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Totgesagte leben bekanntlich länger. Die Biotechnologie wurde in den letzten 25 Jahren zu keinem Zeitpunkt für tot erklärt – dennoch gab es Rhythmusstörungen und unruhige Phasen mit Unkenrufen sowie bangen Blicken auf Börsenkurse, Resultate klinischer Studien und mehr oder weniger erfolgreiche oder riskante Übernahmen. Zweifellos wird die Biotechnologie jedoch die Medizin der Gegenwart und der Zukunft weiter nachhaltig verändern.
Die pharmazeutische Biotechnologie existiert in Deutschland länger als nur seit 25 Jahren. Schon im letzten Jahrhundert begann eine biomedizinische Goldgräberstimmung für neue Medizin und bessere Diagnostik. Mit der Anwendung der Polymerase-Kettenreaktion und ersten Sequenzanalysen machte man sich auf den Weg zur Entschlüsselung des humanen Genoms. Die Bio- und Gentechnologie mit ihren Versprechungen für eine heilende Zukunft waren geboren, und auch Deutschland durfte international nicht den Anschluss verlieren. Im Rahmen von BioRegio-Wettbewerben entstanden Biotech-Spitzencluster unter anderem in Martinsried bei München, ähnlich auch in Heidelberg auf der Grundlage einer entsprechenden Spitzenforschung. Während Biotech-Unternehmen wie Genentech oder Amgen in den USA bereits erfolgreich waren, war man hier noch etwas zurückhaltender, zumal sich der entsprechende Kapitalmarkt erst an ein stark risikobehaftetes Entwicklungsgeschäft mit ungewohnt langen Entwicklungszeiten gewöhnen musste. Dennoch entstanden in Deutschland Unternehmen wie Qiagen, CureVac, MorphoSys, Medigene, Noxxon oder Evotec.
25 Jahre Biotechnologie
Die deutsche Biotechnologie glich vor 25 Jahren einem vor Kraft kaum zu bändigenden Pubertierenden mitten im Sturm und Drang des offenbar grenzenlos Machbaren. Doch gleich kam auch der erste heftige Liebeskummer durch das Platzen der Dotcom-Blase und den Zusammenbruch des Neuen Markts. Diese Enttäuschung wurde aufseiten aller Beteiligten in der Biotechnologie heftig wahrgenommen, hat aber dem grundsätzlichen Glauben an die Fähigkeiten von biomedizinischer Innovation in Deutschland nicht nachhaltig geschadet. Dank des weitsichtigen Engagements und der Investitionen von Family Offices wie Devini und Athos erkannten auch die globalen Pharmaunternehmen das deutsche Biotechnologieportfolio und tätigten relevante Übernahmen. Trotz oder gerade wegen der einzigartigen Erfolgsgeschichte von BioNTech kam es zu einer Konsolidierung der deutschen Biotechnologie auch im Rahmen von globalen Veränderungen. Während MorphoSys und Medigene nach Jahrzehnten erfolgreicher Forschung und Entwicklungen die Türen schließen mussten, konnten die Biotechnologie-Unternehmen ITM Radiopharma, CatalYm, Tubulis und SciRhom im Jahr 2024 den größten Teil aller Finanzierungsrunden durch Risikokapital erzielen. Dies ist bemerkenswert, da es sich teilweise um frühphasige Projekte handelt und zugleich die zugrunde liegende Wissenschaft und das Vertrauen in die Forschung der gesamten deutschen Biotechnologie unterstreicht. Dennoch bleiben Börsengänge auf dem deutschen Parkett auf absehbare Zeit eine Rarität. Es fehlte in den letzten 25 Jahren sicherlich nicht an geeigneten Kandidaten, aber die NASDAQ schien attraktiver, zumal dort mehr privates Kapital und eine höhere Risikobereitschaft lockte. Wer das bestehende Geschäft nachhaltig ausbauen wollte, kam am US-Markt oder an Transaktionen mit globalen Partnern nicht vorbei.
Biotechnologie heute
Durch die mRNA-basierten Impfstoffe wie von BioNTech und Moderna erfuhren innovative Ansätze in der Biotechnologie mehr Aufmerksamkeit. Es entstanden thematische Zukunfts-Cluster, etwa in München für nukleinsäurebasierte Therapien (CNATM) oder in der Rhein-Main-Region das Cluster ProxiDrugs. Ziel ist es, jeweils durch gezieltes Design auch sehr komplexe Moleküle („smart drugs“) schon in der vorklinischen Entwicklung weitestgehend zu optimieren, um die Wirksamkeit zu steigern, eine mögliche Toxizität zu reduzieren und eine skalierbare Produktion bestmöglich zu gestalten. Auch virtuelle Lösungen und digitale Ansätze (zum Beispiel „digital twins“) werden zur Option in der Diagnostik und Therapieentwicklung. Dies soll Zeit und Geld bis hin zur klinischen Prüfung sparen und die beteiligten Start-ups und Unternehmen von der Konkurrenz differenzieren. Das gilt für kombinierte Formate wie Antibody-Drug-Konjugate (ADC) oder high-end molekulare Maschinen im Bereich der Nanobiotechnologie. Die Grundlagen werden häufig schon in öffentlich geförderten wissenschaftlichen Exzellenzclustern gelegt. Die Herausforderung liegt heute darin, Spitzenforschung in ein marktfähiges Produkt oder Technologie zu überführen.
KI als weitere Schlüsseltechnologie
Eine weitere Schlüsseltechnologie innerhalb der Biotechnologie ist die Künstliche Intelligenz (KI) mit dem gesamten Potenzial von generativen Lösungen wie ChatGPT oder auch assistierenden KI-Agenten. Die Erwartungen an diese Möglichkeiten in der Medikamentenentwicklung waren vielleicht durch die Würdigung mit Nobelpreisen übersteigert und die Enttäuschung der häufig auch technologiegetriebenen Anleger daher groß. Dennoch ist die netzwerk- und datengetriebene KI aus der modernen innovativen Biomedizin nicht mehr wegzudenken. Durch ergänzende neue Technologien in der Biotechnologie scheint sich die Wertigkeit der Ansätze nahezu umzudrehen, sodass man heute auch schon von Techbio statt Biotech spricht. Dies ist sicherlich größtenteils Semantik, aber eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit geteilter Kompetenz ist nicht die Zukunft, sondern bereits Gegenwart der modernen Biotechnologie. Es ist gleichsam erforderlich, dass sich auch die regulatorischen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die erforderlichen Verfahren für eine Zulassung und Erstattung innovativer Diagnostika und Therapien diesen Entwicklungen anpassen. Auf europäischer Ebene gibt es mit dem EUAI-
und Biotech-Act sowie mit dem EU-Pharma-Paket entsprechende Signale, und die Politik und die entsprechenden Fachverbände und Expertengremien müssen hier liefern sowie auch durch den Abbau von Hürden und Bürokratie unterstützen.

Biotechnologie in den nächsten 25 Jahren
Rückblickend hat die Biotechnologie ein gestandenes Alter erreicht. Ausreden zählen nicht mehr. Nach Finanzkonsolidierung und Coronakrise müssen wir die Translation von wissenschaftlicher Exzellenz hier und jetzt umsetzen. Bei vorhandenen Spitzentechnologien an unseren Universitäten und Forschungseinrichtungen, verfügbaren wissenschaftlichen Talenten sowie unternehmerischen Führungskräften fehlen nur noch die notwendigen Investitionen besonders für die Frühphasen. Es gilt daher, die verfügbaren Gelder durch geeignete Finanzwerkzeuge gemeinsam mit privatem und strategischem Kapital nachhaltig auch in Seed-Projekte zu investieren. Solche Private-Public-Partnerschaften können erfolgreich durch Inkubatoren beschleunigt werden, die in entsprechende Ökosysteme mit möglichst globalen Accelerator-Programmen integriert sind. Diese Ansätze werden auch dank internationaler Netzwerke und globaler Partnerschaften das Vertrauen von Investoren, Banken und Strategen in die deutsche Biotechnologie weiter fördern.
Fazit
Die Grundlagen sind gelegt, und der globale Markt wartet auf wettbewerbsfähige
Innovationen. Die Europäische Kommission und die deutsche Bundesregierung haben die Biotechnologie als Schlüsselbeziehungsweise Zukunftstechnologie identifiziert. Es gibt ausreichend biomedizinische Herausforderungen, und neben der Diagnose und Behandlung von Demenz, seuchenartigen Infektionen, Diabetes, Krebs, Allergien et cetera ist „Longevity“ ein weiteres Zukunftsthema. Longevity verheißt nicht nur ein langes Leben, sondern dies bei entsprechender Lebensqualität, Sinnhaftigkeit und Produktivität. Was passt also besser in die Zukunft unserer Biotechnologie!
Über den Autor:
Prof. Dr. Ralf Huss ist Geschäftsführer der BioM Biotech Cluster Development GmbH in Martinsried bei München. Der Pathologe war mehr als 20 Jahre in der biopharmazeutischen
Industrie tätig und ist Sprecher des Bayerischen Biotechnologie Clusters.



