CO2-Reduktion als Innovationstreiber

Foodtechbranche entwickelt sich

Michael Goblirsch, Square One Foods & Marie Fabiunke, Food Labs & Philip Stark, Oyster Bay
Michael Goblirsch, Square One Foods & Marie Fabiunke, Food Labs & Philip Stark, Oyster Bay

Bildnachweis: Square One Foods, Food Labs, Oyster Bay.

Lust, mal etwas Neues zu probieren? Gerade erst hat die EU zugestimmt, dass
weitere Sorten von gemahlenen Insekten verschiedenen Lebensmitteln zugesetzt
werden dürfen. Der Markt für moderne Lebensmittel ist unverändert stark in Bewegung – und das nicht erst seit dem Durchbruch von Beyond Meat. Die Branche
ist weiter im Wandel, und wir haben Experten nach den Aussichten gefragt.

Wenige Tage nach dem Ende von „Veganuary“ – also dem veganen Januar – schlägt die Lage der Weltwirtschaft einigen Herstellern von vegetarischen oder veganen Lebensmitteln kräftig auf den Magen. Der schwedische Hafermilchhersteller Oatly dampfte seinen Börsenwert seit IPO im Jahr 2021 um mehr als 80% ein. Nicht viel besser erging es Beyond Meat. Und in Deutschland kämpfen Bio-Supermärkte und Reformhäuser gegen Kaufzurückhaltung – erste Pleiten gab es bereits. Herrscht also Krisenstimmung im Lebensmittelmarkt?

Lebensmittelproduktion verursacht hohe Emissionen

Eher nicht, denn „der Lebensmittelmarkt ist seit den letzten Jahren im Umbruch. Die Ernährungsgewohnheiten ändern sich, denn es gibt weniger Fleischkonsum und mehr pflanzliche Ernährung. Zudem ändern sich die Vertriebskanäle durch neue Player“, sagt Michael Goblirsch, Partner bei Square One Foods. Der österreichische Food- und Foodtech-Venture Capital-Investor ist seit 2018 am Markt aktiv. Durch Inflation und die kriegsbedingte Unsicherheit seien Konsumenten zwar teilweise auf günstigere Anbieter umgeschwenkt – das ändere nichts an dem langfristigen Trend zu persönlicher Optimierung und zu gesunder Ernährung. Zugleich werde Verbrauchern immer bewusster, welche Auswirkungen ihr Konsumverhalten auf das Weltklima hat: „Je nach Schätzung oder Datenquelle ist die Lebensmittelproduktion für rund ein Drittel der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Der größte Hebel ist dabei die Reduktion von Fleisch- und Milchprodukten zugunsten eines höheren Konsums von pflanzlichen Lebensmitteln“, erklärt Goblirsch weiter.

Negativer CO2-Abdruck möglich

Es gibt seiner Meinung nach auch einige wenige Unternehmen, die einen negativen CO2-Abdruck haben und dadurch besonders interessant sind: „Unser Beteiligungsunternehmen Arkeon produziert Protein mittels Gasfermentation und verbraucht in diesem Prozess das schädliche Klimagas.“ Seit dem Start von Square One Foods wurde in 14 Portfoliounternehmen investiert. In der nahen Zukunft sollen noch stärker nachhaltige Food Start-ups und innovative Foodtechlösungen in den Fokus genommen werden. „Wir wollen gemeinsam mit unseren Portfoliofirmen im Lebensmittelmarkt und für die Endkonsumenten etwas zum Guten verändern“, kündigt Goblirsch an. Weitere Beteiligungen aus dem Portfolio sind unter anderem der Bio-Fertiggerichte-Hersteller Löwenanteil und der Bio-Ingweressenz-Produzent Gimber. Er geht davon aus, dass die Makrotrends weiter bestehen bleiben und Foodtech-Start-ups daher weiterhin ausgezeichnete Erfolgschancen haben.

Ökosystem für Foodtech entwickelt sich weiter

Philip Stark, Principal beim Hamburger Wagnisinvestor Oyster Bay, zufolge hat sich die Investorenlandschaft für Foodtech in den letzten Jahren stark entwickelt. Während es vor wenigen Jahren für Start-ups aus dem Umfeld noch schwierig gewesen sei, geeignete Investoren zu finden, hätten sich gerade in Europa einige dedizierte Food-Venture Capitalisten entwickelt. Aber: „Insgesamt betrachtet steht dem Foodtechbereich immer noch viel zu wenig Risikokapital zur Verfügung, insbesondere die Later Stage-Phase ist hiervon stark betroffen.“ Wobei viele Start-ups in Europa mit fehlendem Kapital für größere Finanzierungsrunden zu kämpfen haben. Hier liegt der angelsächsische Raum immer noch vorn.

Geschmack überzeugt Verbraucher

Als gute Nachricht wertet Stark, dass sich auch das Foodtechökosystem kontinuierlich weiterentwickelt. Universitäten, Inkubatoren sowie frühphasige Investoren seien zunehmend in dem Bereich engagiert. Ähnlich wie Goblirsch sieht auch Stark ein Problem für die Lebensmittelindustrie durch die zunehmende Inflation. Produkte mit Preisen im oberen Segment hätten unter diesen Bedingungen potenziell weniger Konjunktur. Aber Stark hat auch einen Lösungsvorschlag: „Oftmals lässt sich erkennen, dass modernen Lebensmitteln das Differenzierungsmerkmal fehlt. Dies fällt insbesondere bei alternativen Fleischersatzprodukten auf. Letztlich überzeugen alle innovativen Produkte insbesondere durch ihren Geschmack. Ein Dreiklang aus Preis, Textur und Geschmack sorgt für eine gute Nachfrage.“

Lösungen entlang der Wertschöpfungskette identifizieren

Um zu einer Reduzierung von schädlichen Klimafaktoren beizutragen, ist laut Stark auch ein großer Beitrag der Landwirtschaft erforderlich. Mögliche Ansatzpunkte sieht er bei pflanzlichen Proteinquellen als Ersatz für Fisch- und Fleischprodukte, bei innovativen Methoden zur Herstellung von Molkereiprodukten („precision fermentation“) und bei einer besseren Analyse der Ackerbodenqualität, um den optimalen Nährstoffbedarf zu ermitteln. Zudem sei es auch wichtig, die komplette Wertschöpfungskette im Foodbereich zu überwachen, um unnötige Abfälle und sonstige Verschwendung zu vermeiden. Der Hamburger Venture Capitalist Oyster Bay investiert unter Leitung von Founding Partner Christoph Miller seit 2018 in europäische Food- und Agtech-Start-ups entlang der gesamten Food-Wertschöpfungskette. Beteiligungen waren dabei unter anderem die bekannten Marken Oatly und Air Up. Es erfolgten auch Investments in Start-ups für alternative Proteine wie La Vie oder Hooked sowie in die Bereiche Robotics und Agtech mit den Unternehmen GoodBytz und Stenon. Ein weiterer Investmentfonds im dreistelligen Millionenbereich wird nach Aussage von Oyster Bay-Manager Stark im zweiten Quartal 2023 gestartet.

Viel Regulatorik in Europa

Auf eine andere Herausforderung im Bereich von Foodtech macht Marie Fabiunke, Operating Partner bei FoodLabs, aufmerksam: „Für den Launch ihrer Produkte bevorzugen viele europäische Foodtechunternehmen die USA oder Singapur für den Markteintritt, da das regulatorische Umfeld dort weniger komplex und anspruchsvoll als in Europa ist.“ Trotzdem seien die Bedingungen in Europa hervorragend in diesem Sektor, denn naturwissenschaftliches und technisches Talent, exzellente Universitäten sowie Forschungseinrichtungen und Unternehmergeist seien ausreichend vorhanden. „Wir sehen die große Möglichkeit, dass sich Europa als ‚Hub‘ und Zentrum für Foodtech und als globaler Innovationstreiber etabliert“, fährt sie fort.

Neuen Fonds auflegen

Beim Blick in die Zukunft sieht Fabiunke weiterhin „Fermentation Farming“, also Fermentationstechnologien für die Produktion alternativer Proteine, auch myzeliumbasierte Ansätze, ebenso „picks & shovels“ (Infrastruktur für die Herstellung innovativer Foodprodukte) als vielversprechende Ansätze. Spannend seien zudem der Bereich Agritech sowie biotechnologiebasierte Ansätze im Bereich Düngemittel und Bodengesundheit. Hier könnten weitere Fortschritte erzielt werden, um die Belastung der Umwelt durch die Nahrungsmittelproduktion zu verringern. Seit seiner Gründung im Jahr 2016 hat FoodLabs in über 50 Start-ups investiert. Zu den Beteiligungen gehörten dabei Unternehmen wie Infarm, Meatable, Mushlabs und Formo. Im Jahr 2021 wurde dann ein 100-Mio.-EUR-Fonds aufgelegt, um weiter in Foodtech-Gründerteams aus ganz Europa investieren zu können. Im „FoodLabs-Studio“ werden gemeinsam mit zukünftigen Gründern Foodtech-Geschäftsmodelle entwickelt – zunehmend auch mit naturwissenschaftlichen Gründerteams. Und mit der „Founders for Climate-Initiative“ sollen vor allem technische und naturwissenschaftliche Experten angesprochen werden, die ein Climatetech-Start-up gründen möchten.