Kein bisschen weiser?

Erfahrungen aus 30 Jahren Venture Capital in Deutschland

Dr. Wolfgang Weitnauer, WIPIT
Dr. Wolfgang Weitnauer, WIPIT

Bildnachweis: WIPIT.

Blicke ich auf die 30 Jahre zurück, in denen ich mich mit Venture Capital befasst habe, fühle ich mich häufig wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Es wird, gerade auch berater-seitig, stur auf eingefahrenen Gleisen weitergefahren. Der Gesetzgeber, aber auch die Gerichte scheinen die Bedürfnisse der Venture Capital-Szene schlicht nicht zu verstehen. Dabei wäre vieles durch einfache Eingriffe zu verbessern.

Innovationsförderung

Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung ist erkannt. Hierfür gibt es seit vielen Jahren verschiedene öffentliche Förderprogramme, etwa ZIM oder KMU-innovativ. Zum 01. Januar 2020 kam die steuerliche Förderung durch das Forschungszulagengesetz hinzu. Alle diese Fördermaßnahmen, wie auch der INVEST-Zuschuss für Business Angels, stoßen aber an die beihilferechtlichen Grenzen der AGVO, die Beihilfen für „Unternehmen in Schwierigkeiten“ ausschließt. Nach der Definition des europäischen Gesetzgebers sind dies Unternehmen, die infolge aufgelaufener Verluste mehr als die Hälfte des Stammkapitals verloren haben, ausgenommen nur KMU, die noch keine drei Jahre bestehen. Damit fallen häufig alle forschungsintensiven Start-ups aus der Förderung heraus. Vor allem Unternehmen mit längeren Entwicklungszyklen, wie insbesondere im Biotech-Bereich, haben einen längerfristigen Förderbedarf. Die zeitliche Begrenzung der Ausnahme auf drei Jahre entbehrt einer sachlichen Begründung und sollte auf die übliche Haltedauer von Venture Capital-Beteiligungen verlängert werden. Auch wäre im Hinblick auf die typische Finanzierung durch Wandeldarlehen statt der bilanziellen Einstufung als Eigenkapital eine wirtschaftliche Betrachtung sinnvoll. Zudem werden Start-ups, die sich ihr Kapital in der Regel über mehrere Eigenkapitalfinanzierungsrunden besorgen müssen, dadurch benachteiligt, dass ihre Verlustvorträge aus den forschungsintensiven und daher verlustreichen Anfangsjahren bei einem Mehrheitswechsel nach § 8c KStG vorbehaltlich des auf Antrag zu gewährenden fortführungsgebundenen Verlustvortrags nach § 8d KStG entfallen. Ausgangspunkt war die Mantelkaufregelung des § 8 Abs. 4 KStG, die einzig und allein den Missbrauch eines gezielten Kaufs von Gesellschaften mit Verlustvorträgen verhindern sollte, der dazu diente, Verlustverrechnungsmöglichkeiten mit Gewinnen aus einer neuen operativen Geschäftstätigkeit zu schaffen. Das BVerfG hat 2017 die frühere Regelung von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, die den quotalen Untergang der Verlustvorträge bei Übertragung von mehr als 25% und bis zu 50% der Anteile vorsah, für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hat es bei der Streichung dieser quotalen Regelung und der Einführung von § 8d KStG belassen. Nach wie vor ist aber nicht einzusehen, weshalb auch mit Finanzierungsrunden verbundene Kapitalerhöhungen, die innerhalb von fünf Jahren zu einem Mehrheitswechsel führen, grundsätzlich zu einem vollständigen Fortfall des Verlustvortrags führen sollten. Daher sollte die Gleichstellung der Kapitalerhöhung mit einem schädlichen Beteiligungserwerb in § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG gestrichen werden.

Anreize für Mitarbeitende

Innovation ist ohne innovative Köpfe nicht denkbar. Da die unentgeltliche Übertragung von Geschäftsanteilen an Mitarbeitende zu einer Besteuerung des geldwerten Vorteils im Zeitpunkt der Übertragung führt, verfiel man in der Gestaltungspraxis auf virtuelle Anteile, bei denen der Zufluss erst im Exit-Fall besteuert wird, jedoch mit der auch im internationalen Wettbewerbsvergleich nachteiligen vollen Lohn- oder Einkommenbesteuerung. Mit dem Fondsstandortgesetz hat der Gesetzgeber 2021 den erforderlichen „Brain Gain“ fördern wollen, indem er mit § 19a EStG eine Regelung einführte, durch die mithilfe des Aufschubs der Lohnbesteuerung die Dry Income-Besteuerung des zugewandten geldwerten Vorteils vermieden werden soll. Der große Wurf, etwa in Gestalt eines geringeren Steuersatzes auf jede Form einer Mitarbeiterbeteiligung, etwa auch in Form von virtuellen Anteilen, war dies nicht. Auch hat der Gesetzgeber verkannt, dass in der Praxis eine Beteiligung von Mitarbeitenden als Mini-Mitgesellschaftern gerade im Start-up-Bereich nicht gewollt ist. Die Bündelung von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen in einer eigenen Personengesellschaft ist in der Start-up-Phase in der Regel mit einem zu großen strukturellen Aufwand verbunden. Schwachstellen von § 19a EStG suchte zwar das Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) im Jahr 2023 zu beheben, doch ist damit diese Regelung nur noch komplizierter und für Mitarbeitende nicht verständlicher geworden. Hier könnten die durch den Autor propagierten eigenkapitalähnlichen Genussrechte Abhilfe bieten, die auch unter § 19a EStG fallen und so strukturiert sind, dass sie zum gewünschten Ziel der Kapitalertragsbesteuerung führen, ohne Mitarbeitende als Gesellschafter beteiligen zu müssen. Häufig schreckt hier allerdings noch die Unsicherheit der steuerlichen Behandlung ab, auch wenn klar ist, dass es eine nachteiligere steuerliche Behandlung als bei virtuellen Anteilen nicht geben kann. Eine Klarstellung durch eine Ergänzung des BMF-Schreibens vom 11. April 2023 zur ertragsteuerlichen Behandlung von Genussrechten wäre hier hilfreich. Auch sollte daran gedacht werden, die Sozialversicherungspflicht bei Mitarbeiterbeteiligungen entweder ganz abzuschaffen oder wie die Lohnsteuer nach § 19a EStG aufzuschieben.

Investmentsicherheit

Fondsinvestoren müssen sich darauf verlassen können, dass der Fonds, an dem sie sich beteiligen, steuerlich transparent ist und sie durch ihre Beteiligung nicht gewerblich infiziert werden. Die typischerweise in der Rechtsform der GmbH & Co. KG strukturierten Venture Capital- oder Private Equity-Fonds sind durch das InvStG 2018 nicht erfasst. Insoweit gilt für die Abgrenzung vermögensverwaltender von gewerblicher Tätigkeit nach wie vor das BMF-Schreiben vom 16. Dezember 2003 zur steuerlichen Behandlung von Venture Capital- und Private Equity-Fonds. Die fehlende gesetzliche Regulierung führt aber zur Verunsicherung vor allem ausländischer Investoren, da die Vorgaben des BMF-Schreibens hinreichenden Interpretationsspielraum bieten. Daher erscheint es überfällig, dass, so wie das ZuFinG die Verwaltung von alternativen Investmentfonds (AIF) im Sinne von §1 Abs. 3 KAGB nach § 4 Nr. 8h EStG von der Umsatzsteuer befreit hat, diese AIF, auch soweit sie nach den Europäischen Verordnungen registriert sind, gesetzlich als steuerlich transparent anzuerkennen. Dies würde auch zur Absicherung der vergünstigten Besteuerung des Carried Interest der Initiatoren solcher Fonds beitragen, da dies nach § 18 Abs. 1 Nr. 4 EStG die Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft voraussetzt. Der unlängst vorgelegte Referentenentwurf des Standortfördergesetzes sieht insoweit nur die Möglichkeit des Investments auch in gewerblich tätige Personengesellschaften für Investmentfonds vor.

Investmenterleichterungen

Das notarielle Beurkundungserfordernis für Geschäftsanteilsübertragungen und die Verpflichtung hierzu nach § 15 Abs. 3, 4 GmbHG ist bis heute unangetastet geblieben. Dabei ist der eigentliche Gesetzeszweck, nämlich die Verhinderung eines spekulativen Handels mit GmbH-Geschäftsanteilen wegen der Vinkulierungsmöglichkeit nach § 15 Abs. 5 GmbHG, längst überholt, zumal die GmbH ohnehin nicht börsenfähig ist. Einen Belehrungszweck verfolgen diese Regelungen anerkanntermaßen nicht. Enthält ein Beteiligungsvertrag die Verpflichtung zu einer Geschäftsanteilsabtretung, wie etwa in Gestalt von Call-Optionen in einem Leaver-Fall oder in Form üblicher Mitverkaufspflichten, führt dies zum Erfordernis der Beurkundung des Beteiligungsvertrags. Dies führt zu massiven und häufig von Start-ups nicht vorhergesehenen Notarkosten, insbesondere, nachdem der BGH im September 2023 entschieden hat, dass sich der Wert eines Kapitalerhöhungsbeschlusses nicht nur nach dem Nennwert der neuen Anteile, sondern auch nach einer gesondert vereinbarten Zuzahlung bemisst. Dass dies zu einem doppelten Wertansatz im Fall der Beurkundung des Beteiligungsvertrags führt, ist nach Ansicht der Gerichte unerheblich, da es unterschiedliche Beurkundungsgegenstände sind. Dies kann zwar durch eine entsprechende Strukturierung, wie etwa auch in dem vom Autor verantworteten GESSI-Standard Finanzierungsrunde vorgesehen, vermieden werden. Doch würde die Abschaffung dieses unnötigen Formerfordernisses (nach dem österreichischen Vorbild des FlexKapGG) den vereinfachten Abschluss von Beteiligungsverträgen, etwa auch über DocuSign, entsprechend den internationalen Gepflogenheiten auf eine rechtssicherere Grundlage stellen. Alternativ zu den üblichen Wandeldarlehen sollte überdies an eine vereinfachte Form der Überbrückungs-finanzierung direkt in Eigenkapitalform gedacht werden. Denn Wandeldarlehen belasten wegen ihres Fremdkapitalcharakters trotz Nachrang die Bilanz von Start-ups und können daher (Stichwort „Unternehmen in Schwierigkeiten“) ihre Förderfähigkeit ausschließen. Ferner führt die Wandlung nicht werthaltiger Darlehensforderungen auf Ebene des Start-ups zu einem außerordentlichen Ertrag. Demgegenüber ist aber für Bestandsinvestoren eine Zuzahlung in die Kapitalrücklage gegen Zusage der künftigen Ausgabe von Anteilen ebenso möglich wie die Finanzierung durch eigenkapitalähnliche Genussrechte nach dem Vorbild des SAFE von Y Combinator. Auch hierfür wäre eine steuerliche Klärung durch ein ergänzendes BMF-Schreiben hilfreich. Nach wie vor handhaben Investmentfonds den Umfang der geldwäscherechtlichen Identifizierungspflicht bei Investments in Start-ups unterschiedlich. Zwar hat die BaFin in einem konkreten Fall bestätigt, dass lediglich die wirtschaftlich Berechtigten des Start-ups zu identifizieren sind, nicht jedoch auch dessen Gesellschafter (Gleiches gilt bei der Gewährung von Wandeldarlehen), doch sollten für eine restlose Klärung, die zu einer deutlichen Vereinfachung von Investmentprozessen führen würde, die Auslegungs- und Anwendungshinweise durch die BaFin entsprechend ergänzt werden.

Fazit

Würden alle Marktteilnehmer im Sinne von Start-ups und ebenso innovativ wie diese denken, könnten viele weitreichende Erleichterungen auch durch einfache Eingriffe oder Klarstellungen bewirkt werden, die den Steuerzahler nichts kosten. Obwohl wir im Zeitalter von KI und Digitalisierung leben und andauernd Bemühungen um Entbürokratisierung auf der Agenda stehen, wirkt vieles in der Gestaltungspraxis unnötig festgefahren. Gefordert ist Mut zu Veränderungen.

Über den Autor:

Dr. Wolfgang Weitnauer ist Gründungspartner von WIPIT Partnerschaft mbB Rechtsanwälte
Steuerberater mit Sitz in München.