Aus eigener Kraft

panthermedia/Arne Trautmann

Working Capital freisetzen

Durch gezieltes Supply Chain-Management können Unternehmenslenker entscheidende Faktoren im Cashflow beeinflussen, um die Liquidität zu steigern. Ein wichtiger Hebel: Working Capital-Management. Eine aktuelle Studie eines amerikanischen Beratungsunternehmens ergab, dass europäische CFOs 900 Mrd. EUR aus dem Working Capital freisetzen könnten, würden sie ihr Working Capital-Management strategischer angehen. Aber auch Material- und Perso nalaufwand sowie die Investitionen in Werke, Läger und Maschinen haben einen Einfluss auf die Liquidität und den Geschäftswertbeitrag (Economic Value Added) eines Unternehmens.

Management von Forderungen optimieren

Der erste Faktor ist das Forderungsmanagement. Wie wichtig die Einhaltung der Zahlungsziele durch den Kunden für das Unternehmen ist, zeigt folgende Rechnung: Eine um zwei Monate verzögerte Zahlung führt zu einem „Wertverlust“ von etwa 15%, bei drei Monaten ist es bereits knapp ein Drittel. Denn die ausstehenden Gelder stehen für die interne Finanzierung, z.B. für die Entwicklung neuer Produkte, nicht zur Verfügung. Es gilt also, die Zahlungen innerhalb eines möglichst kurzen Zeitraums vom Kunden zu erhalten. Dies gelingt zum einen durch die Optimierung des Rechnungsstellungsprozesses sowie die Einführung eines Mahnwesens und einer Inkassostrategie. Die Implementierung einer elektronischen Lösung kann Prozesse vereinfachen und standardisieren. Die Gewährung von Skonti ist eine weitere Möglichkeit, um die Zahlungsziele mög lichst zu verkürzen. Dennoch sollte im Vorfeld berechnet werden, ob der Gewinn aus dem verkürzten Zahlungs ziel größer ist als der Umsatzausfall durch das Skonto.

Factoring heute üblich

Ein mittlerweile auch im Mittelstand übliches Vorgehen ist der Verkauf der Forderungen an ein Factoring-Unternehmen. Banken bieten für Unternehmen zugeschnittene Lösungen an. Der sogenannte Factor bezahlt dabei sofort den Betrag der Forderung abzüglich einer Gebühr und eines Zinssatzes. Als Gegenleistung übernimmt er aber alle Ausfallrisiken. Dabei muss kaufmännisch abgewogen werden, ob der Gewinn, der durch den schnelleren Zahlungseingang entsteht, größer ist als die Factoring-Gebühr.

Übergreifende Strategie für das Bestandsmanagement

Ein weiterer Anknüpfungspunkt sind die Bestände, die meist der größte Posten im Umlaufvermögen sind. Um Bestände und somit das darin gebundene Kapital zu reduzieren, gibt es verschiedene Hebel. Übergreifend ist natürlich die Supply Chain-Strategie von essenzieller Bedeutung. Diese legt fest, wie Bestände als Bindeglied zwischen den Bedarfsschwankungen am Markt, dem Kapazitätsangebot und der Materialbeschaffung eingesetzt werden. Die Bestimmung der optimalen Bestände ist eine strategisch wichtige Aufgabe, um auf der einen Seite nicht unnötig Kapi tal zu binden, auf der anderen Seite aber jederzeit die Lieferfähigkeit auf höchstem Niveau zu gewährleisten. Durch eine übergreifende Strategie ist es möglich, die Bestän de nachhaltig um durchschnittlich 30% zu senken.

Die 20-80-Regel im Produktportfolio

Einen strategischen Einfluss auf das Working Capital hat das Produktportfolio bei Fertigwaren oder auch Rohstoffen. Kunden fragen immer stärker differenzierte Produkte nach, verbunden ist dies mit immer kleineren Losgrößen, einer zunehmenden Zahl von Zwischenprodukten und Beständen. Ziel eines Unternehmens sollte sein, die Varianten durch ein strategisches Komplexitätsmanagement auf ein Minimum zu reduzieren und gleichzeitig eine Erhöhung der Gleichteilequote zu erreichen. Als Richtlinie gilt: Mit 20% der Produkte werden 80% Gewinn erzielt. Für die verbleibenden 20% Gewinn muss das Produktportfolio um 400% erweitert werden. Bei einer genauen Zuweisung der Komplexitätskosten können die Produkte identifiziert wer den, die keinen Beitrag zur Gewinnsteigerung leisten.

Genaue Prüfung von Lieferanten

Das Lieferantenmanagement sorgt dafür, dass die Qualität und Verlässlichkeit des Lieferanten sichergestellt werden. Dazu müssen bei der Auswahl neuer Lieferanten im Vorfeld detaillierte Lieferantenbewertungen herangezogen werden. Durch die Ausarbeitung von Leitlinien wird die Zusammenarbeit rechtlich abgesichert. So kann beispielsweise vermieden werden, dass das Unternehmen bei Frühlieferungen auch früher zahlen muss. Weiterhin ermöglicht eine enge informationstechnische Anbindung des Lieferanten, dass Schwankungen in der Nachfrage rechtzeitig begegnet werden kann.

Zahlungsziele ausweiten

Die Verbindlichkeiten lassen sich abhängig von der Marktmacht der handelnden Unternehmen durch die Ausweitung der Zahlungsziele beeinflussen. Hier wird es jedoch kaum möglich sein, ohne „Gegenleistung“ vom Lieferanten längere Zahlungsziele auszuhandeln. Doch durch eine enge Zusammenarbeit von Unternehmen und Lieferant können relative Finanzierungsvorteile genutzt werden. So kann es zum Beispiel für das Unternehmen von Vorteil sein, seine Zahlungsziele beim Lieferanten zu verkürzen, wenn es dafür einen Preisnachlass vom Lieferanten erhält. Dieser Preisnachlass kompensiert erstens die zusätzlichen Finanzierungskosten auf der Seite des Abnehmers und gibt zweitens einen Teil der dem Lieferanten durch das kürzere Zahlungsziel entstandenen Ersparnisse an ihn weiter.

Kostentreiber im Einkauf identifizieren

Insgesamt lässt sich die Höhe der Verbindlichkeiten unter anderem durch ganzheitliche Einkaufsoptimierung reduzieren. Durch ein Lieferantenmanagement, die Neuausrich tung von Einkauf und Warengruppen lassen sich je nach Branche und Ausrichtung zwischen 5 und 15% einsparen. Größere Potenziale lassen sich zudem durch eine Produkt kostenkalkulation oder eine Make or Buy-Analyse realisieren. Bei der Produktkostenkalkulation wird durch Zerlegung des Produkts berechnet, was dieses wirklich kosten darf. So sind Verhandlungen mit Lieferanten auf einer Faktenbasis möglich. Gleichzeitig ermöglicht diese Methode auch die Identifizierung von Kostentreibern, die sich in Zusammenarbeit mit dem Lieferanten eliminieren lassen. Bei einer Make or Buy-Analyse wird die Fertigungstiefe des Unternehmens überprüft. So kann es zum Beispiel günstiger sein, bestimmte Teile zuzukaufen, statt diese selbst zu fertigen.

Effekt Wertsteigerung

Die genannten Hebel haben nicht nur einen positiven Einfluss auf die Liquidität eines Unternehmens. Studien der Beratung Arthur D. Little belegen zudem, dass die Verringerung der Bindungsdauer liquider Mittel im Umlaufvermögen um 25% eine Steigerung des Unternehmenswerts von etwa 8% nach sich zieht. Um den selben Effekt zu erreichen, müsste der Umsatz innerhalb von fünf Jahren um 28% gesteigert werden.

 

Zum Autor

Karsten Brockmann ist Senior Partner der auf Einkauf und Supply Chain-Management spezialisierten Unternehmensberatung Kerkhoff Consulting. Dort verantwortet er die Akquise, Planung und Steuerung von Supply Chain-Management-Projekten.