Spagat zwischen Wachstum und Profitabilität

Standpunkt zum Start-up-Standort Deutschland

Christoph J. Stresing, Startup Verband
Christoph J. Stresing, Startup Verband

Bildnachweis: Startup Verband.

Downrounds, Fire Sales, Entlassungen – diese Begriffe prägen aktuell nicht selten die
Schlagzeilen zum deutschen Start-up-Ökosystem. Doch bei genauerem Hinsehen ergibt sich ein differenzierteres Bild, als viele Überschriften vermuten lassen. Wie ist es also um den deutschen Start-up-Standort tatsächlich bestellt?

Nach vielen Jahren des Wachstums führte die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 auch das Start-up-Ökosystem in eine Schockstarre. Nicht wenige befürchteten ein massives Start-up-Sterben – es kam anders. Pandemiebedingt waren digitale Geschäftsmodelle plötzlich besonders gefragt. Start-up-Neugründungen stiegen im zweiten Halbjahr 2020 auf mehr als 10% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Krise wurde zur Chance. Befeuert von einem lang anhaltenden Niedrigzinsumfeld stiegen die Venture Capital-Investitionen in Deutschland 2021 mit rund 17 Mrd. EUR auf ein neues Allzeithoch. Dem Höhenflug folgte, ausgehend vom Einbruch der Tech-Aktien an den US-Börsen, ein Absturz. Eine steigende Inflation verschärfte die Situation und minderte erfolgreiche Exit-Aussichten weiter. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit all seinen Auswirkungen auf die globale Wirtschaft tat sein Übriges.

Profitabilitätsdruck wie nie zuvor

Im Lichte dieser Entwicklungen überrascht es fast, dass die Venture Capital-Investitionen im vergangenen Jahr 2022 mit knapp 10 Mrd. EUR deutlich über dem Niveau vor der Pandemie liegen. Und die Stimmung verbessert sich: Das Geschäftsklima unter Start-ups stieg von Juni 2022 zu Februar 2023 um 8,2%. Daraus lässt sich schließen, dass Start-ups sich auf die Krisensituation besser eingestellt haben. Doch klar ist auch: Sie sind aktuell einem Profitabilitätsdruck der Investoren ausgesetzt wie nie zuvor – wo einst Wachstum maßgeblich war, gilt es jetzt, profitabel zu werden, und zwar möglichst schnell. Dieser Spagat, einerseits zu wachsen und anderseits in die Profitabilität zu kommen, stellt viele Start-ups vor große, teils existenzielle Herausforderungen. Dabei sind die Venture Capital-Fonds aus der Zeit der Nullzinsphase noch gut gefüllt. Und so sind auch weiterhin hohe, teils dreistellige Finanzierungsrunden zu beobachten, wie zuletzt etwa bei GetYourGuide oder wefox. Für einzelne Start-ups wird entscheidend sein, die aktuelle Durststrecke der Investitions-zurückhaltung zu überstehen. Das wird weiterhin wohl nur mit teils schmerzhaften Entscheidungen, inklusive Entlassungen, verbunden sein. Auch Insolvenzen werden unausweichlich werden.

Zu viel Bürokratie, zu wenig Digitalisierung

Umgekehrt zeigt sich für das Start-up-Ökosystem vermeintlich paradox der Fachkräftemangel als ähnlich große Herausforderung wie die angespannte Kapitalsituation: Denn neben dem nötigen Kapital kommt es auf die Rekrutierung von Top-Talenten an. Das geht – vor allem im Bereich IT – fast ausschließlich über Hirings aus Drittstaaten. Bei den Visaprozessen stehen wir uns in Deutschland mit zu viel Bürokratie und zu wenig Digitalisierung selbst im Weg. Die Verabschiedung eines ambitionierten Fachkräfte-einwanderungsgesetzes, die Beschleunigung der Visaverfahren und die längst überfälligen Verbesserungen bei Mitarbeiter-kapitalbeteiligungen sind jetzt wichtiger denn je. Bei den Rahmenbedingungen für Mitarbeiter-kapitalbeteiligungen liegt Deutschland europaweit auf dem letzten Platz. Mit dem auf den Weg gebrachten Zukunftsfinanzierungsgesetz müssen nun die entscheidenden Änderungen zügig umgesetzt werden, damit der deutsche Start-up-Standort hier endlich wettbewerbsfähig wird.

Fazit

In dieser Zeit der Konsolidierung gilt es daher umso mehr, die strukturellen Herausforderungen anzugehen: Wann, wenn nicht jetzt, müssen die richtigen Weichen Richtung Zukunft gestellt werden. Wenn das gelingt, werden auch künftig wieder die positiven News aus dem deutschen Start-up-Ökosystem die Nachrichtenlage dominieren. Das Potenzial dafür ist weiterhin enorm.

Zum Autor:

Christoph J. Stresing ist Geschäftsführer des Bundesverbands Deutsche Startups.