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Rainer Petek ist Extrem-Bergsteiger und Unternehmer. Ein beinahe tödlicher Absturz am Berg reift zu einer seiner größten Lebenslektionen. Die Erkenntnisse über Ego, Intuition und den Wert eines Versprechens an sich selbst nutzt er auch als Unternehmer. Im Interview zeigt er, wie die Prinzipien des Bergsteigens sich für Gründen, Unternehmertum, Führung und persönliches Wachstum nutzen lassen.
VC Magazin: Was war Ihre lebensgefährlichste Situation beim Bergsteigen, und was haben Sie daraus gelernt?
Petek: Ich habe vor 45 Jahren mit dem Bergsteigen begonnen und dabei in jungen
Jahren eine sehr schwere und spektakuläre Durchsteigung der Grandes-Jorasses-Nordwand
geschafft, was in den Medien Aufsehen erregt hat. Danach wollte ich den Medien wieder eine aufsehenerregende Durchsteigung vermelden und bin bei viel zu schlechten Verhältnissen mit einem Kollegen in die Nordwand der Les Courtes eingestiegen. Das hätte mich mein Leben kosten können, denn die miserablen Verhältnisse habe ich mir im Kopf zurechtrationalisiert. Von einer sonst kompakten Eisflanke war nämlich nur ein ganz schmaler matschiger Eisschlauch da. Es war irrsinnig gefährlich, da raufzuklettern. Irgendwann war das Wetter total schlecht geworden; wir aber waren so von der Kletterei absorbiert, dass wir das gar nicht realisiert haben. Spätestens, als wir es doch registrierten, hätten wir aufgeben und umdrehen müssen. Aber keiner wollte als Erster sagen: „Jetzt drehen wir um.“ Und dann hat mich eine Stein-Eis-Lawine regelrecht aus der Wand gefegt. Ich stürzte aus 40 Metern herunter und schlug auf einen schneebedeckten Vorsprung auf, fiel kopfüber über einen Felspfeiler und blieb so hängen. Bei meinem Seilpartner hatte es die Haken so rausgerissen, dass wir an den letzten zwei Zentimetern eines übrigen Felshakens hingen. Gott sei Dank konnten wir uns noch befreien. Das war eine der Lernerfahrungen meines Lebens.
VC Magazin: Was war die Erkenntnis, was kann man für das Business mitnehmen?
Petek: Fürs Bergsteigen sollte man sich bei Entscheidungen nie vom Ego oder Kopf alleine
dirigieren lassen, sondern immer im Kontakt mit der eigenen Intuition bleiben. Hätte ich das getan, wäre ich nie in die Wand eingestiegen. Vor dem Sturz fühlte ich mich unsterblich, nach dem 40 Meter Sturz war mein Selbstvertrauen weg, ich habe beim Klettern gezittert. Aber Schritt für Schritt habe ich die transformative Kraft gespürt, die man aus so einem Scheitern nutzen kann. Geholfen hat auch Dalai Lamas Satz: „Wenn du verlierst, dann verliere nie die Lektion.“ Meine zweite Erkenntnis war: Schau, was du dazu beigetragen hast. Ich bin einfach weitergestiegen, weil ich nicht richtig im Kontakt mit mir selbst war. Die nachhaltig wirksamste Erkenntnis war, dass ein Versprechen an sich selbst einen aus solchen Situationen des tiefen Scheiterns rausführen kann. Ich habe mir damals versprochen: Ich arbeite mit dieser Erfahrung so lange, bis ich ein deutlich besserer Bergführer bin, als ich ohne diesen schlimmen, durch Blödheit verursachten Sturz geworden wäre.
VC Magazin: Sie beraten und coachen auch Gründer, Manager. Welche Erkenntnisse aus Ihrem Bergsteiger- und Unternehmerleben helfen dabei?
Petek: Ich helfe Gründern bei der Klarheit im Sinne eines Realitychecks: Ist das tragfähig,
was du dir für die Gründung vorstellst? Die meisten unterschätzen zum Beispiel die Dauer, bis Geld wieder zurückfließt. Noch häufiger sind Gründer mit Wachstumsproblemen
konfrontiert. Da helfe ich, Strukturen, Prozesse, Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten
zu bauen, um das Wachstum zu stemmen. Vor Kurzem habe ich einen Unternehmer begleitet, der als Ergebnis des Prozesses etwas Entscheidendes sagte: „Weil die Strukturen jetzt stimmen, kann ich mich um das zu kurz Gekommene kümmern: neue Geschäftsfelder.“ Oft geht es mit Leadern darum, wie man im Leitungskreis an der kollektiven Vorbildwirkung arbeiten kann. Mitarbeitende beobachten ja genau, wie die Mitglieder eines Führungsteams übereinander sprechen, wenn sie nicht gerade zusammen sind.
VC Magazin: Wie macht man das beim Bergsteigen?
Petek: Bergsteigen und Business sind da gleich. Ein schwieriges Vorhaben, ob am Berg oder im Geschäft, setzt Können und komplementäre Stärkenprofile voraus. Am Berg ist einer exzellent im Fels, der andere im Eisklettern. Dann kann man sich das wunderbar aufteilen. Im Business wirkt einer mehr im Verkauf und Marketing nach außen, die andere eher nach innen im Sinne des Teamgefüges. Und bei all dieser Unterschiedlichkeit müssen die Lebenskonzepte zueinanderpassen, zum Beispiel Einstellungen dazu, wie viel Einsatz man für die Firma bringen will. Sonst kommt es zu Enttäuschungen.
VC Magazin: Welche Best Practices vom Bergsteigen kann man für das Skalieren von Unternehmen übernehmen?
Petek: Als Erstes sollte man analysieren, was vorhersehbare und wiederholbare Prozessanteile sind und was Ausnahmesituationen, die eine kreative Problemlösung erfordern. Beim Klettern braucht man für bestimmte Situationen immer denselben Knoten, dieselbe Sicherungsmethode. Dann gibt es Routinen für Ausnahmesituationen, etwa beim Sturzfall das immer gleiche Seilabbinden. Da kann man mit knapper Kommunikation auskommen. Andererseits kann man am Berg vor der Platte stehen mit der Frage, wie es dort überhaupt raufgeht. Hier braucht es kreativen Dialog und Lösungsideen. Unternehmen, die diese beiden Situationsarten sauber unterscheiden, tun sich zum Beispiel deutlich leichter mit KI oder damit, Prozesse sofort zu digitalisieren oder zu übergeben. Viele sehen diese Standardisierung als ein Korsett, als eine Einengung. Aber gerade diese Standardisierung, diese Routinen eröffnen erst die Freiräume. Wenn ich nämlich über den Ablauf nicht mehr nachdenken muss, wenn der Prozess einfach automatisiert ist, dann habe ich kreative Kapazität für die Lösung des Kundenproblems.

VC Magazin: Gibt es da auch Routinen, sich die Kräfte intelligent einzuteilen?
Petek: Gerade auch Gründer kommen an den Punkt der Rückschläge, wo es schwierig wird, weiterzukommen. Am Berg kannst du unterkühlen, bist total erschöpft. Am Berg passieren die größten Fehler und Unfälle, wenn du Entscheidungen in einem schlechten Zustand triffst. Und genauso muss ein Führungsteam durch eine schwierige Situation durchkommen. Dafür rate ich uns allen im Business, auf maximal 90% der Leistungsfähigkeit zu gehen, damit man Ziele und Anforderungen und sogar mehr erfüllen kann – denn wir brauchen immer ein Stück Reserve für eine extra Anstrengung.
VC Magazin: Gefahren sehen, bevor sie entstehen – gibt es hier Parallelen zwischen Bergsteigen und Management?
Petek: Ob Mount Everest-, Eiger Nordwand-Besteigung oder die Mont Blanc-Überschreitung, andere haben das schon genau in der Form vor einem geschafft. Auf deren Erfahrungen baut man auf. Die Unternehmensgründung hingegen ist mehr eine Erstbegehung. Deshalb würde ich in den Austausch mit anderen Gründern vor allem mit solchen Fragen gehen: Wie hat sich dein Erfolgsweg nach vorne gestaltet? Was würdest du rückblickend anders machen? Ich selbst habe vor 35 Jahren 1990 gegründet und kann da meine eigenen Erfahrungen und Vernetzung einbringen.
VC Magazin: Wenn Sie Deutschland als Standort für Gründungen wie eine Expedition sehen, die neue Gipfel erreichen soll – was würden Sie als Expeditionsleiter tun, damit sie erfolgreich wird?
Petek: Da bin ich stark durch meine Aufenthalte im Silicon Valley beeinflusst. Drei Themen fallen mir dazu ein. Erstens muss es leicht sein, ein Unternehmen zu gründen, also müssen wir unbedingt die regulatorischen Bedingungen vereinfachen. Zweitens brauchen wir viel Ermutigung, unternehmerisch tätig zu sein, sprich: Wie kann man Gründer unterstützen? Wen sollte man mit wem zusammenbringen, damit da noch mehr entsteht? Und drittens: Unternehmerisches Scheitern darf kein Makel sein, sondern kann auf dem Weg dazu dienen, ein richtig guter Unternehmer zu werden.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!
Über den Interviewpartner:
Rainer Petek ist Autor, Strategic Advisor, Keynote Speaker und Extrem-Bergsteiger. Bereits als 19-Jähriger durchstieg er die Nordwand der Grandes Jorasses – eine der schwierigsten
Wände der Alpen. Heute berät er internationale Unternehmen und Manager von Deutschland bis ins digital führende Silicon Valley. Der studierte Organisationsentwickler weiß: Am Berg und im Business geht es vor allem um Verlässlichkeit und den Mut, aufkommende Chancen besonnen zu nutzen.



