Personalisierte Medizin 2013

Panthermedia/Markus Gann

Die personalisierte Medizin beachtet neben der Wirksamkeit auch die bessere Verträglichkeit eines Wirkstoffs. Diese hängt vom Erbgut des individuellen Patienten ab. Neben der reinen „Stratifizierung“ in Patientengruppen versteht man unter personalisierter Medizin aber auch die Krankheitsprävention sowie innovative Methoden wie die regenerative Medizin und Zelltherapien.

Wahrnehmung und Einschätzung

In einer von BCNP Consultants Anfang 2012 durchgeführten Umfrage wurden Personen aus den Bereichen Pharma, Diagnostik, Interessenvertreter und Kapitalmarkt nach den Auswirkungen der personalisierten Medizin befragt. 93% der Befragten gingen davon aus, dass die Behandlung des einzelnen Patienten verbessert werden könne. Und auch eine Steigerung der Arzneimitteleffizienz bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten und Nebenwirkungen halten 80% für möglich. Fragt man jedoch nach den dadurch entstehenden Kosten, so ist die Einschätzung weniger eindeutig: Während 39% der Befragten einen Anstieg der Kosten erwarten, sehen nur 34% die Möglichkeit, dass durch die Einführung der personalisierten Medizin die Kosten gleich bleiben oder gar sinken.

Einsparungen für das Gesundheitssystem

In der Tat werden auf Symposien die innovativen Therapeutika oft mit steigenden Kosten im Gesundheitssystem in Verbindung gebracht. In dieser Rechnung sollten neben den reinen Behandlungskosten auch die sekundären Einsparungen berücksichtigt werden. Diese entstehen dadurch, dass ein Patient schneller wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht oder durch eine frühzeitige Diagnose gar nicht erst erkrankt. Auch eine unwirksame Therapie kann ihm erspart bleiben. Bislang gibt es zwar hierfür noch keine gesamtgesellschaftlichen Berechnungen. Doch zeigen einzelne Beispiele, wie gerade durch den Einsatz von Companion-Diagnostik enorme Therapiekosten eingespart werden können (siehe Beitrag Bio Dtl S. XXX). Tatsache ist: Die Einwände der Krankenkassen müssen ernst genommen werden und mit den für die Patienten entstehenden Zusatznutzen sorgfältig abgewogen werden. Von der Notwendigkeit, einen solchen gesellschaftlichen Konsens über den Wert der medizinischen Versorgung zu finden und entsprechende finanzielle Mittel bereitzustellen, waren in der Umfrage 56% der Befragten überzeugt. 73% waren der Meinung, dass die personalisierte Medizin weitreichende Konsequenzen für die Finanzierungs- und Erstattungssysteme haben wird. Nur 5% glaubten hingegen, die Einführung könne ohne größere Veränderungen fortgesetzt werden.

Positives Signal aus der Politik

Die Politik unterstützt die Entwicklungen in der personalisierten Medizin mit dem Aktionsplan „Individualisierte Medizin“. Bundesforschungsministerin Johanna Wanka hat angekündigt, die Forschung bis zum Jahr 2016 mit 100 Mio. EUR zu fördern. Die Mittel sollen die Grundlagenforschung zur Entwicklung neuer Biomarker für Vorbeugung, Diagnostik und Therapie unterstützen; die Übersetzung in die klinische Anwendung, von der Laborbank ans Krankenbett beschleunigen und der Behandlung ethischer Fragen dienen, wie das Recht eines Patienten auf Nichtwissen nach einer Genomuntersuchung.

Mehr Sicherheit für Entwickler

Das Marktforschungsinstitut Kalorama Information bezifferte den Gesamtmarkt der personalisierten Medizin 2011 weltweit auf 28 Mrd. USD und erwartet einen Anstieg auf 42 Mrd. USD bis zum Jahr 2015. Dieser Wert schließt neben der Core-Medizin auch individuelle Behandlungen wie Hüftgelenke und Pflege mit ein. Neben Roche, die als erstes Unternehmen ganz auf die parallele Entwicklung von Biomarkern gesetzt haben und dieses Konzept komplett abbilden können, positionieren sich mit Sanofi und Amgen zwei weitere Großunternehmen in der personalisierten Medizin (siehe Interview Amgen S. XX). Ein Problem, dessen Beseitigung mehr Schwung in die Entwicklung bringen könnte: In Deutschland dauert die Prüfung der Erstattungsfähigkeit von Diagnostika noch zu lange. Jahre der Ungewissheit können von kleinen Unternehmen nicht getragen werden. Daher sollte in Zukunft die Zulassung der Diagnostiktests automatisch mit der der Wirkstoffe geregelt werden und mit ihr auch die Erstattung durch die Kostenträger. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat 2011 gezeigt, wie es besser geht: Der cobas BRAF Mutationstest wurde parallel zu Zelboraf (Vemurafenib), einem Medikament für die Behandlung von Patienten mit inoperablem oder metastasierendem Melanom, zugelassen. Ein weiterer Weg ist die Bildung von Allianzen und größerer Marktspieler: Zum Beispiel zeigt das Biotech-Unternehmen Qiagen, wie in Zukunft Allianzen in der Companion-Diagnostik aussehen könnten. Im Januar 2013 wurde parallel zur FDA-Einreichung von Afatinib, einem neuen Tyrosinkinase-Inhibitors von Boehringer Ingelheim ein Antrag auf Zulassung in den USA für den therascreen EGFR-Test gestellt. Doch damit solche Allianzen erfolgreich sind, müssen sich die Biotech-Unternehmen den Ansprüchen und Arbeitsrhythmen der Pharmabranche anpassen, oder umgekehrt? Denn die Innovatoren sind oftmals die Kleinen.

Neue Wege der Finanzierung

Die Finanzierung der Wirkstoff- und Diagnostikforschung stellt in Deutschland weiterhin ein großes Problem dar. Der Lücke zwischen der universitären Forschung und der kommerziellen pharmazeutischen Entwicklung fallen auch hoffnungsvolle Wirkstoffkandidaten zum Opfer. Viele Start-ups nutzen das Angebot des High-Tech Gründerfonds (HTGF) und MIG-Fonds, um sich sowohl finanziell als auch durch Beratung und Erfahrungsaustausch unterstützen zu lassen. Ein neues Modell versucht nun, Patienten als Venture Capital-Geber direkt an der frühen Entwicklung von Therapeutika zu beteiligen. Der AMD Therapy Fund spricht gezielt Patienten an, die unter der trockenen altersbedingten Makuladegeneration (AMD) leiden. Ziel ist, die Entwicklung neuer Therapien gegen AMD zu finanzieren. „Neben dem finanziellen Interesse einer Rendite haben unsere Mitglieder ein Gesundheitsinteresse. Das ist in Euro und Cent nicht ausdrückbar, macht die höhere Risikobereitschaft aber zu einer rationalen Entscheidung“, sagt Dr. Wolfgang Klein, Vorstand des AMD Therapy Fund.

Wie personalisiert ist personalisiert?

In der Diagnostik kann sich der interessierte Patient schon heute über sich selbst informieren. Über die Wirkstoffverträglichkeit informiert z.B. das Online-Portal Stratipharm, das sowohl dem Patienten als auch dem Apotheker und behandelnden Arzt zur Verfügung steht. Eine komplette Analyse krankheitsrelevanter Genomabschnitte bietet das Portal Personal Genomics Services der bio.logis an. Auch in der Therapie hat sich das Bild gewandelt: Tumore werden nicht mehr nach ihrem Ursprungsgewebe, sondern nach ihrer genetischen Beschaffenheit therapiert. In Zukunft könnte eine individuell angepasste Krebstherapie das Immunsystem des Patienten gegen seine tumorspezifischen Peptide auf der Oberfläche der Tumorzellen aktivieren. Die größte Hürde ist heute der große Aufwand und die Zeitspanne, bis diese Therapie beim Patienten eingeleitet werden kann.

Fazit:

Um dieses und weitere Probleme zu lösen, müssen die Kostenträger des Gesundheitssystems davon überzeugt werden, dass die personalisierte Medizin keineswegs automatisch zu einer Kostenexplosion führt, sondern auch große Chancen birgt. Natürlich besteht nicht für jede personalisierte Ausgabe von vornherein ein gesundheitlicher Gegenwert. Doch zeigen inzwischen viele konkrete Beispiele, wie Therapiekosten ganzer Patientengruppen durch den Einsatz einer vorausgehenden Diagnostik enorm gesenkt werden. Der produktive Streit der Stakeholder muss weitergehen.