„Wer sucht, der findet“

Interview mit Tijen Onaran, Business Angel und Unternehmerin

Tijen Onaran, Business Angel, (c) Daniel Sommer
Tijen Onaran, Business Angel, (c) Daniel Sommer

Bildnachweis: Daniel Sommer.

Tijen Onaran setzt sich als Frau mit „Migrationsvordergrund“ – wie sie selbst sagt – für mehr Diversität in der Wirtschaft ein. Als Business Angel investiert sie in von Frauen gegründete Start-ups und berät Unternehmen unter anderem bei diesem Thema.

VC Magazin: Wie „angekommen“ sehen Sie das Thema Diversität in der Venture Capital-Branche?

Onaran: Die Szene hat kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem, was Diversität betrifft. Ich beobachte durchaus, dass immer mehr Venture Capitalisten das Thema auf dem Zettel haben, aber es sollte das Motto gelten: „Actions speak louder than words“! Hier sehe ich noch viel Nachholbedarf. Es fängt damit an, dass auf Partnerebene bei den Venture Capital-Gesellschaften mehr Vielfalt herrschen muss, denn Vielfalt zieht Vielfalt an! Zudem bin ich der festen Überzeugung, dass eine selbst auferlegte Quote den Wagniskapitalgebern helfen würde, den Worten Taten folgen zu lassen. Es ist traurig genug, dass es Elemente wie die Quote braucht, aber ohne scheint es nicht zu funktionieren.

VC Magazin: Viele denken bei Diversität an Frauenquote, dabei gehört wesentlich mehr dazu. Wie kann diese Vielfalt mehr in der Branche verankert werden?

Onaran: Es würde helfen, wenn bei der Rekrutierungsstrategie nicht das Prinzip gelten würde: Gleich und gleich gesellt sich gerne. Wenn ich mehr Vielfalt als Venture Capitalistin erreichen möchte, muss ich dahin, wo Vielfalt ist. Das bedeutet konkret, nicht immer an denselben (Elite-)Universitäten zu rekrutieren, sondern auch hier vielfältiger unterwegs zu sein. Ich bin der festen Überzeugung, dass gerade die Investmentbranche für Menschen mit einer bestimmten sozialen Herkunft ein spannendes Berufsfeld ist, da diese Lust auf Aufstieg haben.

VC Magazin: Venture Capitalisten sagen immer wieder, sie finden keine weiblichen Führungskräfte für ihre Positionen. Was würden Sie antworten?

Onaran: Wer sucht, der findet. „Ich finde keine Frauen“ ist kein Argument, es ist eine Ausrede. Selbstverständlich ist es in einer männlich geprägten Branche durchaus schwieriger, Frauen zu finden, aber es ist eben nicht unmöglich. Gerade heute bieten die sozialen Medien eine gute Möglichkeit, Aufrufe zu starten oder auch mit Netzwerken zusammenzuarbeiten, die eine diverse Zielgruppe ansprechen. Nicht umsonst habe ich vor einigen Jahren mein Unternehmen Global Digital Women gegründet, um genau der Herausforderung entgegenzutreten, dass es weniger Frauen in Führungspositionen gibt. Wir organisieren für Unternehmen Veranstaltungen und bringen die Zielgruppe zusammen, die sie sonst nie erreichen würden. Als Venture Capitalistin oder eben als Führungsriege in einem Unternehmen muss ich heute im Hinterkopf behalten, dass die Gäste nicht mehr auf meine Party kommen – ich muss dahin, wo die Party stattfindet! Bedeutet: Talente haben heute alle Möglichkeiten der Welt; ich muss mich als Unternehmen Überso positionieren, dass die Menschen zu mir kommen wollen. Dazu zählt eben auch, dass ich, wenn ich Diversität möchte, dahin gehen muss, wo ich auch Diversität finde!

VC Magazin: Gerade im Start-up-Umfeld sind die Mitarbeitenden im Durchschnitt regelmäßig jung. Oftmals wird der Mehrwert erfahrener Mitarbeiter außer Acht gelassen. Was empfehlen Sie bei der Mitarbeiterauswahl?

Onaran: Dass ich jung bin, heißt noch lange nicht, dass ich digital bin. Umgekehrt bedeutet es auch nicht, dass ich mit der „neuen“ Welt des Digitalen nichts anfangen kann, wenn ich erfahrener bin. Ich empfehle, die eigenen Vorurteile zunächst zu hinterfragen und bei Auswahlverfahren darauf zu achten, dass es im besten Fall ein Auswahlkomitee gibt, welches aus verschiedenen Köpfen und damit auch Generationen besteht. So besteht weniger die Gefahr, dass ich mich auf den Kandidaten festlege, der mir am nächsten ist.

VC Magazin: Als Gründerin Ihrer Diversitätsberatung haben Sie selbst Erfahrung im Gründen als Frau. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Onaran: Vor fünf Jahren habe ich zunächst Global Digital Women gegründet, ein Unternehmen, das sich auf Female Empowerment-Veranstaltungen und -Kampagnen fokussiert. Wenn Unternehmen also weibliche Talente suchen, kommen die Unternehmen zu uns. Zudem habe ich vor etwas mehr als zwei Jahren meine Diversitätsberatung ACI Consulting ins Leben gerufen. Hier beraten wir Unternehmen in allen Diversitätsdimensionen. Vor fünf Jahren war ich der Zeit des Female Empowerments voraus. Ich erinnere mich, dass ich stark unterschätzt wurde. Es hieß oft: „Female Empower-was?“ oder: „Was sollen denn „Frauenevents sein?“ Heute gibt es unzählige Veranstaltungen und Kampagnen mit dem Fokus Frauen. Auch das Thema Diversität wurde nicht richtig ernst genommen. Heute ist es aus der wirtschaftlichen und öffentlichen Debatte nicht wegzudenken. Ich habe durchaus gemerkt, dass ich es als Gründerin, insbesondere als Frau mit Migrationsgeschichte, wesentlich schwieriger hatte als der eine oder andere Gründer: Denn weder hatte ich das Netzwerk, das mir Zugang zu Kapitalgebern verschafft hat, noch von zu Hause die nötigen finanziellen Mittel. Deshalb ist es so wichtig, dass unter Business Angels und Investoren eben auch Menschen sind, die diesen Lebensweg kennen und ein besonderes Augenmerk auf Diversität legen.

VC Magazin: Sie haben 2020 einen Venture Capital-Fonds aufgesetzt. Wo steht dieser aktuell?

Onaran: 2020 habe ich bekannt gegeben, dass ich in der Zukunft einen Fonds auflegen
möchte – und habe im Nachgang mich darauf fokussiert, zunächst selbst Erfahrung als Investorin zu sammeln. Mit Erfolg: Es folgten zehn Start-up-Investments, die mir gezeigt haben, was genau es braucht, damit die Investmentszene diverser und nachhaltiger wird. Da mein Fokus auf dem Thema mehr Diversität in der Start-up-Szene liegt, bin ich in Start-ups investiert, die von Frauen gegründet sind. Mit diesem Wissen und den Einblicken lässt sich ein Fonds viel besser auflegen – das Ziel habe ich immer noch, aber keinen Druck, dieses Ziel morgen zu realisieren, sondern „step by step“ ein gutes Fonds-Team aufzubauen, um dann das Thema anzugehen.

VC Magazin: Würden Sie auch in ein gutes Produkt investieren, wenn das Team keinerlei Diversität aufweist?

Onaran: Mein Anliegen ist es, die Start-up-Szene diverser zu machen. Deshalb investiere ich in von Frauen gegründete Start-ups. Aber wenn ein gemischtes Team mit einer spannenden Idee auf mich zukommt, sage ich nicht Nein!

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Über die Gesprächspartnerin:

Tijen Onaran ist Unternehmerin und Investorin. Als Gründerin von Global Digital Women und ACI Consulting berät sie Unternehmen in allen Fragen rund um Diversität und Female Empowerment.