„Jeder Mensch muss herausfinden, wie sein Hirn funktioniert“

Interview mit Christian Redl, Weltrekordler im Freitauchen

Christian Redl, Weltrekordler im Freitauchen
Christian Redl, Weltrekordler im Freitauchen

Bildnachweis: (C) Martin Aigner.

Ein letzter Atemzug – und dann taucht er 71 Meter ins tiefdunkle Eiswasser. Bis er wieder einatmen kann, werden Minuten vergangen sein. Andere Menschen wären tot. Christian Redl aber hat sich als Apnoetaucher physisch und mental intensiv auf seine Weltrekorde vorbereitet. In zweiter Funktion trainiert er Menschen mental und physisch dafür, deutlich besser zu performen – neben Spitzensportlern auch Unternehmer, Gründer, Manager und Teams.

VC Magazin: Wie oft sind Sie dem Tod von der Schippe gesprungen?

Redl: Bisher war das Schlimmste, dass ich bewusstlos werde – eine Schutzmaßnahme des Körpers. Das ist viermal geschehen, immer bei Weltrekordversuchen. Da gehe ich an Grenzen, wenn etwas Unerwartetes passiert. Bei meinem letzten Rekordversuch, 71 Meter unter Eiswasser mit einem Atemzug zu tauchen – was in etwa 200 Metern im normalen Meer entspricht – hatte ich bei dem Seil, an dem entlang ich wieder hochtauchte, das Gefühl, dass ich kaum einen Meter nach oben komme. Im Nachhinein haben wir verstanden, dass das Seil aufgrund von ins Wasser drückendem Eis schräg stand. Unter Wasser hatte ich die Entscheidung getroffen, beim Hochtauchen die Flossen zu benutzen. Eine Fehlentscheidung: So habe ich mehr Muskeln benutzt und mehr Sauerstoff verbraucht. Kurz vor dem Auftauchen wurde ich bewusstlos. Dennoch fühle ich mich sicher, schließlich sind immer Sicherungstaucher und ein Arzt dabei.

VC Magazin: Wie hat Apnoetauchen Ihr Denken verändert?

Redl: In meiner Jugend habe ich problemorientiert gedacht, heute denke ich nur noch lösungsorientiert. Dazu ein Beispiel: Bei meinem Weltrekordversuch in Nepal in einem See auf über 5.000 Metern Höhe haben die meisten Ärzte gesagt, das wird nicht funktionieren, ich werde sterben. Ich aber habe lösungsorientiert weitergesucht und einen Arzt gefunden, der hat gesagt: „Das ist eine coole Idee, aber nicht machbar.“ Das „nicht“ habe ich überhört und wollte stattdessen wissen, was medizinisch genau die Probleme sind. Klar gibt es in der Höhenluft wenig Sauerstoff, eine geringe Temperatur et cetera. Also habe ich ihn gefragt, ob jemand schon Lösungen für diese Themen erarbeitet hat. Leider hat er nichts gefunden. Also habe ich gesagt: Super, dann sind wir die Ersten, die das angehen. Wir müssen analysieren, wie sich die Höhe auswirkt und wie ich dem vorbeugen kann. Also habe ich mein Training komplett umgestellt, eine neue Atemtechnik entwickelt. Das Ergebnis war der Weltrekord. Viele Menschen sollten lösungsorientiert denken und handeln – dann finden wir für jedes Problem eine Lösung, von den großen Themen wie Klima bis hin zu den kleinen Problemen.

VC Magazin: Wie trainieren Sie Gründer, Unternehmer oder andere?

Redl: Viele Manager unterschätzen, was man über den Kopf erreichen kann. Beim ersten Tauchen – meist im Pool – sage ich ihnen: „Taucht, bis ihr glaubt, ihr müsst sterben, dann erst taucht auf. Diese Zeit, ob 30 Sekunden oder zwei Minuten, verdopple ich in der ersten Trainingsstunde. Nach einer Stunde haben es alle meiner 10.000 Schüler geschafft. Das liegt vor allem an der Arbeit mit falschen Mustern, Denkweisen. Ich zum Beispiel funktioniere besser, wenn ich mental nicht 100, sondern viermal 25 Meter tauche. Das klingt für mich leichter. Jeder Mensch muss herausfinden, wie sein Hirn funktioniert. Es
geht um individuell funktionierende mentale Vorgehensweisen. Viele in meinem Sport tauchen im Training über die Rekordmarke hinaus, das gibt ihnen einen Sicherheitspuffer für den Rekordversuch. Ich habe das einmal so gemacht und bin bewusstlos geworden. Seitdem höre ich beim Training immer bei 95% auf. Beim Rekordversuch weiß ich, ich muss diesmal etwas tun, was ich zuvor nie getan habe. Dieses Vorgehen hilft mir, viel fokussierter und konzentrierter zu agieren. Auch Gründer oder Manager profitieren stark vom Verständnis, wie sie bei Herausforderungen mental besser funktionieren.

VC Magazin: Wie arbeiten Sie mit Gründern oder Managern an der mentalen Klarheit?

Redl: Mehr zu erreichen liegt im Naturell dieser Persönlichkeiten, aber kaum einer glaubt an eine 100%-Steigerung der Atemanhaltefähigkeit nach einer Stunde. Mit meinen mentalen und physischen Techniken geht das. Das wiederum bewirkt viel für den Berufsalltag. Menschen lernen, Stress und Angst wegzuatmen, sie lernen, die Konzentrationsfähigkeit zu erhöhen, die Erholungszeit nach einem Stress deutlich zu verkürzen. Das Zweite, was ich ihnen zeige, ist für diesen Menschentypus wichtig: Weniger ist oft mehr; je entspannter man ist, desto besser ist die Performance. Oft sind gerade die leistungsorientierten Menschen zu verkrampft, die Muskulatur ist angespannt, der Körper verbraucht mehr Sauerstoff. Das Dritte sind mentale Techniken wie Ablenkung, mit denen man über den eintretenden Atemreiz und den damit verbundenen Schmerz hinausgeht, um noch länger unter Wasser bleiben zu können. Diese Erfahrung hilft im Berufsleben, über sich hinauszuwachsen.

VC Magazin: Und wie hilft es Gründern oder Managern für Entscheidungen?

Redl: Man lernt im Training viel über sich selbst, wie man Entscheidungen trifft. All das passiert im Kopf. Es gibt nur Entscheidungen, die Bewertung dazu nehmen wir selbst vor. Wenn man die tieferen Zusammenhänge des Bewertens erkennt, wird man angstbefreiter, macht sich weniger Sorgen, die Komfortzone wird viel größer. Für Gründer, Unternehmer, Manager, aber auch für Teams ist das wertvoll.

VC Magazin: Wie kann man die Performance von Teams erhöhen?

Redl: Ich habe zum Beispiel ein Teambuilding zwischen Innen- und Außendienst durchgeführt, wo die Kommunikation schwierig sein kann. Im Training haben wir immer einen Innen- und einen Außendienstmitarbeiter als Duo zum Tauchen geschickt. Da gibt man sinnbildlich sein Leben in die Hand des anderen, auch wenn wir nicht in dem Maße an die Grenzen gehen. Einer passt auf, der andere taucht; dann wird getauscht. Das schweißt zusammen. Das Ziel ist, sich selbst zu erkennen, die Funktionsweise seines Hirns und die Muster im Team zu verstehen und positiv zu verändern. Wenn man die Luft anhält, erkennt man, welche Gedanken man hat: Kann ich mich auf schöne Dinge fokussieren oder kommt permanent Negatives? Mit der Zeit kann man Atmung und den Umgang mit Gedanken kontrollieren, sind sie teamorientiert oder nicht. Klar hat man nicht nur positive Gedanken. Kommt ein negativer Gedanke wie „Das ist blöd, hier ich tauche jetzt auf“, sage ich, okay, negativer Gedanke, ich konzentriere mich wieder auf meine schönen Gedanken. Der Kopf ist rund, damit wir in beide Richtungen denken können. Derlei Erfahrungen beim Tauchen muss man selbst machen, dann beginnt Wachstum. Man begibt sich beim Tauchen an Grenzbereiche, also den Rand davon, aber überschreitet sie nicht. Je öfter man die Komfortzone verlässt, desto größer wird sie, desto entspannter wird das Leben – auch für Gründer, Manager und Unternehmer und deren Teams.

VC Magazin: Bekommen Sie die Rückmeldung, was sich bei Managern,
Gründern et cetera verändert hat?

Redl: Nach dem Workshop ist das Selbstvertrauen enorm gestärkt. Die meisten geben das Feedback, dass sie die Dinge viel bewusster, mit mehr Selbstvertrauen angehen, mehr die Lösungswege bei Problemen beschreiten und Negatives viel leichter loslassen. Die Menschen haben ein verstärktes Feingefühl für Körper und Kopf bekommen. Je länger man Luftanhalten im Wasser betreibt, desto besser kann man seine Energie in gewünschte Richtungen lenken. In der Folge traut man sich mehr zu. Venture ist ja der Wagemut, dafür hilft es.

VC Magazin: Haben Sie Menschen schon auf eine Investmentrunde
vorbereitet?

Redl: Man kann gut Parallelen vom Sport auf Seed-Runden oder Vertragsverhandlungen ziehen, muss aber differenzieren. Beim Fußball kann man sich jede Woche beweisen. Beim abschließenden Investorenmeeting gibt es gegebenenfalls nur einen Versuch, eher so wie bei meinen Weltrekordversuchen – entweder man schafft es oder nicht. Für solche Situationen kann man von Extremsportlern womöglich mehr lernen als von Breitensportlern. Beim Extremsport geht man bewusst an seine Grenzen, erkennt seine Muster, wie man reagiert, und auch, wie andere im Umfeld reagieren. Das ist eine wertvolle Erfahrung auch fürs Business, zum Beispiel habe ich Menschen so die Angst vor wichtigen Auftritten genommen und sie darauf vorbereitet.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.