Innovativer Automotive-Sektor

Lange Jahre wurde der Automotive-Markt von den großen und etablierten Herstellern und Zulieferern dominiert. Junge Start-ups konnten sich selbst mit überzeugenden und fortschrittlichen Ideen nur selten durchsetzen. Ein Indiz dafür, dass dieser hemmende Zustand nicht vorteilhaft für die Branche war, ist die Abkehr der Venture Capital-Gesellschaften vor annähernd einer Dekade. Nach häufig erlittenen Totalverlusten beschränkte sich das Engagement der Finanzinvestoren seitdem allenfalls auf Automotive-Start-ups aus Nischenbereichen wie z.B. Nanotechnologien zur Oberflächenbeschichtung.

Mit dem Aufkommen der Elektromobilität hat sich der Status quo jedoch jüngst drastisch verändert. Da moderne Technologien oftmals auch neue Entwicklungspartner verlangen, werden vom OEM-Level bis zum Teilelieferanten die Karten mittlerweile neu gemischt. Aufgrund ihrer Flexibilität haben Newcomer bei den sich entwickelnden neuen Geschäftsmodellen deutlich mehr Chancen als etablierte Marktteilnehmer, die vielfach in der Verteidigung ihrer Besitzstände erstarrt sind.

Im M&A-Bereich ergeben sich für schnelle Akteure aus dieser neuen Konstellation enorme Wachstums- und Ertragspotenziale. Eines der renommiertesten Beispiele ist sicherlich die kalifornische Sportwagenschmiede Tesla. Innerhalb kürzester Zeit stieg das Unternehmen zu einer Milliardenbewertung auf. Sehr zur Freude der Daimler AG, die sich verhältnismäßig frühzeitig an Tesla beteiligt hat. Aber auch auf weniger öffentlichkeitswirksamen Ebenen werden die vorhandenen Möglichkeiten deutlich. So übernahm der schweizerische Industriekonzern ABB kürzlich den niederländischen Zulieferer Epyon. In das Unternehmen hatten Venture Capitalisten erst 2010 investiert und bekamen bereits nach weniger als einem Jahr ihren finanziellen Einsatz gut verzinst zurück.

Momentan sind Hightech-Automotive-Themen, die sich für Investitionen anbieten, im Technologiebereich hauptsächlich bei den Antriebstechniken, in der Materialforschung sowie in der Gewinnung und Speicherung von Energie zu finden. Mindestens ebenso spannend entwickelt sich in der Automobilindustrie derzeit aber auch der Servicesektor: Die Elektromobilität bedingt eine neue Lade-Abrechnungs-Infrastruktur, und neuartige Mobilitätskonzepte reichen bis hin zu Vermietmodellen für Fahrzeuge und Batterien. Design- und Engineering-Dienstleister müssen sich im Leichtbau und bei neuen Formgebungen beweisen und können hier gänzlich neuen Konzeptionen freien Lauf lassen. Außerdem sind Produktionsexperten gefordert, Verfahren für die Herstellung bislang nicht automotivetypischer Komponenten zu entwickeln.

Die wesentliche Schwierigkeit für aktuelle Investitionsentscheidungen besteht darin, dass es für die Elektromobilität der Zukunft sehr viele konkurrierende Technologieansätze gibt. Ein exakte Vorhersage, welche der Technologien sich durchsetzen werden, fällt entsprechend schwer. Mit dieser Prognoseproblematik befindet sich der Automotive-Bereich jedoch wieder in allerbester Gesellschaft zu anderen Hochtechnologiesektoren. Das zurückgekehrte Interesse der Venture Capital-Gesellschaften unterstreicht dies.     

Zum Autor
Dr. Michael Thiele ist geschäftsführender Partner bei der Beratungsgesellschaft Angermann M&A International GmbH (www.angermann.de). Innerhalb der globalen Allianz M&A International Inc. ist er Vice President der Automotive & Aerospace Industry Group für den deutschsprachigen Raum.