Interview mit Sebastian Diemer, Kreditech

VC: Wie weit ist der deutsche Endverbraucher bei diesem Thema? Aktuell gibt es nach der NSA-Affäre wieder Vorbehalte gegen Dinge, die mit Daten und Internet zu tun haben.
Diemer: Der deutsche Verbraucher hinkt immer etwas hinterher, adaptiert aber schnell, wenn die ersten Bedenken überwunden sind. Wenn man jemanden vor fünf Jahren gefragt hätte, ob er Schuhe übers Internet bestelle, hätte er geantwortet: „Nein, da kann ich sie ja nicht anprobieren und anfassen.“ Hätte man jemanden vor vier Jahren gefragt, ob er sich vorstellen kann, auf dem iPad ein Buch zu lesen, hätte er gesagt: „Nein, ich mag das Gefühl, ein Buch in der Hand zu haben.“ Der deutsche Endverbraucher steht der Technologie immer etwas skeptischer gegenüber. Wenn dann aber einmal die Basisbedenken ausgeräumt sind, geht es sehr schnell. Sieht man sich an, wie viele Deutsche im Vergleich zu Amerikanern E-Banking nutzen, ist das eine erstaunlich hohe Zahl. In seiner Skepsis gegenüber Digitalem und Modernem ist der Deutsche also nicht sonderlich konsequent. Ich sehe in der Adaptierbarkeit keinen großen Nachteil. Fintech ist ein elementares Bedürfnis, der Wandel vollzieht sich eher im Backend. Ich glaube nicht, dass wir im nächsten Schritt alles von unseren Handys aus mit Bitcoins bezahlen. Aber wenn man sich – statt zur Bankfiliale zu gehen – im Internet informiert und einen Kreditantrag einschickt, kostet das die Bank weder viel Zeit noch Ressourcen. Insofern ist es nicht eine Veränderung des Konsumentenverhaltens, sondern eine effizientere Bedürfniserfüllung. Das ist also meiner Meinung nach nicht der blockierende Faktor…

VC: …sondern das mangelnde Kapital und das fehlende Verständnis um das Potenzial dieser Branche?
Diemer: Genau, und es gibt noch einen Faktor: Die BaFin erstickt die meisten innovativen Ideen im Keim. In Deutschland braucht man für alles, bei dem man Geld in die Hand nimmt, eine Banklizenz. Wenn man in den USA sein eigenes Geld unter das Volk bringen möchte, braucht man eine andere Lizenz, als wenn man Kundeneinlagen verwaltet. Um im Fintech erfolgreich zu sein, benötigt man die Ausführungsfähigkeiten des E-Commerce und zusätzlich – was man als normaler Gründer nicht braucht – ein exzellentes Verständnis der Rechtslage sowie des Risikomanagements. In allen drei Bereichen kompetent sein zu müssen, macht es in Deutschland schwieriger und spezieller. Die Frage ist allerdings nicht, ob Fintech hier wachsen wird, sondern wann und wie schnell. Es wird Leute geben, die einen Weg durch das regulatorische Dickicht finden.

VC: Im Rahmen des German Accelerators sind Sie dieses Jahr in San Francisco. Welche Erwartungen haben Sie an die USA für Ihr eigenes Geschäft?
Diemer: Wir haben da eine Sonderrolle: Es geht uns nicht darum, ein Verkaufsbüro aufzumachen, Finanzierungsoptionen oder den amerikanischen Markt zu erschließen. Wir wollen uns über einen möglichen IPO in vier oder fünf Jahren in den USA informieren. Es gibt viele Dinge, die man nicht erst ein halbes Jahr davor entscheiden kann. Zum Beispiel wo man Büros eröffnet oder die Anpassung der Unternehmensform. Im Vorfeld haben wir uns mit Mentoren unterhalten und uns gefragt, ob uns der German Accelerator hier weiterhelfen kann. Die Mentoren vom German Accelerator fanden unsere Sonderrolle spannend und interessieren sich dafür, mitzuwirken.

VC: Mit Ausnahme der Sparkasse und der Vereinsbanken, die einen öffentlichen Auftrag haben, ziehen sich immer mehr Banken mit ihren Geschäftsstellen vom flachen Land zurück. Können Fintech-Unternehmen hier eine Lücke schließen und Kunden abholen, die ihr Geld nicht zur Sparkasse oder Volksbank bringen wollen?
Diemer: Experten sind sich einig, dass das Bankgeschäft in zehn Jahren nicht mehr in seiner aktuellen Form so existieren wird. Man kann die Kundenperspektive mit E-Commerce vergleichen: Gehe ich in den Laden, um ein Paar Schuhe zu kaufen oder gehe ich ins Internet? Analog: Gehe ich in die Bankfiliale oder erledige ich das übers Internet? Darum ist es eigentlich absurd, dass Fintech noch in den Kinderschuhen steckt, da man bei E-Commerce – egal welche Analyse- oder Big Data-Werkzeuge genutzt werden – am Ende des Tages physische Güter verschicken muss. Im Banking ist das anders: Hier werden Informationen und Cashflows verarbeitet und gehandelt. Das ist sehr viel simpler. In Bezug auf Internationalisierung ist unser Vorteil, dass uns ein Markteintritt in einem neuen Land einen niedrigen fünfstelligen Betrag kostet und wir innerhalb von ein bis zwei Monaten das komplette Land mit Krediten versorgen können. Wir müssen nicht eine Vielzahl an Mitarbeitern in ein Land schicken und Filialen anmieten – dadurch hätte man höhere Kosten und einen niedrigeren Kundennutzen. Das Bankenmodell schreit förmlich nach Disruption. Schaut man sich alle Finanzdienstleistungen an, so ist die Wall Street der erste Bereich, in dem die Technologie mit Trading-Algorithmen Einzug gefunden hat. Mittlerweile handelt bei einem Arbitrage-Geschäft ein Algorithmus gegen den anderen, und es gewinnt der, der 500 km näher am Rechenzentrum ist, weil dieser eine Tausendstelsekunde früher berechnet hat. Tatsächlich hat der Einzug der Technologie im Consumer Retail Finance noch am wenigsten stattgefunden.