„Betriebsärzte können vorausschauend digitale Lösungen mitentwickeln“

Sommerinterview mit Christoph Tismer, Betriebsarztservice Holding GmbH

Christoph Tismer, Betriebsarztservice Holding
Christoph Tismer, Betriebsarztservice Holding

Bildnachweis: (c) Ralph Penno.

2018 wurde in Berlin der Fullservice Dienstleister für Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit und Arbeitspsychologie gegründet. In dem hybriden Geschäftsmodell werden digitale Dienstleistungen und Vor-Ort-Beratung miteinander kombiniert. Das Ziel: den Arbeitsschutz stärker in den Fokus der Unternehmen rücken.

VC Magazin: Sie haben im letzten Jahr eine Finanzierung von 6,8 Mio. Euro erhalten. Was ist seither geschehen?
Tismer: Wir sind dabei, organisch weiter zu wachsen und wollen weitere Standorte entwickeln, um flächendeckend in Deutschland präsent zu sein. So werden wir noch in diesem Jahr einen weiteren Standort in Hannover und Anfang 2024 eine Praxis in München eröffnen. Neben dem organischen Wachstum prüfen wir aber auch die Optionen beim Zukauf bestehender Praxen. Im digitalen Bereich haben wir unter anderem ein System zur Vorsorgendokumentation für Unternehmen sämtlicher Branchen entwickelt. Dieses sogenannte digitale Vorsorgeregister soll Unternehmen bei der Steuerung, Dokumentation und Planung der arbeitsmedizinischen Vorsorgen unterstützen. Zudem hilft dieses Tool den Unternehmen, ihre rechtlich vorgegebene Dokumentationspflicht zu erfüllen. Hier sind wir in einer Pilotphase mit ausgewählten Kunden, um alle diesbezüglichen Anforderungen auf Unternehmensseite zu testen. Anfang 2024 wollen wir dann damit auf den Markt gehen. Mit der Kombination von persönlicher Betreuung und neuen digitalen Möglichkeiten erkennen zunehmend mehr Unternehmen die Vorteile und den Mehrwert unseres hybriden Geschäftsmodells.

VC Magazin: Das seit 1. Juli gültige E-Rezept soll die Zettelwirtschaft für Patienten und Apotheken beenden. Wie bewerten sie generell den Stand der Digitalisierung des Gesundheitswesens?
Tismer: Die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem ist leider rückläufig. Durch die Vorgaben im Bereich des Datenschutzes kam es zum Beispiel bei der Einführung des E-Rezeptes zu Verzögerungen. Der Datenschutz ist gerade im Hinblick auf Patientendaten essenziell, kann aber bei der Beschleunigung der Digitalisierung ebenso etwas hemmen. Dabei gibt es drei Herausforderungen, die bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens angepackt werden müssen: zum einen die Versorgungsqualität, zum zweiten die steigenden Kosten und als drittes den Fachkräftemangel. Hier gilt es nicht nur zu triagieren, sondern die Branche muss erkennen, dass die Digitalisierung der Lösungsansatz für alle diese Themen ist.

VC Magazin: Wo sollte begonnen werden?
Tismer: Durch einen sinnvollen Einsatz der Telemedizin in Verbindung mit den Möglichkeiten der digitalen Kommunikation kann zum Beispiel eine direkte Verbesserung der Versorgungsqualität in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Monitoring erwirkt werden. Gerade wenn es darum geht, die Unterversorgung von nicht gut erschlossenen Regionen mit medizinischen Dienstleistungen zu verbessern. Bei Betriebsarztservice haben wir dies von der ersten Stunde an erkannt und die Telemedizin und E-Health direkt mit unserem Leistungsportfolio verbunden.

VC Magazin: Welche Rolle spielen dabei die Tätigkeitsfelder ihres Unternehmens, um diese Herausforderungen im Gesundheitswesen zu meistern?
Tismer: Unsere Bereiche, die Arbeitsmedizin, der Arbeitsschutz und die Arbeitspsychologie unterliegen weniger regulatorischen Anforderungen als beispielsweise bei niedergelassenen Haus- und Fachärzten. Die begründet sich in dem rein präventiven Charakter der Arbeitsmedizin versus dem kurativen Ansatz der Schulmedizin. Diese müssen Einschränkungen im Kassenrecht hinnehmen und können zum Beispiel auch die Telemedizin nicht in dem Maß nutzen, wie es erforderlich bzw. hilfreich wäre. Arbeitsmediziner arbeiten präventiv, dass heißt, ihre Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmende durch ihren Beruf erst gar nicht krank werden und regelmäßig auf ihre physischen und psychischen Fähigkeiten untersucht werden, damit sie ihren Beruf optimal und mit Zufriedenheit ausüben können. Für die Arbeitsmedizin besteht in diesem Kontext die große Chance, durch die Entwicklung von digitalen Lösungsansätzen diese in die bestehenden analogen Strukturen zu integrieren. Dadurch kann die Versorgungsquantität und -qualität direkt und nachhaltig verbessert werden. Ein Ansatz, den wir seit Gründung 2018 so verfolgen.

VC Magazin: Welche Möglichkeiten schaffen digitale Angebote die Zugang zu fachgerechter psychologischer Unterstützung bieten?
Tismer: Im Bereich der arbeitspsychologischen Betreuung bieten digitale Angebote noch viel mehr Möglichkeiten. Nahezu alle Leistungsinhalte lassen sich hier hervorragend digital abbilden. Aus meiner Sicht stieg in den vergangenen drei Jahren der Bedarf und die Nachfrage nach psychologischer Unterstützung in den Unternehmen enorm an. Die Eintrittspforte bildet hier meist die sogenannte Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz. Auch wenn vom Wortlaut her etwas technokratisch anmutend, ist dies ein sehr probates Mittel, die psychische Mitarbeitergesundheit im Unternehmen immer im Blick zu haben. Bei auffälligen Entwicklungen können mit den Arbeitspsychologen dann direkte Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden. Diese ganze Kette lässt sich nahezu vollständig digital und auf das jeweilige Unternehmen individuell abgestimmt umsetzen. Dies ist aber nur ein Teilbereich der Möglichkeiten in der Arbeitspsychologie. Ich begrüße diese generelle Entwicklung sehr, denn, wie schon zuvor erwähnt, ist neben der physischen Gesundheit auch die psychische Gesundheit der Mitarbeiter in den Fokus zu setzen.

VC Magazin: Wie sieht die Zukunft der Betriebsarztservice Holding aus?
Tismer: Wir haben uns mit Betriebsarztservice in den letzten Jahren seit Gründung konsequent und sehr positiv weiterentwickelt.Trotz nicht immer einfachen Umgebungsbedingungen gelang es uns durch den modernen Ansatz diese Idee der Wichtigkeit und des Mehrwertes des Arbeitsschutzes in die Unternehmen hereinzutragen und erfolgreich umzusetzen. Wir werden unseren modernen Ansatz des hybriden Betreuungsmodells weiter ausbauen. Das bedeutet auf der physischen Seite standortmäßig zu wachsen und unsere digitalen Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass unsere Vision, den Arbeitsschutz zu revolutionieren und unseren Marktvorsprung auszubauen, ein Erfolg sein wird. Mein Vertrauen in unseren Ansatz bleibt unerschüttert und wir werden mit unserem Modell die Branche nachhaltig verändern.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Torsten Holler / [email protected]

Über den Interviewpartner: 

Christoph Tismer kam 2019 als Co-Founder und CEO zur Betriebsarztservice Holding. Weitere Finanziers sind Impact Partners aus Frankreich sowie Heartbeat Labs aus Berlin. Beim Start-up arbeiten insgesamt 70 Mitarbeiter in den Standorten Berlin, Hamburg, Kiel, Rostock, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Köln, Stuttgart, Hannover und München.