Mehr als nur Berlin

Ostdeutsche Regionen auf dem Weg zum Tech-Hub

Claudia Landrock (futureSax) & Roger Bendisch (IBB Ventures) & Kevin Reeder (bm|t beteiligungsmanagement thüringen) & Daniel Worch (Univations) & Thomas Krause (Brandenburg Kapital)
Claudia Landrock (futureSax) & Roger Bendisch (IBB Ventures) & Kevin Reeder (bm|t beteiligungsmanagement thüringen) & Daniel Worch (Univations) & Thomas Krause (Brandenburg Kapital)

Bildnachweis: futureSax, IBB Ventures, bm|t beteiligungsmanagement thüringen, Univations, Brandenburg Kapital.

„Blühende Landschaften“ versprach der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl kurz
vor der Wiedervereinigung. Seitdem sind mehr als drei Jahrzehnte vergangen. Wie tickt die Start-up-Szene im Osten der Republik? Wie ist der Stand der Entwicklung? Blüht es überall? Wir haben einige Akteure gefragt.

Denkt man an Orte mit zahlreichen Start-ups und innovativen Gründern, dann fallen schnell die Namen Berlin, München oder der Ballungsraum Rhein/Ruhr. Aber auch abseits der großen Metropolen und hippen Lofts tut sich eine Menge. Es bietet also auch durchaus Vorteile, wenn man in den ostdeutschen Regionen eine Idee entwickelt und dann daraus ein Unternehmen werden lässt. Dort gedeihen auch zarte Pflänzchen und teilweise schon beachtlich gewachsene Bäume mit etablierten Start-ups.

Gute Entwicklung in Thüringen

„Die Start-up-Szene hat sich in Thüringen in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert. Allein in den letzten sechs Jahren hatten wir extrem starke Neuinvestments, private Co-Investments und Exits“, erklärt Kevin Reeder, Geschäftsführer der bm|t beteiligungsmanagement thüringen, zur aktuellen Situation. Historisch sei Thüringen sehr stark im Bereich der Optik durch Ernst-Abbe und Carl Zeiss in Jena. Daher erfolgen nach Reeders Aussage auch viele Investments in diesem Bereich. Rund um die Kernkompetenz in der Optik hätten sich zudem Unternehmen in Life Sciences, Robotik und Elektronik stark verbreitet und vervielfältigt. Mittlerweile stammten nahezu 40% der Investee-Partner aus dem Bereich Life Sciences, was eine sehr wertvolle Bereicherung der Gründerszene sei. In Thüringen übernimmt die bm|t meist die Rolle des Leads bei Finanzierungsrunden und hilft dann den Unternehmen, private Co-Investoren zu finden. „Diese Stellung im Markt finde ich hoch spannend“, fährt Reeder zur Situation in Thüringen fort. Wichtig ist für ihn die Vernetzung der Akteure in der Gründungslandschaft – also auch Gründerzentren, Hochschulen, Unternehmen sowie Business Angels und weitere Investoren. Ein erfolgreiches Gründungsbeispiel ist Quantum Optics Jena (QOJ). Die Firma kreiert und registriert verschränkte Photonen, um Quantum Keys für die Cybersicherheit zu generieren. „Dieses wirkliche Deeptech Optics-Unternehmen war ein Spin-off vom Fraunhofer IOF in Jena. QOJ ist schon am Markt aktiv und verkauft mittlerweile jeden Monat hochwertige Systeme“, sagt Reeder.

Wachstumssignale in Sachsen

Auf Wachstum stehen die Signale auch in der Gründungsszene in Sachsen. „Sächsische Start-ups ordnen sich im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich häufig dem wichtigen Zukunftsfeld der Green Economy zu“, freut sich Claudia Landrock, Senior Projektmanagerin Investorennetzwerk & Wachstumsfinanzierung bei futureSax – der Innovationsplattform des Freistaats Sachsen. In den vergangenen Jahren sei die Zahl der Finanzierungsrunden kontinuierlich gestiegen. Allein im Jahr 2022 gab es über 50 Deals mit einem Gesamtvolumen von 600 Mio. EUR. Die Schwerpunkte der innovativen Gründungen in Sachsen liegen branchenübergreifend auf Hightech-Starts-ups im B2B-Bereich – oftmals in Form von Ausgründungen aus der Wissenschaft. Gefördert werden junge Gründer unter anderem durch den InnoStartBonus für innovative Geschäftsideen, Technologiegründungsstipendien, die Validierungsförderung zur Beschleunigung der Einführung vielversprechender Forschungsergebnisse in die Wirtschaft sowie Accelerator-Förderung und Zusammenarbeit mit Business Angels. FutureSax unterstützt sächsische Unternehmen, die auf Kapitalsuche sind, durch eine gezielte Vernetzung mit Kapitalgebenden aus dem futureSax-Investorennetzwerk, das über 500 Mitglieder aus dem gesamten DACH-Raum umfasst. Es setzt sich sowohl aus institutionellen Kapitalgebenden aus der Venture Capital-, CVC- und Private Equity-Branche sowie auch aus privaten Kapitalgebenden wie Business Angels und Family Offices über alle Finanzierungsphasen hinweg zusammen. Erfolgreich arbeitet das Sächsische Start-up-Partner-Netzwerk auch mit mehr als 70 Akteuren unter anderem aus Kammern, Gründerzentren und -initiativen, Wirtschaftsförderern sowie Inkubatoren und Acceleratoren. Hier bekommen Gründungsinteressierte Profitipps aus erster Hand. Dass diese Strategie aufgeht, belegen erfolgreiche Gründungen wie Staffbase GmbH, Sunfire GmbH, Wandelbots GmbH, Morpheus Space GmbH und Heliatek GmbH. „Eine Vielzahl an sächsischen Start-ups (und KMU) sind durch die Technologieverwertung in ihrer Nische oft Weltmarktführer“, fügt Landrock an.

Weitere Professionalisierung in Sachsen-Anhalt

Eine fortgesetzt positive Entwicklung für Sachsen-Anhalt sieht auch Daniel Worch, Geschäftsführer der Univations GmbH: „Die Szene hat sich professionalisiert und ist in der fachlichen Tiefe stärker geworden. Quantitativ ist aus meiner Sicht noch Luft nach oben.“ In den Sektoren Medtech, Life Sciences, Ingenieurswissenschaften, Energie- und Umwelttechnik und auch bei digitalen Geschäftsmodellen sieht er den Schwerpunkt der Gründungsaktivitäten im Land. Die Entwicklung von Unternehmen werde unterstützt durch professionelle Akteure mit Branchenwissen, die Zusammenarbeit mit den Hochschulen und hochmoderne Infrastruktur. Die Flächenländer im Osten leiden laut Worch vor allem unter den fehlenden Vorzügen von kompakten Ballungsräumen. Dies führe zu weniger Austausch- und Entwicklungsmöglichkeiten mit der etablierten Wirtschaft. Um diese Nachteile auszugleichen, würden große Anstrengungen in den jeweiligen Regionen unternommen. Dazu gehöre auch das 1. Start-up-Forum Ostdeutschland im Bundeskanzleramt, das vor wenigen Wochen stattfand. Hier bestehe Potenzial für eine verstärkte Vernetzung und eine noch intensivere Unterstützung der Gründungsszene. Als positive Beispiele aus Sachsen-Anhalt nennt Worch die Unternehmen PerioTrap GmbH aus Halle sowie die neotiv GmbH aus Magdeburg. Neotiv, das ein System zur frühzeitigen Erkennung von Demenz anbietet, hatte Ende 2022 eine Finanzierungsrunde im zweistelligen Millionenbereich abgeschlossen.

Zufriedene Gesichter in Berlin

Zufriedene Gesichter lassen sich – wie nicht anders zu erwarten – in der Startup-Metropole Berlin erblicken. „Berlin hat sich in den letzten zehn Jahren zu dem Hotspot für Start-ups und Venture Capitalisten in Deutschland entwickelt. Laut EY Startup-Barometer wurden 2022 knapp 5 Mrd. EUR in Berliner Start-ups investiert“, erklärt Roger Bendisch, Geschäftsführer von IBB Ventures. Traditionell sei die Hauptstadt Berlin besonders stark im E-Commerce-Bereich, mit bekannten Vorbildern wie HelloFresh und Zalando. Eine starke Entwicklung gebe es auch im Fintech-Bereich sowie bei Nachhaltigkeits-Start-ups und Digital Health Anwendungen. In der Stadt sieht Bendisch besonders gute Voraussetzungen für junge Unternehmen mit internationalen Aktivitäten – aufgrund der vielen Nationalitäten in der Stadt. Die Metropole ziehe immer wieder junge Talente an, sodass Unternehmen auch einen großen Pool von Fachkräften vorfänden. Wichtig für die positive Entwicklung sei auch die weitere Unterstützung der Start-up-Szene durch den Berliner Senat. Die neue Regierung habe bereits angekündigt, an der bisherigen Linie festzuhalten und auch die erfolgreich arbeitende Start-up-Taskforce fortzusetzen. Als erfolgreiches Beispiel für eine Gründung im Sektor Fintech nennt Bendisch das Unternehmen Bling, das Ende 2022 gerade einmal sechs Monate nach dem Start eine Millionen-Seed-Finanzierungsrunde einsammeln konnte. Seit Sommer 2022 bietet Bling eine Family Banking-Lösung an: Mit der Bling Card und -App bezahlen Kinder und Jugendliche selbstständig. Mit der Bling-App soll die ganze Familie den Umgang mit Geld erlernen. Wenige Monate nach dem Start nutzen bereits Tausende Familien das Angebot von Bling. Bereits über 10.000 Kinder und Jugendliche haben mit Bling ihre erste Bezahlerfahrung gemacht.

Mehr Kapital als je zuvor in Brandenburg

„Die Start-up-Szene bei uns hat sich weiter positiv entwickelt. Gründe dafür liegen in einem insgesamt in den letzten Jahren verbesserten Venture Capital-Marktumfeld in Verbindung mit einer höheren Kenntnis und Akzeptanz über die Finanzierungsmöglichkeiten – insbesondere bei Erstgründern. Das liegt unter anderem daran, dass Hochschulen, Forschungsinstitute und eine Reihe von etablierten Veranstaltungen beziehungsweise Gründungsservices dazu informieren und unterstützen“, meint Thomas Krause, Geschäftsführer von Brandenburg Kapital GmbH. 2022 habe Brandenburg Kapital mehr Kapital in Start-ups investiert als je zuvor. Mit den Investments sei es immer wieder gelungen, Start-ups in Phasen zu bringen, in denen dann auch andere, internationale Investoren einsteigen. Krause sieht weiterhin hohes Potenzial in den Bereichen Life Sciences, Medtech und Digital Health. Außerdem lägen auch Investments rund um das Thema erneuerbare Energien und umweltfreundliche Materialien im Trend. Brandenburg Kapital befinde sich gerade in der finalen Strukturierung eines neuen Fonds. So könne die aktive Investitionsstrategie fortgesetzt werden. Im Jahr 2022 wurden Unternehmen wie Synfioo an das US-Unternehmen project44, Arioso an Bosch Sensortec sowie Industrial Analytics an Infineon erfolgreich im Rahmen von Verkäufen übergeben.

Leichtes Ruckeln bei den Finanzierungen

Unterschiedliche Meinungen gibt es bei den Praktikern aus dem Osten Deutschlands bei der Beurteilung der Finanzierungslage für junge Firmen. Reeder meint dazu: „In der Tat notieren wir einen leichten Rückgang in unseren Neuinvestments seit dem letzten Jahr. Ich sehe den Hauptfaktor in der gegenwärtigen Unsicherheit durch die politische Lage und die Zins-entwicklung.“ Er sei aber optimistisch, dass es schnell wieder zu mehr innovativen Neugründungen kommen werde, falls diese Rahmenbedingungen sich verbessern. Auch in Sachsen-Anhalt gibt es zumindest leichte Sorgenfalten – wenn auch aus anderen Gründen: „In der Tat ist ein Rückgang an privaten Finanzierungsmöglichkeiten und damit auch an Gründungen zu spüren. Ich muss aber leider sagen, dass es aktuell nicht so sehr am Kapital, sondern eher an ausreichend guten Start-up-Cases mangelt. Wir haben im Land glücklicherweise einen sehr gut aufgestellten Landes- Venture-Capitalisten mit einem sehr professionellen Management. Hier werden, sofern gute Deals vorhanden, einige Brücken gebaut und Finanzierungen ermöglicht“, sagt Worch.

Sachsen und Berlin sehen keine Engpässe

In Sachsen hingegen spürt man keine Einschränkungen: „Einen Gründungsrücklauf können wir so konkret nicht bestätigen. Im Gegenteil: Die Möglichkeiten, die der Freistaat Sachsen durch Netzwerkarbeit, Informationsangebote sowie diverse Fördermöglichkeiten schafft, haben die Gründungskultur in Sachsen auch in Krisenzeiten gestärkt“, sagt Claudia Landrock. Der Aufbau und die Stärkung der Business Angel-Kultur in Sachsen schreite weiter voran, auch Erfahrungsaustausch sowie Stärkung von kapitalgebenden Privatpersonen. Im Land seien bereits über 170 potenzielle Business Angels identifiziert und rund 50 Angels aktiviert worden. Auch in Berlin läuft es bei Gründungen und Finanzierungen auf hohem Niveau weiter: „In Berlin ist kein Rückgang der Aktivitäten in der Frühphase festzustellen. Allerdings müssen sich die Gründer auf einen zeitaufwendigen Prüfprozess einstellen und realistische Bewertungsszenarien akzeptieren“, erklärt Bendisch. „Wirklich gute Geschäftsideen bekommen weiterhin Geld. Gerade die Frühphase funktioniert bisher weiter. Wir als Brandenburg Kapital haben auch 2023 unsere Investmentaktivitäten fortgesetzt und bereits in den ersten Monaten in weitere Unternehmen investiert. Schwieriger wird es nach unserer Einschätzung bei Folgefinanzierungen und größeren Finanzierungsrunden“, schließt sich Krause an.