„Teuer gemachte Erfahrung günstig einkaufen“

Interview mit Jan Pörschmann, Atares

Jan Pörschmann, Atares
Jan Pörschmann, Atares

Bildnachweis: Atares.

M&A als Wachstumsmotor: Jan Pörschmann, Partner bei atares, erklärt im Interview, warum Zukäufe für Start-ups und Scale-ups gerade jetzt strategisch entscheidend sind, welche Chancen und Risiken im Buy and Grow-Ansatz liegen und wie KI den M&A-Prozess fundamental verändert.

VC Magazin: Sie beraten Tech-Unternehmen, unter anderem bei Wachstum, Zukäufen,
Finanzierungsrunden und Exit. Warum sollten Start-ups und Grown-ups derzeit verstärkt über Zukäufe nachdenken?

Pörschmann: M&A ist nicht nur ein Endpunkt – es ist ein entscheidender Wachstumsmotor. Gerade in unsicheren Zeiten ist Kaufen statt Bauen oft der schnellere und sicherere Weg. Für Start-ups überspringt man riskante Anfangsphasen und minimiert das Gründungsrisiko. Für Scale-ups erwirbt man sofort, was man sonst mühsam aufbauen müsste: Geografien, Kundensegmente, Umsatz und vor allem Zeit. Oder man sichert sich Technologie, Talente oder den Zugang zu kapitalintensiven Ressourcen. Und beide erschließen sich damit andere Kapitalquellen. Gerade Wachstumsinvestoren lieben solche Szenarien: junge Reben auf alte Rebstöcke aufpfropfen und damit stabiler wachsen.

VC Magazin: Worauf sollten Gründer achten, wenn sie über Buy and Grow nachdenken? Welche Chancen, aber auch Risiken lauern bei Zukäufen?

Pörschmann: Die größte Chance ist Geschwindigkeit. Sie kaufen sich Jahre an Entwicklung und Markteintritt. Das größte Risiko ist die Integration. Viele Deals scheitern nach der Unterschrift, weil die menschliche und kulturelle Seite vernachlässigt wird. Wie lösen? Erstens: M&A-erfahrene Mitgründer ins Team holen. Zweitens: Investoren mit M&A Track Record gewinnen. Drittens: Üben, üben, üben. Studien belegen: Wer seriell vorgeht und häufig zukauft, entwickelt daraus ein Corporate Playbook, das langfristig das Fundament erfolgreicher Deals bildet.

VC Magazin: Wie bewerten Sie den aktuellen M&A-Markt, wie schätzen Sie das aktuelle Preisniveau in den gefragten Segmenten ein?

Pörschmann: Der Markt hat 2025 wieder deutlich an Fahrt aufgenommen. Er ist aber sehr selektiv. Wir sehen eine klare „Flucht in die Qualität“. Das bedeutet: Der Markt ist zweigeteilt. Für Top-Unternehmen mit starkem Wachstum und einer klaren Marktposition gibt es einen echten Bieterwettbewerb. Hier werden weiterhin Spitzenpreise gezahlt. Für den Rest ist es ein harter Käufermarkt. Auch darin kann eine Chance liegen: Teams mit gescheiterten Finanzierungsrunden übernehmen – und damit teuer gemachte Erfahrung günstig einkaufen.

VC Magazin: Gibt es aktuell Schnäppchen?

Pörschmann: Ja, aber nicht auf dem Preisschild. Ein Schnäppchen ist heute ein Unternehmen, das Ihnen einen strategischen Vorteil verschafft, den Sie sich sonst nicht erkaufen könnten. Das kann der Zugang zu einem neuen Markt sein, eine kritische Technologie oder tiefes Branchenwissen. Viele etablierte Unternehmen haben in guten Jahren in eigene Softwarelösungen investiert. In kritischen Zeiten werden solche Projekte im Rahmen von Portfoliobereinigungsprogrammen veräußert. Auch das ist eine spannende Chance, an erprobte Produkte und Teams zu kommen.

VC Magazin: atares bezeichnet sich als digitale M&A-Manufaktur für Tech-Unternehmen.
Was unterscheidet Sie vom herkömmlichen M&A-Business?

Pörschmann: Wir kombinieren das Beste aus zwei Welten. „Manufaktur“ steht für fast 25 Jahre Erfahrung und eine persönliche, maßgeschneiderte Beratung. Bei uns sitzt der Partner selbst am Steuer und trifft die Entscheidungen. „Digital“ bedeutet, dass wir die gleichen technologischen Werkzeuge nutzen wie unsere Mandanten. Das macht unsere Prozesse schneller, effizienter und transparenter. Viele Berater automatisieren die Routinearbeit nicht; das kostet Zeit und Geld. Wir automatisieren die Routine, damit wir mehr Zeit für das Wesentliche haben: die Strategie, die Verhandlung und die menschliche Seite des Deals. Wir sprechen Tech, weil wir Tech leben. Das schafft Vertrauen und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

VC Magazin: Wie wird KI Ihrer Meinung nach den M&A-Markt künftig beeinflussen?

Pörschmann: KI ist ein absoluter Gamechanger für unsere Branche. Sie revolutioniert, wie wir arbeiten. Im Deal Sourcing finden wir heute Unternehmen, die früher unter dem Radar geflogen wären. Pitches erstellen wir mit Tools wie Gamma in kürzester Zeit, fully responsive und KI-gestützt. Die Marktansprache von Käufern und Investoren haben wir mit einer Single Point of Truth-Plattform namens Fintalo optimiert. In der Due Diligence analysieren wir in Stunden, wofür wir früher Wochen gebraucht haben. Das macht uns schneller, präziser und kosteneffizienter. Aber KI ersetzt nicht die menschliche Erfahrung. KI kann einen Vertrag analysieren, aber sie kann keine Verhandlung unter Druck führen. Sie erkennt keine kulturellen Bruchstellen zwischen zwei Teams. Und sie trifft am Ende keine strategische Entscheidung. KI ist der beste Copilot, den man sich wünschen kann – aber der erfahrene Berater bleibt der Pilot im Cockpit. Seine Aufgabe ist es, die Daten der KI in die richtige Strategie zu übersetzen.

VC Magazin: Welche Erwartungen haben Sie für das M&A-Geschäft in der zweiten Jahreshälfte und im kommenden Jahr?

Pörschmann: Wir sind optimistisch. Die Stimmung im Markt bessert sich leicht, die strategische Notwendigkeit für Verkäufe und Zukäufe nimmt rapide zu. Viele Unternehmen müssen wachsen und sich technologisch weiterentwickeln. Gleichzeitig ist enorm viel Kapital im Markt, das investiert werden muss, insbesondere bei Finanzinvestoren. Dieser Druck wird die Aktivität antreiben. Wir erwarten eine bessere zweite Jahreshälfte, vor allem im Mittelstand. Der Fokus wird aber klar auf Qualität liegen. Gleichzeitig werden die Deals komplexer. Regulatorische und geopolitische Themen spielen eine immer größere Rolle. Die wirtschaftliche Unsicherheit führt zu sehr filigranen Dealstrukturen. Das erfordert eine tiefere, spezialisiertere Beratung. Für uns ist das eine Chance, denn hier zeigt sich der Wert echter Expertise.

VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch!

Über den Interviewpartner:

Jan Pörschmann ist Partner bei atares, einer digitalen M&A-Manufaktur für Tech-Unternehmen. Seit fast 25 Jahren begleitet er Gründer, Scale-ups und Investoren bei Wachstumsstrategien, Finanzierungsrunden und Exits. Als Vorsitzender des Bundesverbands M&A setzt er sich für die Professionalisierung und den strategischen Einsatz von M&A ein.