„Im aktuellen Marktumfeld beobachten wir, dass Investoren zunehmend selektiver geworden sind!“

Sommerinterview mit Enrico Reiche (PwC Deutschland)

Sommerinterview mit Enrico Reiche (PwC Deutschland)
Sommerinterview mit Enrico Reiche (PwC Deutschland)

Bildnachweis: PwC Deutschland.

Auch wenn das erste Halbjahr 2025 von Unsicherheit begleitet war: Der Innovationsmotor läuft. Neue Technologien wie KI und Klimatech treiben Gründungen voran, und trotz selektiver Finanzierung zeigen viele Start-ups bemerkenswerte Wachstumsstrategien. Investoren agieren fokussierter – und setzen vermehrt auf nachhaltige Modelle mit Substanz. Was die Akteure der Venture Capital-, M&A- und Start-up-Welt aktuell bewegt – und welche Chancen sie im zweiten Halbjahr sehen –, lesen Sie in unseren Sommerinterviews!

VC Magazin: Wie fällt Ihre Bilanz für den Venture Capital-Markt im ersten Halbjahr 2025 aus – gab es Deals, die Sie überrascht haben?

Reiche: Im ersten Halbjahr 2025 zeigte der Venture Capital-Markt eine stabile Entwicklung mit leicht positiver Tendenz. Besonders spannend und ein positives Signal für den Markt war aus meiner Sicht der Exit von Sevdesk im SaaS-Bereich: Das Buchhaltungs-Startup aus Offenbach wurde im Januar vom französischen Softwareunternehmen Cegid übernommen und markierte Presseberichten zufolge einen der größten deutschen Startup-Exits der letzten Jahre. Gleichzeitig erleben wir beispielsweise mit dem erneut gescheiterten Börsengang von Autodoc, dass der Markt weiterhin angespannt und wenig IPO-freundlich ist. Der Emissionspreis für den Berliner Auto-Ersatzteilhändler lag am Tag vor Ende der Zeichnungsfrist mit 58 bis 59 Euro im unteren Drittel der erwarteten Spanne. Zudem wurde berichtet, dass die Nachfrage an den Aktien wohl zu gering war.

VC Magazin: Welche Ticketgrößen und Dealvolumina sehen Sie im aktuellen Marktumfeld für Start-ups, wie realistisch stufen Sie das momentane Preisniveau ein?

Reiche: Aktuelle Marktanalysen zeigen: Die Dealvolumina pro Asset sind im ersten Halbjahr 2025 gestiegen. Elf Mega-Deals mit einem Volumen von über 100 Millionen Euro verzeichnete der Markt bis Ende Juni. Ein beachtlicher Anstieg verglichen mit nur fünf Deals dieser Größenordnung im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Insgesamt wurde im ersten Halbjahr 2025 deutschlandweit Risikokapital in Höhe von fast 4,6 Milliarden Euro investiert, was einer Zunahme von 34% im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024 entspricht. Trotz dieser Zunahme gibt es mit 391 Deals insgesamt nur 7% mehr Finanzierungsabschlüsse im Vergleich zum Vorjahr. Im aktuellen Marktumfeld beobachten wir also, dass Investoren zunehmend selektiver geworden sind. Das Preisniveau scheint angemessen. In Fällen, in denen zuvor überhöhte Preise gezahlt wurden, sehen wir zunehmend Downrounds, was auf eine Normalisierung der Bewertungen nach den Boom-Jahren 2021-2022 hindeutet. Der Bereich Künstliche Intelligenz bildet eine Ausnahme: Hier beobachten wir weiterhin sehr hohe Preisniveaus, auch wenn konkrete Erfahrungswerte aus realisierten Exits noch fehlen, weshalb aktuell viel Fantasie in die Bewertungen eingepreist ist.

VC Magazin: Wie bewerten Sie die derzeitige Fundraising-Situation für Venture Capital, welche Stimmung nehmen Sie unter den LPs wahr?

Reiche: Die Fundraising-Situation bleibt herausfordernd; das Klima hat sich im letzten Jahr jedoch leicht erholt. Das Stimmungsbild unter den LPs ist gemischt. Ein wesentlicher Faktor dafür ist der anhaltende Mangel an Exits: Denn ohne Rückflüsse aus bestehenden Fonds werden weniger neue Investitionen getätigt. Gleichzeitig gewinnt jedoch der Secondary Markt an Bedeutung – sowohl bei direkten Beteiligungen in Startups als auch durch indirekte Beteiligungen an Fonds. 2024 erreichte das globale Sekundärmarkt-Volumen einen Rekordwert von 156 Mrd. US-Dollar. Ich erwarte, dass dieser Trend durch den bestehenden Exit-Überhang anhalten wird.

VC Magazin: Welche Erwartungen haben Sie an den Venture Capital-Markt in nächster Zeit? Für welche Branchen sehen Sie die größten Chancen, wer wird es schwer haben?

Reiche: Ich blicke positiv in die Zukunft. Das liegt insbesondere auch an den zahlreichen öffentlichen Maßnahmen aus dem Zukunftsfonds: Für die Later Stage greifen insbesondere Initiativen wie der HTGF Opportunity Fund oder das KfW Capital Co-Investment Programm sowie der Deep Tech Climate Fund. Und auch frühphasige Startups profitieren – insbesondere durch Projekte wie den EXIST-Leuchtturmwettbewerb Startup Factories, der dezentral Ausgründungen fördert und damit eine enge Kooperation zwischen Wissenschaft und Forschung sowie der Privatwirtschaft fördert.

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Mit Blick auf die Branchen sehe ich nach wie vor große Potenziale im Deep Tech Bereich –
insbesondere bei AI- und Space Tech-Lösungen. Das Münchner Startup Isar Aerospace, das
sich auf die Entwicklung von Trägerraketen für Satelliten spezialisiert hat, hat beispielsweise gerade eine Erhöhung der aktuellen Series C-Finanzierungsrunde auf 220 Mio. Euro bekannt gegeben. Und aufgrund der weltpolitischen Lage gewinnt auch Defense Tech derzeit immer mehr an Bedeutung. Das zeigt nicht zuletzt die aktuelle Bewertung des Rüstungs-Startups Helsing: Durch seine letzte Series C-Runde liegt die aktuelle Firmenbewertung bei zwölf Mrd. Euro. Unternehmen in traditionelleren oder stark regulierten Branchen werden aufgrund des steigenden Innovationsdrucks vor weiter wachsenden Herausforderungen stehen. Durch eine gezielte Corporate Venturing-Strategie sollten diese jetzt damit beginnen, ihr Geschäftsmodell für Morgen neu aufzustellen.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch! Wir wünschen einen schönen Sommer!

Über den Interviewpartner:

Enrico Reiche ist Deals Partner bei PwC Deutschland sowie Venture Deals Lead und Co-
Lead des Center of Excellence für Corporate Venturing. Er verfügt über eine breite Expertise in der Transaktionsberatung von der Frühphase bis zum Exit. Durch seine langjährige Erfahrung in den Bereichen Venture Deals, VC und CVC sowie sein professionelles Netzwerk schafft er gleichermaßen Mehrwerte für Startups, Investoren und etablierte Unternehmen.