„Fachliches Know-how kennt keine Grenzen“

Interview mit Dieter Weber, Barmer

Dieter Weber, Barmer
Dieter Weber, Barmer

Bildnachweis: Barmer.

Ob Mental Health, Relocation oder Bürokratieabbau – junge Unternehmen müssen für internationale Fachkräfte reibungslose Prozesse bieten. Die Barmer begleitet Start-ups mit digitalen Services, mehrsprachiger Beratung und Gesundheitsangeboten, um deren (künftigen) Mitarbeitenden aus dem Ausland den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern.

VC Magazin: Sie sind Geschäftsführer der Barmer in München, wo laut Aussage des
Wirtschaftsbürgermeisters rund 1.650 Start-ups ansässig sind. Welche besonderen Herausforderungen bringt die Betreuung von jungen Tech-Unternehmen im Vergleich zu etablierten Firmen mit sich?

Weber: Die Schnelligkeit, in der Start-ups auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren, hat uns von Beginn an beeindruckt. Wir haben schnell gelernt, dass Prozesse effizienter gestaltet werden müssen, um Schritt zu halten und einen erstklassigen Service bieten zu können. Da in nahezu allen jungen Tech-Unternehmen die Firmensprache Englisch ist, haben wir unsere Angebote Zug um Zug angepasst und bieten inzwischen nahezu alle Services für Firmenkunden auf Englisch an.

VC Magazin: Welche Möglichkeiten bieten Sie speziell für Start-ups und für aus dem Ausland kommende Fachkräfte, die kurzfristig in Deutschland eine Krankenversicherung benötigen?

Weber: Bei der Barmer unterstützen wir Start-ups und Scale-ups im betrieblichen Gesundheitsmanagement und im Relocation-Prozess internationaler Neustarter. Dazu haben
wir verschiedenste Angebote, mit denen wir die Gesundheit am Arbeitsplatz fördern und
dadurch einen Mehrwert im Employer Branding bieten. Wir unterstützen beispielsweise mit Mental Health-Workshops, Health-Checkups, interkulturellen Coachings und vielen weiteren Angeboten. Im Onboarding internationaler New Joiner entlasten wir Founder und HR-Verantwortliche mit englischsprachigen Broschüren und Videos und bieten Beratungen in 19 Sprachen an. Unser Ziel ist es dabei, internationalen Neustartern Orientierung in Deutschland zu geben und so einfach wie möglich zu erklären, welche Schritte erledigt werden müssen, um in Deutschland arbeiten zu können.

VC Magazin: Die Bürokratie wird von vielen Start-ups als großes Wachstumshemmnis gesehen. Wie gelingt es Ihnen, die Anmeldung und Versicherung für internationale Mitarbeitende so schnell und unbürokratisch wie möglich zu gestalten?

Weber: Von uns durchgeführte Customer Journeys zeigen, dass es enorm wichtig ist,
internationalen Neueinstellungen gerade zu Beginn Orientierung in Deutschland zu geben.
Die bürokratischen Hürden sind nicht zu unterschätzen und können für die erste Ernüchterung bei Neustartern sorgen. Diese negativen Erfahrungen sollten im „War for Talents“ unbedingt vermieden werden. Den notwendigen Nachweis über eine bestehende Krankenversicherung für den Visumsprozess können wir bereits zur Verfügung stellen, wenn sich internationale Neustartende noch im Heimatland befinden. Unternehmen stellen wir dabei einen digitalen Sign-up-Link zur Verfügung, der in ihre Welcome Guides und Relocation Booklets integriert werden kann.

VC Magazin: Können Sie das an einem konkreten Beispiel beschreiben?

Weber: Nachdem ein Mitgliedsantrag bei uns eingeht, erhalten internationale Neustartende
innerhalb weniger Stunden eine vorläufige Mitgliedsbescheinigung. Außerdem beantragen wir die Sozialversicherungsnummer beim Rentenversicherungsträger und können diese innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung stellen. Diese Schnelligkeit im Service kann gerade dann ein entscheidender Vorteil sein, wenn ein Termin bei der Botschaft ansteht oder die erste Gehaltszahlung durchgeführt werden muss.

VC Magazin: Aus welchen Ländern werden aktuell die meisten Fachkräfte für Start-ups rekrutiert? Welche Skills sind momentan besonders gefragt?

Weber: Gerade im Tech-Bereich werden hoch spezialisierte Fachkräfte international rekrutiert, weil fachliches Know-how keine Grenzen kennt. Dabei spielt es unserer Erfahrung nach keine Rolle, ob Fachkräfte aus München, Mumbai oder Mailand kommen. Unabhängig von Start-ups arbeiten wir auch mit vielen Kliniken und Pflegeeinrichtungen zusammen. Gerade in der Pflege besteht nach wie vor ein großer Fachkräftemangel und somit ein hoher Bedarf an internationalen Fachkräften.

VC Magazin: Welche großen Trends sehen Sie im Bereich Krankenversicherung in den nächsten zehn Jahren angesichts von Themen wie Demografie und Digitalisierung?

Weber: Bereits vor vielen Jahren haben wir die Barmer.i etabliert, eine Art Thinktank sowie
Dreh- und Angelpunkt für viele digitale Projekte der Barmer. Die Mission der Barmer.i mit Sitz in Berlin war es, die Beschäftigten der Barmer für digitale Projekte zu begeistern, Prozesse nutzerzentriert zu optimieren und eine Kultur der Innovation im gesamten Unternehmen zu etablieren. Seit Mai befinden wir uns im Transformationsprozess der Barmer.i zur Barmer.KI, weil wir davon überzeugt sind, dass die Künstliche Intelligenz ein starker Treiber im Gesundheitswesen sein wird. Mit Etablierung der Barmer.KI versuchen wir, Prozesse und Arbeitsabläufe zu optimieren, um dem demografischen Wandel entgegenzuwirken. Gleichzeitig ist es unser Ziel, unseren Versicherten mehr gesunde Jahre zu schenken, indem wir versuchen, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen, zum Beispiel in der Prävention.

VC Magazin: Welche Verbesserungspotenziale sehen Sie bei den Prozessen für Startups?
Haben Sie diesbezügliche Wünsche an die Bundesregierung?

Weber: Meiner Meinung nach liegen noch große Chancen im Bürokratieabbau und darin, Gründungsprozesse einfacher zu gestalten. Auch die Fachkräftegewinnung und -sicherung, zum Beispiel durch qualifizierte Zuwanderung, wird weiterhin eine zentrale Rolle spielen, um ein attraktiver Wirtschaftsstandort zu bleiben.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.

Über den Interviewpartner:

Dieter Weber ist seit Oktober 2021 Geschäftsführer der Barmer München und leitet die Start-up- & Scale-up-Unit der Barmer. Zusammen mit seinem internationalen Team berät er Unternehmen im Onboarding-Prozess internationaler Fachkräfte und entlastet dadurch HR-Teams, Integrationsmanager sowie Founder. Mit einem starken Fokus auf schnell wachsende Tech-Unternehmen, Kliniken und Pflegeeinrichtungen entwickelt er maßgeschneiderte Konzepte im Bereich Corporate Health Management.