„Nice-to-have wird nicht mehr so hoch bewertet”

Interview mit Sylvia Tantzen
Interview mit Sylvia Tantzen

Ein Investment bedeutet immer, in Menschen und Visionen zu vertrauen. Wie solche Entscheidungen fallen, welche Branchen in Zukunft Investmentpotenzial haben und warum „Nice-to-have“ Ideen ihren Reiz verlieren, bespricht Business Angel und Investorin Sylvia Tantzen. Die Hamburgerin spricht außerdem über ihre neue Rolle als Co-Lead des Next Commerce Accelerators.

VC Magazin: Wie sind Sie mit STInvest gestartet?

Tantzen: 2021 faste ich den Entschluss, meine Anteile bei novomind zu verkaufen und meinen eigenen Weg zu gehen. So gründete ich STRealise und STInvest. Mit STInvest habe ich in der Zwischenzeit in vier Startups investiert. Zudem unterstütze ich in verschiedenen Unternehmen als Mentorin – immer mit dem Blick auf den Markt, Skalierung im Vertrieb / Marketing und Internationalisierung. Meine Expertise teile ich dabei auch als Jurorin für u.a. dem German Accelerator Pitch oder Female Founders Aperitivo in Hamburg. Gleichzeitig widme ich mich mit STRealise der Realisierung von Visionen, die dem persönlichen und geschäftlichen Wachstum helfen sollen. Dafür habe ich den Wunsch-Table eingeführt, bei dem zehn Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Branchen über ihre Vision sprechen und alle gemeinsam dabei helfen, konkrete Lösungsideen zur Erfüllung zu erarbeiten. Seit diesem Jahr bin ich außerdem Co-Lead bei Next Commerce Accelerator. Der NCA bringt bildet die Brücke zwischen Corporates und Startups von dieser beide profitieren – die Corporates an der Innovation und die Startups an der Erfahrung. Und das Ganze im Bereich Commerce – optimal für Hamburg als Handelsstadt.

VC Magazin: Was war der ausschlaggebende Punkt für Sie, in junge Unternehmen zu investieren?

Tantzen: 2021 habe ich mir nach 40 Jahren das erste Mal meine Lieblingsfrage selbst gestellt: „Was würdest du dir von einer Fee wünschen?“ Und hatte keine Antwort darauf. Daraus habe ich verschiedene Dinge geändert. Zum Beispiel meine Firma, die ich 15 Jahre mit aufgebaut habe, bei der ich ein gutes Team und eine tolle Position hatte, verlassen, um auf die Suche zu gehen.

Ein Freund berichtete mir davon, dass er viel mit jungen Gründerinnen und Gründern zu tun hat und es toll findet, dass die Menschen einen großen Wunsch, eine große Vision besitzen. Ich habe entschieden mich mit den Menschen zu umgeben in der Hoffnung, dass ich dadurch selbst meine eigene Vision finde. Dadurch entstand meine Tätigkeit als Business Angel, als Mentorin, als Organisatorin der Wunsch-Table und nun auch die Arbeit beim Accelerator.

VC Magazin: Wie gehen Sie gezielt bei möglichen Investment-Cases vor? 

Tantzen: Zuallererst steht der Mensch und sein Purpose im Vordergrund. Darauf aufbauend dann der Markt und das Umfeld. Ich finde es gut, wenn Wettbewerber existieren und glaube nicht daran, dass es den EINEN USP gibt. Nichts ist meiner Meinung nach schlimmer als einen Markt zu missionieren.
Zusätzlich dazu analysiere ich genauer, wie genau das Go-To-Market aussieht und ob es im Gründerteam jemanden gibt, der für den Markt, Vertrieb, das Marketing und die Kunden brennt. Ein tolles Produkt nützt nichts, wenn es niemand verkauft. Oft hole ich mir dann auch noch weitere Experten Meinung dazu. Da hilft mein Netzwerk zu anderen Business Angels.

VC Magazin: Welche Tipps würden Sie Gründer*innen mit auf den Weg geben? 

Tantzen: Für Menschen, die eine Vision vertreten und diese auch in einem Unternehmen umsetzen möchten, ist es wichtig, Expertise um sich zu scharen und sich einzugestehen, dass man nicht allein alles perfekt lösen kann. Daher würde ich folgende drei Tipps mit auf den Weg geben, um auch für Investoren anschließend Relevanz zu haben:

  • Vergiss niemals, warum Du die Firma gegründet hast, also deinen Purpose, und gib diesen an deine Mitarbeiter:innen weiter
  • Geh raus und rede mit so vielen Menschen wie möglich über dein Business und höre immer genau zu
  • Mach Dir klar, ob Du eher der Mensch für das Außen bist oder eher der Mensch für Prozesse und interne Strukturen. Beides ist wichtig. Im besten Fall kennst Du Deine Präferenz und hast eine Antwort darauf, wie Du mit der anderen umgehst

VC Magazin: Derzeit halten sich VCs und Investoren auf Grund der wirtschaftlichen Lage zurück. Teilen Sie diese abwartende Position?

Tantzen: In solch angespannten globalen Zeiten gibt es immer Themen und Branchen, die Potenzial zeigen und wo auch derzeit investiert wird. Ich habe angefangen mich mehr mit den Themen Ernährung, Health und Wasser zu beschäftigen. Das sind Themen, die immer wichtig sein werden und bei denen das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein besonders in Europa derzeit noch stärker wird.

VC Magazin: Welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Monaten in der Investmentbranche?

Tantzen: Wahrscheinlich werden die „nice to have“ Ideen nicht mehr ganz so hoch bewertet und die wirklich notwendigen Dinge wie bspw. Gesundheit umso wichtiger. Hier werden auch in den kommenden Monaten neue Unternehmen auftauchen, die ein enormes Wachstumspotenzial haben. Bei Unternehmen, die in den eher ruhigeren Zeiten vor zwei bis drei Jahren explodiert sind, wird es nun, wo der Fokus auch in der Gesellschaft sich gewandelt hat, Korrekturen geben. Weiterhin geht es meiner Meinung nach nicht mehr nur um schnelles und nicht nachhaltiges Wachstum. Das Thema Profit wird eine stärkere Rolle spielen – ggf. auch zu Kosten der Geschwindigkeit des Wachstums

VC Magazin: In ihrer Position bei dem Next Commerce Accelerator bringen sie Start Ups mit großen Corporates zusammen. Welche Vorteile bilden Accelerator sowohl für Coporates, die gemeinsam mit Ihnen investieren, als auch für die Start Ups?

Tantzen: Ich bin begeistert von der Arbeit des Next Commerce Accelerators. Gerade für Hamburg spielt das Thema Handel eine große bedeutende Rolle. Und das bringt der NCA zusammen. Neue Unternehmen profitieren von der Erfahrung der Corporates und die Corporates profitieren von den frischen Ideen und dem Spirit der Startups. Die Jungen laufen schneller, die Alten kennen die Abkürzung.

Der Vorteil für die Startups, die beim NCA dabei sind, ist ganz klar das Zusammenbringen mit den Corporates. Daraus können erste Pilotkunden resultieren, sie bekommen eine Product Market Fit Validation und eine Distribution Power. Corporates profitieren wiederum an der Innovation, an dem Closing von Capability Gaps und dem Access an neue Target Groups.

Über den NCA ist es möglich sowohl als Investor dabei zu sein, als auch nur als Partner. In beiden Fällen ist das Besondere für Corporates, dass jeweils ein individuelles Suchprofil gemeinsam besprochen wird, um passgenau nach Innovation und Startups zu suchen. Eine Innovation muss natürlich auch immer passend zum Problem gefunden werden, sonst nützt sie nichts.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Zum Interviewpartner:

Sylvia Tantzen begann 2018, im Anschluss an ihr BWL und Wirtschaftsinformatik-Studium, bei novomind in der Sales- und Projektleitung und stieg bis zur Gesellschafterin auf. Anschließend wurde sie Vorständin Vertrieb und Marketing und leitete bis 2021 gemeinsam mit den Vorstandskollegen ein Unternehmen mit mittlerweile über 500 Mitarbeitenden. Heute ist sie als Business Angel aktiv.