Völlig losgelöst von der Erde

Spacetech im Trend

Rainer Horn, Spacetec Partners, Thomas Grübler, Orora Tech (oben v.l.), Jörn Spurmann, Rocket Factory, Thomas Oehl, VSquared (unten v.l.)
Rainer Horn, Spacetec Partners, Thomas Grübler, Orora Tech (oben v.l.), Jörn Spurmann, Rocket Factory, Thomas Oehl, VSquared (unten v.l.)

Bildnachweis: (c) Spacetec Partners/Orora Tech/Rocket Factory/VSquared .

Knapp 17 Mrd. EUR für Weltraumtechnologie in den kommenden drei Jahren – das war eines der wichtigsten Ergebnisse der ESA-Ministerkonferenz in Paris am 22. und 23. November 2022. Das ist zwar kein „Doppelwumms“, aber durchaus eine ordentliche Steigerung gegenüber früheren Budgets. Wir haben mit Akteuren der Spacetechbranche darüber gesprochen, wie sie die aktuelle Lage und die Zukunft einschätzen.

Das Budget der ESA bis zum Jahr 2025 steigt um mehr als 2 Mrd. auf 16,93 Mrd. EUR. Die Erhöhung liegt ungefähr im Rahmen der letzten beiden Budgetperioden – zugleich aber auch über der Inflationsrate der vergangenen Jahre. Damit zeigt sich das Vorhaben der ESA-Mitgliedstaaten, die Entwicklung der Weltraumtechnologie stärker zu fördern. „Ob Ukrainekrieg, Energie- oder Klimakrise: Raumfahrt leistet zur Lösung dieser globalen Herausforderungen wichtige strategische Beiträge“, erklärt dazu Dr. Anna Christmann, Koordinatorin der Bundesregierung für die Luft- und Raumfahrt. Als besonders wichtig hebt sie dabei hervor, dass nun mehr Wettbewerb bei Trägerraketen herrscht: „Im Ergebnis können die privaten Anbieter von Mini- und Micro-Launchern zukünftig an den ESA-Ausschreibungen teilnehmen. Das ist ein Paradigmenwechsel, mit dem wir New Space und privaten Aktivitäten neuen Schub verleihen.“

Große Bedeutung von Spacetech

Die Anhebung der Budgetmittel und im Speziellen die erweiterten Mittel für Mini- und Micro-Launcher können also auch eine gute Nachricht für den deutschen Spacetechsektor sein. So sieht es auch Jörn Spurmann, Mitgründer und Chief Commercial Officer beim Augsburger Unternehmen Rocket Factory: „Das zeigt einfach die Wichtigkeit des Themas Raumfahrt und seine strategische Bedeutung. Das Programm für kommerzielle Transportdienstleistungen privatfinanzierter Kleinträger wurde vielfach höher gezeichnet als bei der letzten Ministerkonferenz. Das ist ein klarer Fingerzeig, dass die ESA sich für kommerzielle Player öffnet und der Weg zur Kommerzialisierung des Space Transportation-Sektors eingeschlagen wird. Das ist der richtige Weg, um global wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Kapazitäten dringend benötigt

Rocket Factory selbst steht vor einem wichtigen Test der mittleren Stufe seiner dreistufigen Rakete. Die Testkampagne soll in den kommenden Wochen starten, dann noch auf einem Gelände in Schweden. Zukünftig wird Rocket Factory auf Einrichtungen der DLR in der Nähe von Heilbronn zugreifen können. Den ersten Start seiner Rakete plant das Augsburger Unternehmen für Ende 2023. Inzwischen konnten bereits über zehn Kunden gewonnen werden für den Transport von Satelliten ins All mit einem geschätzten Auftragsvolumen von 30 Mio. EUR. Diese Kapazitäten werden aktuell auch dringend benötigt, denn in Europa bestehen aktuell keine mehr. Die letzten Flüge der Trägerrakete Ariane 5 sind komplett ausgebucht – danach läuft das Programm aus. Zugleich verzögert sich das Nachfolgemodell Ariane 6 weiter. Nachdem russische Systeme wegen des Ukrainekriegs nicht mehr zur Verfügung stehen, bleiben nur Systeme aus den USA. Höchste Zeit also für Europa, hier wieder für eine eigene funktionierende Infrastruktur zu sorgen. „Wir brauchen in Europa eigene zuverlässige, flexible und kostengünstige Systeme, um in den Orbit zu kommen“, sagt Spurmann.

OroraTech startet bald den ersten Satelliten

Entsprechenden Bedarf hat zum Beispiel auch die OroraTech GmbH aus München: „Im Mai startet unser erster kommerziell nutzbarer Satellit. Aufgrund der guten Daten unseres ersten Prototyps sind die Kapazitäten dieses Exemplars schon bald ausgebucht. Das ist ein gutes Signal vom Markt zu unserem Angebot“, erklärt dazu Gründer und CEO Thomas Grübler. Das Unternehmen hat eine Software entwickelt, die eine Früherkennung und Monitoring von Waldbränden ermöglicht und auch in anderen Bereichen wie Urban Heat und Infrastrukturüberwachung im Energiesektor einsetzbar ist. Eine ausgeklügelte Wärmebildkamera im Orbit sorgt für die notwendigen Bilddaten. Mitte 2024 sollen insgesamt acht Satelliten mit Wärmebildkameras gestartet werden. Derzeit laufen die Gespräche für eine weitere Finanzierungsrunde. Insgesamt habe die deutsche Spacetechbranche sehr viel Potenzial. „Wir sind heute inmitten eines Umbruchs. Satelliten wurden so günstig, dass sie bodengestützte Technik, Drohnen, Flugzeugbeobachtung nahezu ersetzen können.” Ein markantes Beispiel sei das Internet Provider-System Starlink, das kostengünstig für eine Highspeed-Internet-Versorgung in der Fläche sorgen kann.

Sonderkonjunktur bei Weltraumtechnologie

Vor wenigen Wochen endete in Bremen die Branchenleitmesse Space Tech Expo Europe. Grübler und Spurmann spürten hier eine gute Stimmung, denn der Sektor sei im Prinzip seit vielen Jahren in einem Aufschwung. Ähnlich äußert sich auch Rainer Horn, Geschäftsführer des Branchenberatungsunternehmens SpaceTec Partners aus München: „Wir haben mindestens seit fünf Jahren eine Sonderkonjunktur, denn bei Klima- und Umweltschutz bietet gerade die Weltraumtechnologie neuartige Möglichkeiten.“ Einen weiteren Schub gebe es nun dadurch, dass sich die EU und ESA zu verstärkten Aktivitäten entschlossen haben, um in Europa eigene Systeme im Bereich von Navigation, Kommunikation und IT-Security aufzubauen. Die Abhängigkeit von anderen Nationen wie den USA, China oder Russland solle schnell verringert werden. Als besonders wichtig für Gründer und Investoren wertet Horn neue Programme wie „Cassini“ der EU und „Scale-Up“ der ESA. Damit sollen insbesondere kommerzielle Angebote und der Zugang zu technisch-fachlicher Expertise sowie Acceleratoren gefördert werden. Insgesamt konstatiert Horn eine zunehmend symbiotische Zusammenarbeit zwischen Institutionen, Wissenschaft, jungen Unternehmen, der Industrie und privaten Kapitalgebern. So werde eine schnellere Entwicklung neuer Technologien und innovativer Geschäftsmodelle ermöglicht.

Es könnte mehr gehen in Europa

Ein lachendes und ein weinendes Auge beim Blick in die Zukunft hat Thomas Oehl, einer der Gründungspartner des Early Stage Investors Vsquared Ventures aus München: „Es könnte sicher noch mehr gehen in Europa. Im Vergleich zu den USA hinken wir leider immer noch stark hinterher.“ Vsquared ist unter anderem an den Spacetech-Start-ups Isar Aerospace, The Exploration Company, Constellr und Morpheus Space beteiligt. Oehl sieht eine gute Entwicklung in Europa, denn hier finde sich gerade ein agiler Markt, und er rechnet mit dem Aufbau einer großen Industrie in den kommenden Jahren: „Wir bemerken ein deutlich offeneres Ökosystem, und das sorgt für viel Dynamik.“ Zum Optimismus passt auch, dass ein neuer Frühphasenfonds mit einem Volumen von 165 Mio. EUR aufgelegt wurde. „Das ist nun unser dritter Early Stage-Fonds. Geld kommt unter anderem vom Europäischen Investitionsfonds sowie von Family Offices und anderen Gründern“, erklärt Oehl. Seit der Gründung im Jahr 2016 wurden nun fünf Fonds aufgelegt mit einem Gesamtvolumen von 400 Mio. EUR, zudem erfolgten bislang 30 Unternehmensbeteiligungen.