Preisniveau am Markt ein?
Goschin: Zunächst einmal ist es sehr erfreulich, dass Unicorns in Deutschland nun häufiger vorkommen als noch vor ein paar Jahren! Große Finanzierungsrunden und hohe Bewertungen sind Folge des starken Investoreninteresse an attraktiven Start-ups und innovativen Wachstumsunternehmen. Einige dieser Unternehmen haben durch die Pandemie sogar einen besonderen Schub erfahren. Viele Bewertungen sind heute sicherlich höher als noch vor einem Jahr. Sowohl die Qualität und Skalierbarkeit der Geschäftsmodelle vieler Start-ups in Deutschland als auch deren bewiesene Krisenfestigkeit und Agilität dürfte viele Investoren aus dem In- und Ausland angezogen haben.

VC Magazin: Welche Entwicklung erwarten Sie für die zweite Jahreshälfte?
Goschin: Vorausgesetzt, die Pandemie führt nicht wieder zu neuen Beschränkungen, erwarten wir keine besonderen Schwankungen für die zweite Jahreshälfte. Wir sehen viele professionelle VC-Fonds im Fundraising. Bei uns selbst ist die Investment-Pipeline entsprechend auch schon über das Jahresende hinaus gut gefüllt.

VC Magazin: Der Zukunftsfonds startet mit den ersten Modulen. Welche Rolle spielt dabei KfW Capital und welche Verbesserungen kann die Branche erwarten?
Goschin: Durch den Zukunftsfonds werden in den nächsten zehn Jahren 10 Milliarden Euro in das VC-Ökosystems investiert. Er wird dazu beitragen, dass der Venture-Capital-Markt in Deutschland ein neues Niveau erreicht, zumal zusätzlich substanziell privates Kapital, insbesondere von institutionellen Investoren, gehebelt wird. Der Zukunftsfonds besteht aus einem Bündel von Instrumenten, die dazu dienen, innovative Technologieunternehmen in jedem ihrer Wachstumsschritte zu unterstützen. KfW und KfW Capital haben die Aufgabe, den Zukunftsfonds im Auftrag des Bundes zu strukturieren, also die einzelnen Bausteine mit den entsprechenden Institutionen wie EIF, coparion, HTGF und in Zusammenarbeit mit Bundesministerium der Finanzen und Bundeswirtschaftsministerium zu entwickeln. Die ersten drei Module sind bereits gestartet, u.a. die ERP/Zukunftsfonds-Wachstumsfazilität, die bei KfW Capital angesiedelt ist. Wir können über diese Fazilität nun bis zu 50 Millionen Euro pro Fonds investieren. Insgesamt investiert KfW Capital darüber bis 2030 mit Unterstützung des ERP-Sondervermögens und des Zukunftsfonds 2,5 Milliarden Euro. Diese Investitionen – gemeinsam mit der bereits ebenfalls eingeführten Wachstumsfazilität beim EIF – werden dazu beitragen, dass wir in Europa kurz- bis mittelfristig größere VC-Fonds sehen werden, die das hierzulande dringend benötigte Wachstumskapital in den spätphasigeren und größeren Finanzierungsrunden bereitstellen können.

VC Magazin: In welche Branchen und Geschäftsmodelle würden Sie derzeit persönlich investieren?
Goschin: Mein persönlicher Investmentfokus liegt auf Branchen und Geschäftsmodellen, die die Themen ESG und Nachhaltigkeit stark berücksichtigen. Damit bin ich nicht alleine, denn erfreulicherweise gibt es viele institutionelle Investoren und auch zunehmend mehr VC-Fonds, die ESG-Kriterien und Nachhaltigkeit in ihrem Investmentprozess berücksichtigen. Das ist auch gut so, denn letztlich geht es verstärkt um die Finanzierung von innovativen Technologien, die dabei helfen, unser aller Zukunft zu sichern.

 

Jörg Goschin ist promovierter Wirtschaftsingenieur und selbst Gründer und erfahrener Investment Professional. Frühere Stationen seiner beruflichen Laufbahn waren Metzler, The Boston Consulting Group, BNP Paribas, Cerberus, Blackstone und ALSTIN. Seit Gründung von KfW Capital im Jahr 2018 ist er gemeinsam mit Alexander Thees Geschäftsführer von KfW Capital.