Mit nachhaltigem Wirtschaften die Welt retten?

Kommentar

Dr. Ernesto Garnier, Einhundert Energie
Dr. Ernesto Garnier, Einhundert Energie

Bildnachweis: © Einhundert Energie.

Es gibt nichts schönzureden: Als Teil der globalisierten Handelsökonomie stehen wir vor dem Scherbenhaufen unserer Wirtschaftspraktiken. Der Klimawandel bedroht unsere Existenz. Soziale Ungerechtigkeit hat zur gesellschaftlichen Spaltung und zu politischen Leadern wie Trump, Bolsonaro oder Orbán geführt. Und während sich die Lieferkettenkrise seit Corona verfestigt hat, führt uns die russische Führung aufs Schrecklichste vor Augen, wie weit wir in unseren globalen Wertschöpfungsketten von „ESG-Konformität“ entfernt sind. 

Es wird nicht mehr reichen, die Augen zu verschließen und zu warten, bis irgendwann wieder alles beim Alten ist. Wir erleben eine Zeitenwende. Und es ist deutlich zu spüren, dass grundlegende Veränderungen notwendig sind. Nachhaltiges Wirtschaften – mit Bezug auf Ökologie, Menschlichkeit und Zuverlässigkeit – ist spätestens jetzt zur existenziellen Aufgabe der Menschheit geworden. Es bleiben wenige Jahre, um die Wirtschaft substanziell nachhaltiger zu gestalten. Die Ressourcenintensität der Produkte muss drastisch reduziert werden. Konsumsteigernde Geschäftsmodelle müssen durch konsumreduzierende ersetzt und lokale, Closed Loop-Lieferketten etabliert werden. Zudem muss die Fotovoltaik- und Windkraftrevolution innerhalb von wenigen Jahren realisiert werden, um uns von fossilen Brennstoffen zu lösen. 

Wirtschaftsleistung und Klimaziele in Einklang bringen

Dieser Wandel ist für Deutschland besonders komplex. Wie kein zweites westliches Land profitieren wir vom Export ressourcenintensiver Industriegüter. Der Status quo ist gesellschaftlichem Wohlstand und wirtschaftlicher Stärke zu verdanken. Überfällige strukturelle Veränderungen werden deshalb immer wieder verschleppt. Zum Beispiel ist die sogenannte Energieproduktivität – also erreichtes BIP in Euro pro eingesetzter Einheit Endenergie – zwischen 2008 und 2020 jährlich nur um 1,4% gestiegen. Eine Steigerung jenseits der 2% wären laut Umweltbundesamt notwendig gewesen, um die Wirtschaftsleistung stärker in Einklang mit den Klimazielen zu bringen. 

Nachhaltige neue Generation

Eine große Chance liegt in der neuen Generation an Unternehmern, die von der Idee des Wandels angetrieben sind. Im Windschatten von Fridays for Future wagen immer mehr Talente den Weg in die Gründung nachhaltiger Unternehmen, und es folgen Leistungsträger, die sich nach einigen Jahren in etablierten Unternehmen die Sinnfrage stellen. Oft wechseln sie zu jungen Cleantech- oder Climatetechunternehmen. Eine Studie von StepStone Anfang 2021 ergab, dass fast jeder Zweite bei einem Jobwechsel gezielt nach nachhaltigen Unternehmen sucht und jeder Dritte dafür sogar weniger Gehalt in Kauf nehmen würde. 

Unternehmen an der Wende

Gerade mit Blick auf die Energiewende können nur neue Unternehmen die Treiber der Veränderung sein. Etablierte Energieversorger haben in ihren Bilanzen erhebliche Anlagevermögen, welche in einer nachhaltigen Wirtschaft an Wert verlieren: fossile Kraftwerke, kaum digitalisierte Energienetze, starre IT-Architekturen. Diese Faktenlage führt zwangsläufig dazu, dass etablierte Energieunternehmen als Late Adopter agieren. Die Sorge vor Stranded Assets ist schlicht zu groß. Es braucht also möglichst viele kompetente Unternehmer, die unvorbelastet eine klimaneutrale und nachhaltige Infrastruktur in den Massenmarkt bringen. Dazu gehören im Kontext der Energiewende etwa Fotovoltaik- und Windkraftanlagen, aber auch Systeme zur intelligenten Steuerung der Stromnetze oder Services für den Rollout effizienter Wärmepumpen.

Fazit

Doch wie viel unternehmerische Energie auch vorhanden ist – niemand kann zaubern. Entscheidend sind daher auch die politischen Rahmenbedingungen für den Wandel. Das gilt besonders für die Energiewende, aber auch für die Transition zur nachhaltigen Wirtschaft insgesamt. Es bleibt zu hoffen, dass wir gesellschaftlich und politisch aus den aktuellen Krisen genug Veränderungsbereitschaft ziehen, um einen neuen Rahmen zu setzen. Wir sind es unseren Kindern, Enkeln, den Ukrainern und auch anderen Opfern von Rohstoffkriegen schuldig.

Über den Autor:
Dr. Ernesto Garnier startete nach dem Studium als Berater der Boston Consulting Group, zwischenzeitlich promovierte er in Energieökonomik zu virtuellen Kraftwerken an der RWTH Aachen. 2017 gründete er Einhundert Energie, den digitalen Service-Partner für skalierbaren Mieterstrom, mit dem Ziel, den europäischen Gebäudebestand zu dekarbonisieren.