„Investoren in Bundesligavereine sollten eine Haltefrist von zehn Jahren haben“

VC Magazin: Die Vereine Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim haben mit ihren Mehrheitseigentümern die 50+1-Regel quasi umgangen, aber ansonsten gibt es viele Befürworter. Wie wollen Sie diese Regel kippen?

Kind: Unser Ziel ist es, die 50+1-Regel aufzuheben oder zu modifizieren. Wir haben unseren Vorschlag den Gesellschaftern der DFL, also den 36 Vereinen der 1. und 2. Liga, eingebracht. Eine inhaltliche Diskussion hat nicht stattgefunden. Der Vorschlag wurde mit überwältigender Mehrheit von den Gesellschaftern abgelehnt. Aus diesem Grunde haben wir, wie angekündigt, das Schiedsgerichtsverfahren beim DFB eingeleitet.

VC Magazin: Bei Manchester United hat eine Fanvereinigung aus Protest gegen den Investor Malcolm Glazer ihren eigenen Verein gegründet: United of Manchester. Könnten solche Szenarien auch für Bundesligavereine kommen?

Kind: Fans, die sich an einem Verein beteiligen wollen, sollte man zunächst fairerweise sagen, dass eine Beteiligung an Fußballvereinen eher Risikokapital ist. In England, Frankreich, der Schweiz, Österreich und Italien gilt da, anders als in Deutschland, der freie Kapitalverkehr und das Unternehmensrecht. Der Investor von Manchester United hat das Eigentum an diesem Verein erworben und damit auch die Rechte und Pflichten. Allerdings hat dieser Investor die gesamten Finanzierungskosten auf den Fußballklub verlagert und nimmt ihm damit wirtschaftliche Handlungsfähigkeit. Wenn das von mir vorgeschlagene Alternativmodell zu 50+1 akzeptiert wird, ist ein solches Szenario in Deutschland nur schwer vorstellbar.

VC Magazin: Kann das Fußballgeschäft für Finanzinvestoren wie Permira oder Apax interessant werden?

Kind: Diese Finanzinvestoren beschäftigen sich aktuell nicht wirklich mit einem Finanzengagement im Fußball, denn sie bekommen keine Eigenkapitalverzinsung von 15% plus x. Und ich sehe nicht die deutlichen Wertsteigerungspotenziale, die diese Investoren erwarten. Auch ein Exit-Szenario ist oft schwierig.

VC Magazin: Aber Mezzanine-Finanzierungen sind ja ein diskutiertes Modell?

Kind: Da gibt es noch Modelle, die vielleicht eher theoretisch durchdacht werden. Um Spekulationen mit dem Fußball zu vermeiden, habe ich vorgeschlagen: Wer sich bei Bundesligavereinen mehrheitlich beteiligen will, muss sich nachweisbar bereits über einige Jahre engagiert haben. Und der Investor sollte eine Haltefrist von zehn Jahren haben.

VC Magazin: Ich habe von Ihnen die Aussage gelesen: „Seele bedeutet nichts, die Fans wollen Erfolg und Professionalität.“ Wie meinen Sie das?

Kind: Bundesligavereine sind Wirtschaftsunternehmen. Der Fußball ist durch hohe Emotionen geprägt. Die Fans wollen die Tradition bewahrt sehen, aber auch in modernen Fußballarenen attraktiven und erfolgreichen Fußball erleben. Wenn Sie sich die Bundesligatabellen des letzten Jahrzehnts ansehen und analysieren, erkennen Sie einen deutlichen Zusammenhang zwischen Umsatz und Ertrag und dem sportlichen Erfolg. Es spielen immer die gleichen Vereine um Meisterschaft, Pokal und internationale Plätze. Es sind Vereine, die Umsätze von 100 Mio. EUR bis zu den 280 Mio. EUR von Bayern München erzielen.

VC Magazin: Also kann Hannover 96 nie um die Meisterschaft spielen?

Kind: Vereine wie wir müssen unter den derzeitigen Rahmenbedingungen und auch der Wirtschaftskraft in der Region Hannover immer nur zwischen Platz 10 und 18 spielen. Das ist nicht meine Perspektive und Vision. Auf der Basis der derzeitigen Struktur kann Hannover 96 sich nicht nachhaltig in das obere Tabellendrittel entwickeln. Das Ziel für eine sportlich und wirtschaftlich erfolgreiche Entwicklung ist, die Bilanzstruktur deutlich zu verbessern, insbesondere durch die Verbesserung der Eigenkapitalstruktur. Die notwendige Zuführung von Eigenkapital wird zurzeit durch die 50+1-Regelung verhindert. Denn große Investoren wollen mehr als 50% der Anteile bekommen und die Besetzung der Geschäftsführung bestimmen sowie den Haushalt und die Investitionen genehmigen.

VC Magazin: Laut einer Studie von Deloitte können sich drei Klubs vorstellen, Kapital über Aktien zu beschaffen. Was halten Sie davon?

Kind: Ich sehe ausschließlich Bayern München, die erfolgreich einen Börsengang umsetzen können. Weitere Vereine kann ich nicht beurteilen.

VC Magazin: Herta BSC Berlin und der 1. FC Köln geben Anleihen aus. Wäre das eine Variante für Hannover 96?

Kind: Nein, davon halte ich nicht viel. Für die Lizenzierung der DFL wäre eine Anleihe zwar ausreichend, weil dort nur die Liquidität für eine Saison geprüft wird. Die Anleihe ist Risikokapital. In der Bilanz ist die Anleihe Fremd-, aber kein Eigenkapital.

VC Magazin: Schalke verkauft über Asset Backed Securities die zukünftigen Zuschauereinnahmen. Was halten Sie davon?

Kind: So etwas belastet die Gewinn- und Verlustrechnung bereits heute und in der Zukunft dramatisch. Und wenn Asset Backed Securities das Finanzierungsproblem nur in die Zukunft verlagern, sollen dann etwa die jeweiligen Städte oder Kommunen einen Verein retten? Grundsätzlich stellt sich hier die Frage der Lizenzierung. Die Lizenzierung ist heute ja ausschließlich auf die Liquiditätsbetrachtung abgestellt. Ich persönlich empfehle hingegen, dass in Zukunft konsolidierte Jahresabschlüsse die Basis für die Lizenzierung darstellen.

VC Magazin: Wie ist aktuell die Eigenkapitalquote von Hannover?

Kind: Die ist aufgebraucht. Wir machen in diesem Jahr noch einmal deutliche Verluste. Diese liegen an vier Faktoren. Einmal der Umsatzrückgang, der auch an der Wirtschaftskrise liegt, dann das Ausscheiden im Pokal sowie das Absinken in der Fernsehtabelle, pro Platzverlust sind das 750.000 EUR Mindereinnahmen. Darüber hinaus haben wir in der Rückserie drei weitere Spieler verpflichtet, einen Leistungsdiagnostiker, einen Sportpsychologen und einen neuen Trainer. Diese Mehrausgaben sind in der Finanzplanung nicht berücksichtigt. Diese Ausgaben erhöhen den Verlust um weitere 3 Mio. EUR.

VC Magazin: Sie haben die Geschäfte von Hannover 96 in drei GmbHs aufgeteilt. Warum?

Kind: Der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA sind die Profimannschaft und der Nachwuchslei-stungsbereich zugeordnet. Die Hannover 96 Arena GmbH & Co. KG ist für den Bau und den Betrieb der AWD-Arena verantwortlich und die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG für die Vermarktung. So sind Geschäftsfelder und deren jeweilige Risiken sinnvoll voneinander getrennt.

VC Magazin: Die meisten Vereine haben eher sinkende Einnahmen. Gleichzeitig sagt man ja immer, die Bundesliga hat Luft gegenüber Spanien und England. Was glauben Sie?

Kind: Die volkswirtschaftliche Situation ist angespannt. Der Fußballmarkt kann sich nicht von der volkswirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln. Deshalb müssen wir mit realistischen Umsätzen planen und unsere Kosten an diese veränderten Umsatzzahlen anpassen. Ob neue Geschäftsfelder entwickelt werden können, um Zusatzerlöse zu erzielen, kann ich aktuell nicht beurteilen. Vielleicht beim Catering. Und was noch kein Bundesligaverein bisher realisiert, ist das Schweizer Modell. Dort hat man in der Haupttribüne Geschäftsstraßen, Wohnungen und anderes angelegt, also Leben an die Stadien angebunden und damit sichere Mieteinnahmen produziert.

VC Magazin: Was sind bei der Mittelverwendung die wichtigen Ausgabenpflöcke?

Kind: Der Hauptausgabebereich ist der Personalkostenbereich, vor allem die erste Mannschaft. Wir werden in dieser Saison etwa 50 Mio. EUR Umsatz erzielen. Betriebswirtschaftlich wird empfohlen, nicht mehr als maximal 50% des Umsatzes für Personalkosten aufzuwenden, also 25 Mio. EUR. Mit diesem Etat können Sie jedoch nur schwer eine wettbewerbsfähige Mannschaft in der Bundesliga finanzieren. Das gilt umso mehr, da als ein weiterer deutlicher Kostenblock im Bundesligaetat die Finanzierungskosten der AWD-Arena in Höhe von 6 Mio. EUR zu berücksichtigen sind.

VC Magazin: Was sind Ihre Ziele für die nächste Saison?

Kind: Wir müssen die abgelaufene Saison und insgesamt die letzten drei Jahre offen und konstruktiv analysieren, um daraus zu lernen. Diese Analyse betrifft alle Bereiche: den Sport, das Nachwuchsleistungszentrum, die Vermarktung, das Ticketing und die Verwaltung. Wir müssen diskutieren, wie wir die Anforderungen der Zukunft in allen Bereichen weiterentwickeln und professionalisieren. Wir müssen uns auch dem Vergleich mit anderen Bundesligavereinen national und international stellen. Sportlich ist es unser Ziel, in der Saison 2010/2011 einen Tabellenplatz zwischen Platz 10 und 13 zu erreichen.

VC Magazin: Herr Kind, vielen Dank für das Gespräch.

Georg von Stein

Zum Gesprächspartner
Martin Kind ist Präsident von Hannover 96 und Geschäftsführer der Kind Gruppe, einem Hersteller von Hörgeräten.