Straßenkiosk oder Näherei als Geschäftsmodell

Handicap International
Sainte-Hélène wurde wie Tausende andere ihrer Landsleute bei dem schweren Erdbeben auf Haiti verletzt. Obwohl sie ihr Bein verlor, machte sie sich mit einem Straßenkiosk selbstständig.

Schwerste Folgen des Erdbebens

Port-au-Prince im Januar 2012: Es ist schwül und stickig in der Hauptstadt von Haiti in der Karibik. Fernab von den Bildern der Strände aus Hochglanzmagazinen der Reisebüros sieht es eher aus wie in einem ehemaligen Kriegsgebiet. Vielerorts finden sich immer noch zerstörte Häuser, zerstörte Straßenzüge, zerstörte Infrastruktur. Ein trister und ernüchternder Anblick. In all der Tristesse steht Sainte-Hélène und strahlt. „Bienvenue chez Hélène – Herzlich Willkommen bei Hélène“, ruft sie. „Chez Hélène“, so heißt der Straßenkiosk, den Sainte-Hélène mit der Hilfe von Handicap International kürzlich eröffnen konnte. Sie hat eine sehr schwere Zeit hinter sich – die Katastrophe traf sie, so wie Millionen andere Haitianer, vollkommen unvorbereitet. Beim schwersten Beben in der Geschichte Nord- und Südamerikas starben mehr als 200.000 Menschen, kaum ein Haus in der Hauptstadt Port-au-Prince blieb unbeschadet, über 300.000 Menschen wurden verletzt. Bis zu 4.000 von ihnen mussten Gliedmaßen amputiert werden. Eine der Betroffenen ist Sainte-Hélène. Als Teile der Universität einstürzen, wird sie schwer verletzt. Die Ärzte können nichts weiter für sie tun, als ihr ein Bein zu amputieren.

Wichtig: Der Blick nach vorn

Für Sainte-Hélène bricht die Welt zusammen. Sie kann sich nicht vorstellen, wie sie jemals wieder glücklich werden sollte. Heute sagt sie, dass sie dank Handicap International wieder nach vorne schauen kann. Im „Village des Vigoureux (Dorf der Starken)“, einer Einrichtung der Organisation, lernte sie, dass man auch nach einer Beinamputation selbstständig und unabhängig sein kann. Trotz Entbehrungen blicken die Menschen nach vorne. Das war Sainte-Hélène besonders wichtig: Sie wollte nicht abhängig sein, sie wollte etwas zum Einkommen der vierköpfigen Familie beitragen. Und so hatte sie eine Idee. Sie wollte zu Hause einen kleinen Straßenkiosk einrichten. Also beantragte sie einen Kühlschrank, besuchte einen kleinen Buchhaltungskurs und gründete ihr eigenes Geschäft. Die Geschichte von Sainte-Hélène ist ermutigend. Sie zeigt, dass es trotz des noch immer offensichtlichen Elends Erfolgsgeschichten gibt und dass die Menschen trotz aller Entbehrungen nach vorne blicken.

Arbeit auch mit Behinderung

Die Situation von Saint-Hélène zeigt eine der beruflichen Möglichkeiten für die vielen Menschen mit Amputationen in Haiti. Doch nicht alle möchten ein eigenes Geschäft aufmachen, viele möchten lieber wieder eine Anstellung in einer Firma finden – doch das ist leichter gesagt als getan. Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung erschweren die Arbeitssuche enorm. Viele Arbeitgeber denken, dass ein solcher Mensch nur eine halbe Arbeitskraft ist, die mehr schadet, als dass sie dem Unternehmen einen Vorteil verschafft. Nur die wenigsten wissen, dass das nicht stimmt. Mit einigen kleinen Anpassungen können Menschen mit Behinderung genauso gut arbeiten wie Menschen ohne Behinderung.

Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit – Inklusion

Ein wichtiger Teil der Arbeit von Handicap International ist deshalb die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und vor allem auch der Arbeitgeber. Die Organisation ist ständig auf der Suche nach Partnern aus der Wirtschaft, die keine Berührungsängste mit Menschen mit Behinderung haben. Rose Mika hat eine Arbeit in einer Näherei gefunden. Die Firma Indepco beschäftigt nämlich auch Menschen mit Behinderung. Sie ist froh, einer Arbeit nachgehen zu können. Denn das stärkt ihr Selbstvertrauen und lässt sie wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Und dazu können auch Unternehmen einiges beitragen.

 

 

Über Handicap International

Die humanitäre Hilfsorganisation Handicap International ist in über 60 Ländern mit mehr als 300 Projekten tätig. Diese beschränken sich nicht auf körperliche Behandlung in Orthopädiewerkstätten und Rehabilitationszentren, sondern beziehen die gesamte Lebenssituation der Betroffenen in die Hilfe ein. Dazu gehört psychologische Betreuung und Hilfe bei der sozialen Inklusion, aber auch organisatorische Unterstützung von Selbsthilfeprojekten. Priorität der Projektarbeit ist die Arbeit mit lokalen Partnerorganisationen und die Ausbildung von lokalen, oft selbst behinderten Mitarbeitern. Handicap International wurde im Januar 2010 von den Vereinten Nationen gemeinsam mit einem Partner mit der Koordination der gesamten Rehabilitationsmaßnahmen auf Haiti beauftragt. Seit Beginn der Aktivitäten in Haiti haben mehr als 500 Auslandsmitarbeiter in den Projekten mitgewirkt. Die Organisation hat in Haiti insgesamt 1.459 Menschen mit Prothesen und Orthesen (medizinische Hilfsmittel mit orthopädischer Funktion) ausgestattet, 20.000 Tonnen Hilfsgüter auf den Weg gebracht, 1.050 vorübergehende, meist barrierefreie Unterkünfte gebaut, die etwa 5.250 Menschen ein neues Zuhause bieten. 90.000 Einheiten zur medizinischen Versorgung und physischen Rehabilitation konnten durchgeführt werden, 25.000 Menschen haben psychosoziale Unterstützung erhalten. Des Weiteren hat Handicap International 5.600 Gehhilfen verteilt und 4.500 physiotherapeutische Rehabilitationssitzungen durchgeführt. Mehr Infos hier: www.handicap-international.de