„Allein das Risiko einer Besteuerung ohne vorherigen Liquiditätszufluss schreckt ab“

Interview mit Magdalena Oehl, Startup-Verband & Talentrocket

Magdalena Oehl, Startup-Verband
Magdalena Oehl, Startup-Verband

Bildnachweis: Startup-Verband.

Anfang Januar wurden Eckpunkte aus einem internen Papier des Bundesfinanzministeriums zur Neugestaltung der Mitarbeiterbeteiligung (ESOP) bekannt. Am 18. Januar stand das Thema auf der Agenda des Bundestages im Rahmen der Beratung der Start-up-Strategie. Nun beraten die Ausschüsse.

VC Magazin: Berichten zufolge ging es im Eckpunktepapier unter anderem um die Entschärfung einer Dry Income-Problematik, die Besteuerung soll erst nach 20 Jahren greifen beziehungsweise bei Haftungsübernahme des Arbeitgebers vermieden werden. Wie bewerten Sie den neuen Ansatz bei diesem strittigen Thema?

Oehl: Start-ups brauchen ESOP zur Gewinnung und Bindung von Talenten, gegenüber etablierten Unternehmen und Mittelstand sind sie beim Hiring im Nachteil. Aktuell sind die Rahmenbedingungen aber nicht wettbewerbsfähig: Deutschland liegt europaweit auf dem letzten Platz. Das schwächt den deutschen Start-up-Standort. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Die Dry Income-Besteuerung anzupacken ist die richtige Stellschraube – denn allein das Risiko einer Besteuerung ohne vorherigen Liquiditätszufluss schreckt ab und steht einer Anwendung der Regelungen in der Praxis entgegen. Mithilfe einer Haftungsübernahme des Arbeitgebers diese Dry Income-Besteuerung zu verhindern ist angesichts der Sorge um etwaige Steuermindereinnahmen ein sinnvoller Vorschlag von Christian Lindner und seinem Finanzministerium.

VC Magazin: Auch ist eine erneute Erhöhung des steuerlichen Freibetrags von 1.440 auf 5.000 EUR vorgesehen. Ein deutlicher Sprung im Vergleich zum Fondsstandortgesetz, als von 360 EUR auf den aktuellen Betrag angehoben wurde – ein Schritt, den Ihr Verband damals als Scheingefecht bezeichnete. Wie ordnen Sie die im Eckpunktepapier erwähnte Summe ein?

Oehl: Für Start-ups ist ein jährlicher Steuerfreibetrag nicht relevant – das geht an den Bedürfnissen vorbei. Bei etablierten Unternehmen können beteiligte Mitarbeitende von jährlichen Ausschüttungen profitieren – bei Start-ups dagegen geht es um ein einmaliges finanzielles Ereignis im Falle eines IPOs oder Verkaufs. Auf regelmäßige Ausschüttungen ausgerichtete jährliche Steuerfreibeträge haben daher keine positiven Effekte für Start-ups und deren Mitarbeitende.

VC Magazin: Neben den Anpassungen soll auch der Anwendungsbereich ausgeweitet werden und künftig größere Start-ups mit einer Umsatzschwelle von 100 Mio. statt bisher 50 Mio. EUR sowie mit bis zu 500 Mitarbeitern berücksichtigen. Sind Sie mit dem Entwurf zufrieden oder haben Sie Verbesserungsvorschläge?

Oehl: Wir werben seit Jahren dafür, dass auch Scale-ups die ESOP-Regelungen nutzen können – denn eine enge Begrenzung führt dazu, dass erfolgreiche Start-ups faktisch bestraft werden. Wenn wir wirklich neue Tech Champions made in Deutschland wollen, dürfen wir nicht auf der Hälfte des Weges aufhören, sie zu stärken. Die neuen Vorschläge, inklusive einer Übergangsregel von sieben Jahren, halten wir für angemessen. Einschränkungen im weiteren Verfahren sollte es nicht geben.

VC Magazin: Das Thema Mitarbeiterbeteiligung geht regelmäßig mit der Fachkräftediskussion einher. Hierzu haben Bundesinnen- und das Bundesarbeitsministerium neue Entwürfe zur Fachkräfteeinwanderung vorgelegt, wonach die Zuwanderung aus Drittstaaten künftig unbürokratischer ablaufen soll. Stichwörter sind eine Chancenkarte und der Verzicht auf Deutschkenntnisse bei ITlern. Sie haben mit Ihrem Start-up selbst bereits langwierige Prozesse auf der Suche nach ITlern und negative Erfahrungen mit der Bürokratie erlebt. Wird der neue Beschluss wirklich Chancen eröffnen?

Oehl: Die geplanten Änderungen lesen sich positiv und könnten zu einer beschleunigten und vereinfachten Fachkräfteeinwanderung für alle Branchen führen. Aktuell sind die Visaprozesse zu langsam und nicht auf der Höhe der technischen Möglichkeiten – das Auswärtige Amt arbeitet an deren Neuordnung und Digitalisierung. In Ausländerbehörden und Botschaften erleben wir häufig digitale Steinzeit und keine konsequent digitalisierten Vorgänge – es muss schleunigst daran gearbeitet werden, diesen Rückstand aufzuholen. Wir verlieren im Recruiting kostbare Zeit. Positiv ist, dass die Ausnahmeregelung für IT-Fachkräfte bei dem Spracherfordernis Deutsch auch auf weitere Bereiche ausgeweitet wird, denn in vielen Start-ups wird Englisch gesprochen.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Interviewpartnerin:

Magdalena Oehl ist seit Dezember 2021 Mitglied im Vorstand des Startup-Verbandes sowie CEO und Gründerin der Münchner HR-Tech-Company TalentRocket, einer intelligenten Jobplattform im Bereich HR-Tech.