Wonach Investoren auswählen und wie sie bewerten

Studie: Unternehmensbewertungen bei Erstrundenfinanzierungen

Julia Wöhler, TU Dresden
Julia Wöhler, TU Dresden

Zahlreiche wissenschaftliche Studien untersuchen, welche Faktoren Venture Capital-Investmentmanagern und Business Angels bei der ­Beurteilung und Auswahl neuer Portfoliounternehmen besonders wichtig sind. Deutlich seltener wird die Unternehmensbewertung von Start-ups empirisch ­betrachtet – zumeist aufgrund einer fehlender Datenlage. Nun wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „Strategisches Risikomanagement in ­Frühphasenfonds“ untersucht, ob die bisher identifizierten Kriterien zur Auswahl von Investments gleichermaßen bedeutsam für die Unternehmens­bewertung bei Frühphaseninvestments sind. In Kooperation zwischen der Technischen Universität (TU) Dresden und der HHL Leipzig Graduate School of Management wurden bis heute Datenerhebungen bei neun verschiedenen Venture Capital-Gesellschaften mit 139 finanzierten Start-ups in Deutschland durchgeführt. Dieser Zugang zu nicht öffentlichen Dokumenten und Daten erlaubt der Wissenschaft einmalige Einblicke.

Das initiale Screening nach relevanten Start-ups sowie die anschlie­ßende Due Diligence sind von unterschiedlichen Auswahlkriterien geprägt. Investoren beurteilen dabei zum einen die Unternehmerpersonen und zum anderen die ­Eigenschaften von Start-up und Geschäftskonzept. Laut bestehender wissenschaftlicher Untersuchungen sind in den jeweiligen Phasen besonders die in der Tabelle zusammengefassten Kriterien bedeutsam.

Gründerteam entscheidend

Das Gründerteam wird dabei oft als das entscheidende Investmentkriterium beschrieben. Bezüglich der Erfahrung der Gründer verdeutlichen Studien, dass komplementäre Fähigkeiten hinsichtlich Technologie und Betriebswirtschaft besonders wichtig für Investoren sind. Bei der Beurteilung des Entwicklungsstands des Start-ups ist die Risikobereitschaft der Investoren ausschlaggebend: Die Investition in ein am Markt etabliertes Start-up ist zwar weniger riskant für die Investoren, aber auch mit einem höhe­ren Preis für die Anteile verbunden. Demgegenüber ist ein Investment in ein Start-up in früher Entwicklungsphase deutlich günstiger, aber zugleich riskanter. Ein weiteres Kriterium ist der Standort des zukünftigen Portfoliounternehmens. Oftmals ist nicht nur die Nähe zur Venture Capital-Gesellschaft relevant, sondern auch die Einbettung in ein lokales Netzwerk oder Branchencluster zählt zu den entscheidenden Faktoren.

Bias oder Bauchgefüh23l?

Obgleich Investmentmanager als überdurchschnittlich rationale Menschentypen beschrieben werden, sind deren Entscheidungsprozesse nicht immer rational begründbar. Beispielsweise fanden amerikanische Forscher heraus, dass die Verwendung bestimmter Farben in einem Businessplan den initialen Screening-Prozess je nach Farbe positiv (blau) oder negativ (rot) beeinflusst. Auch Stereotypen und Rollenbilder wirken sich auf Investmentprozesse aus. Laut Studien erhalten Gründerinnen gerin­gere Inves­tments als Gründer, da Frauen weniger Führungskompetenz zugeschrieben wird als männlichen Entrepreneuren. Die stärksten Führungs- und Sozialkompetenzen werden Männern ohne technischen Hintergrund unterstellt. Die Abgrenzung ­zwischen Irrationalität und Intuition oder „Bauchgefühl“ ist ­jedoch nicht immer eindeutig und auch in der Wissenschaft vielfach diskutiert. In der Praxis müssen sich Investoren oft auf ihre Intuition verlassen, um (noch) nicht existierende Märkte oder zukünftige Kundenbedürfnisse beurteilen zu können. Und dies scheint zu funktionieren: Es wurde nachgewiesen, dass Investoren basierend auf ihrer Intuition zukünftig außergewöhnlich erfolgreiche Start-ups identifizieren können.

Early Stage-Unternehmensbewertungen

Die aktuelle Studie der TU Dresden zeigt, dass es kein Universalrezept für eine hohe Unternehmensbewertung gibt und die auch in der Wissenschaft gern genutzte Umschreibung als „more Art than Science“ durchaus berechtigt ist. Wenig überraschen dürfte, dass Start-ups im Biotechsegment unbedingt technologisches Know-how präsentieren müssen, um eine Chance auf eine hohe Bewertung zu haben. Für Software-Start-ups ist hingegen Managementerfahrung unabdingbar. Davon ­abgesehen scheinen Teamkriterien einen geringeren Einfluss bei der Verhand­lung der Bewertung zu haben als auf die initiale Auswahl durch die Investoren. Dies ist insbesondere in Hinblick auf vorhe­rige Gründungserfahrung interessant, da oft argumentiert wird, dass es eine Prämie für bestehende Gründungserfahrung gibt – womöglich ist für Mehrfachgründer die initiale ­Bewertungshöhe weniger relevant als für unerfahrene Gründer. Auch Marke oder Patent führen nicht unbedingt zu einer hohen Bewertung – fehlende Schutzrechte gehen jedoch zumeist mit einer niedrigen Bewertung einher. Als deutlich relevanter stellt sich der Reifegrad der Produktentwicklung dar. Eine hohe Bewertung wird zudem häufig begleitet von einem Investmentmanager, welcher eine besonders positive Meinung zu einem Jungunternehmen hat. Ob diese positive Meinung durch irrationale Reaktionen oder durch Intuition und Bauchgefühl bedingt ist, wird in der aktuellen Untersuchung jedoch nicht spezifiziert.

Screening-Kriterien

Initiales Screening

Due Diligence

Gründer und Team

• Erfahrung und Ausbildung der Gründer

• Leidenschaft der Gründer

• Gründungserfahrung

• industriespezifisches Fachwissen

• technisches Know-how

• Marketing- und Vertriebsexpertise

Start-up-Eigen­schaften

• Entwicklungsstand des Start-ups

• Standort

• Existenz eines Prototyps

• Diversität des Angebotsportfolios

• Markt

• Geschäftsmodell

• finanzielles Wachstumspotenzial

• Skalierbarkeit

• existierende Geschäftspartner

• Schutzrechte

• Markteintrittsstrategie

Quelle: TU Dresden

Julia Wöhler ist externe Doktorandin am Lehrstuhl für Entrepreneurship & Innovation der Technischen Universität Dresden und promoviert zum Thema Venture Capital und Erfolgsfaktoren für Hightech-Start-ups.