„Die Pandemie hat der letzten Meile ordentlich Schub verliehen“

Interview mit Holger G. Weiss, German Autolabs

Holger G. Weiss, German Autolabs
Holger G. Weiss, German Autolabs

Bildnachweis: © German Autolabs.

Holger G. Weiss ist Gründer, Business Angel und Start-up-Mentor. Seit mehreren Jahren ist er im Umfeld der vernetzten Mobilität aktiv.

VC Magazin: Sie haben German Autolabs 2016 gegründet, vor zwei Jahren das Geschäftsmodell angepasst und entwickeln seither Sprachassistenten für professionelle Fahrer. Mit IBB Ventures, coparion und Target Partners sind namhafte Investoren mit an Bord. Welche Idee und Ziele verfolgen Sie mit dem neuen Modell?
Weiss: Seit dem Beginn der Firma glauben wir fest an den Nutzen intelligenter Sprachassistenten für Menschen, die unterwegs sind. Die Gründe, aus denen wir uns auf professionelle Fahrer konzentriert haben, sind der erschlagende Anwendungsfall und die starke Nachfrage aus der Industrie. Natürlich hilft es, wenn man einen Sprachassistenten im privaten Pkw nutzt – aber wir haben gesehen, dass doch viele Menschen auch gerne über Touch- oder andere haptische Elemente die Funktionen steuern. Anders sieht es aus bei denjenigen, die sieben bis acht Stunden am Tag am Lenkrad verbringen, dabei auch noch zahlreiche Aufgaben zu erledigen haben und mit Informationen umge­hen müssen. Stellen Sie sich mal einen Auslieferfahrer für Pakete vor, also die klassische letzte Meile. Im städtischen ­Bereich muss ein Fahrer bis zu 150 Pakete am Tag ausliefern und dabei immer wieder das Fahrzeug bewegen und fahren. Die Herausforderung hier ist eine zweifache: Auf der einen Seite sollte die Ablenkung beim Fahren so gering wie möglich sein und auf der anderen Seite benötigt der Fahrer vielerlei Infor­mationen, um seine Arbeit zu erledigen – Ablageanweisungen des Empfängers, Zugangsinformationen zu Gewerbehöfen etc. Diese Informationen können alle vom Assistenten kontextuell bereitgestellt werden. Dabei können dann auch Details genannt werden, die nicht auf den ersten Blick auf dem mobilen Gerät sichtbar wären. Die meisten Informationen sind ja bekannt, aber oft werden diese im Stress des Alltags nur teilweise auf­genommen. Andersherum kann der Sprachassistent auch In­formationen vom Fahrer direkt verarbeiten und in Daten für das Unternehmen umwandeln, beispielsweise wenn Adress­infor­mationen nicht vollständig sind oder sich Öffnungszeiten geändert haben. Da kann man eine Nachricht aufsprechen, und der Assistent versteht den Inhalt. Inzwischen bieten wir hier Anwendungen für verschiedene Bereiche in der Lieferlogistik: letzte Meile, hyperlokale Lieferdienste wie Essenslieferungen und Zeitungslogistik.

VC Magazin: Welche Meilensteine haben Sie mit dem Sprachassis­tenten bereits erreicht?
Weiss: Wir haben mit DHL den Assistenten auf der letzten Meile in England in einem umfangreichen Versuch getestet und sehr ermutigende messbare Ergebnisse gesehen. So konnten wir beispielsweise die durchschnittliche Einarbeitungszeit von neuen Mitarbeitern bis zu 75% verkürzen. Auch die Servicequalität konnte stark gesteigert werden. Wir werden außerdem in den kommenden Wochen die erste kommerzielle Lösung in den Markt bringen; hier geht es um Zeitungszustellung. Der Kunde beschäftigt zurzeit circa 11.000 Zusteller.

VC Magazin: Die letzte Meile im Lieferverkehr und der Logistik ist ein Bereich, in dem aktuell viel Bewegung herrscht, neue Ideen entstehen und auch das Interesse der Investoren zunimmt. Wie bewerten Sie diesen Trend?
Weiss: Der Trend wird noch sehr zunehmen. Gerade die Pandemie hat dem Thema noch mal einen ordentlichen Schub verliehen. War das Online-Bestellaufkommen vorher bereits jedes Jahr mindestens 30% höher als im Jahr zuvor, haben wir jetzt nahezu eine Verdoppelung gesehen. Hinzu kommt der Riesentrend der Echtzeitlieferungen – im Lebensmittelbereich hat es ­angefangen und nimmt gerade schon zahlreiche andere Segmente ein, wie Apothekenlieferungen etc. Um dieser rasant wachsenden Flut an Lieferungen gerecht werden zu können, muss der Schlüssel in der Technologie liegen. Bisher gingen die Entwicklungen meist in die Richtung besserer Tourenauslastung und besseren Routings. Wir sehen uns aber etwa als eine wichtige Ergänzung in diesem Setting. Wenn der Algorithmus nicht mehr optimiert werden kann, kommt es wieder auf den Fahrer an. Hier geht es um ein sicheres und attraktives Arbeitsumfeld, aber auch direkt um Effizienzverbesserungen und ROI. Wenn ein Fahrer schneller in seinen Rhythmus findet und dann weniger Fehler macht, wird sich das unmittelbar auch auf das Ergebnis auswirken.

VC Magazin: Sie sind auch als Business Angel im Start-up-Öko­system unterwegs. Welche Investmenttrends sehen Sie aktuell in der Mobilitätsbranche?
Weiss: Die großen Trends haben sich da nicht verändert: Es geht um Elektrifizierung der Mobilität und die Dekarbonisierung. Das geht natürlich Hand in Hand. Weiterhin wird es auch darum gehen, das Auto und zunehmend auch das Flugzeug zu ersetzen – wo es möglich ist. Das heißt auch: Das Thema Sharing wird an Wichtigkeit behalten. Unsicher bin ich mir nach wie vor, was Flugtaxis betrifft. Meiner Ansicht nach wird es einfach noch sehr lange brauchen, bis wir hier Marktreife haben sowie die notwendigen Infrastrukturen und Regulierungen. Betrachtet man die Flut der SPACs im letzten Jahr in diesem Segment und die heutigen Kurse, wird dieses Jahr auf jeden Fall sehr herausfordernd für die Industrie.

VC Magazin: Wenn Sie einen Blick in die Glaskugel werfen: Wie dürfen wir uns Mobilität in der Zukunft vorstellen?
WeissAutonom und dekarbonisiert – alles andere wird sich darum entwickeln.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Holger G. Weiss ist Gründer und CEO von German Autolabs. Er verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Leitung von technologieorientier­ten Unternehmen mit Schwerpunkt auf verbraucherorientierten Dienstleistungen.