„Entscheidend sind die Rahmenbedingungen“

Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner
Univ.-Prof. Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner; Lehrstühle für Entrepreneurial Finance, TUM School of Management, Technische Universität München

Der Bundesverband Deutsche Start-ups e.V. hat 2018 den Female Founders Monitor veröffentlicht. Die Studie zeigt: Frauen gründen häufiger alleine, sie priorisieren Profitabilität gegenüber Unternehmenswachstum und würden im Falle eines Scheiterns seltener wieder den Schritt in die Selbständigkeit wagen als Männer. Woher diese Einstellung zum Unternehmertum kommt und was zu tun ist, um weibliche Gründer zu stärken – darauf kann eine reine Umfrage naturgemäß keine Antworten geben. Eine Frau, die selbst gegründet hat und heute Unternehmensfinanzierung lehrt, aber vielleicht schon: auf Erklärungssuche mit Ann-Kristin Achleitner.

VC Magazin: Im Jahr 2012 hat die Wirtschaftswoche Sie in dem Artikel „Mit Herzblut im Aufsichtsrat“ porträtiert. Ein Satz aus dem Beitrag lautet: „Achleitner geht immer ein bisschen aufrechter als ihre männlichen Kollegen“. Stimmt das?
Achleitner: Das ist mir an mir noch nie aufgefallen – aber ich bin so klein, dass ich wahrscheinlich aufrecht laufen muss.

VC Magazin: Und warum ist Ihr Gang Ihrer Meinung nach im Vergleich mit männlichen Kollegen noch immer eine Erwähnung wert?
Achleitner: Das kann ich nur hineindeuten. Aber es ist natürlich schon so, dass es noch immer Gespräche darüber gibt, inwieweit die Anforderungslatte an Frauen höher liegt – bewusst oder unbewusst.

VC Magazin: Erfolgreiche Männer sind „normal“, erfolgreiche Frauen noch immer eine Besonderheit. Vielleicht ist die Formulierung im Artikel auch eine Referenz auf die Tatsache, dass Sie sich in einer Männerwelt bewegen. Woran liegt es, dass auch 2018 Frauen deutlich seltener in den Vorständen der Konzerne und in Aufsichtsräten sitzen?
Achleitner: Ich bin selbst erstaunt darüber, dass es so ist. Als ich studiert habe, hätte ich gedacht, dass sich über 20 oder 30 Jahre mehr ändert. Im Bereich der Aufsichtsratstätigkeit ist es einfacher als im Bereich der Vorstandstätigkeit. Dort hapert es ja auch sehr, während man in den Aufsichtsräten bereits deutliche Fortschritte gemacht hat.

VC Magazin: Und warum tut sich in den Vorständen so wenig?
Achleitner: Das ist natürlich die ganz große Frage überhaupt und nicht in Kürze zu beantworten. Aber: Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein großes Thema und eine große Herausforderung.

VC Magazin: Sie halten den Lehrstuhl für Entrepreneurial Finance an der Technischen Universität (TU) München. Wie setzt sich Ihre Zuhörerschaft zusammen – nach Geschlecht?
Achleitner: Sie haben an einer technischen Universität immer mehr Männer als Frauen. Ich würde schätzen, das Verhältnis ist bei mir im Schnitt 70% Männer, 30% Frauen. Was wir allgemein sehen: Im Verlauf des Studiums, bis zur Gründungsüberlegung und einer tatsächlichen Gründung blättert der Anteil der Frauen ab.

VC Magazin: Zahlen bestätigen Ihre Beobachtung: Frauen machen nur 15% aller Start-up-Gründer in Deutschland aus. Woran liegt es, dass Frauen nur so selten gründen?
Achleitner: Die geringe Gründungstätigkeit hat sicher auch mit Einstellungen zu tun: Sicherheit, Risikoneigung und Ähnlichem. Zudem sind die Arbeitsangebote für Frauen in Unternehmen deutlich besser geworden in den letzten Jahren.

VC Magazin: Also würden Sie zustimmen, wenn ich unterstelle, Frauen haben eine andere Einstellung, ihre Risikobereitschaft ist geringer?
Achleitner: Es gibt viele Studien, die sich das angesehen haben. Es geht darum, wie viel Risiko eingegangen wird, und um die Frage „Wie viel traue ich mir selbst zu?“. Der Glaube an sich selbst ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für Gründer – mitunter auch ein übermäßig starker Glaube an sich selbst. Dieser ist im Schnitt bei Frauen weniger ausgeprägt. Mangelnde Risikobereitschaft ist aber sicher nicht der Hauptfaktor. Entscheidend sind die Rahmenbedingungen. Ein Beispiel: Erhalte ich als Gründerin eine Finanzierung?

VC Magazin: Stichwort Finanzierung: Die Boston Consulting Group hat gemeinsam mit dem Accelerator Mass Challenge untersucht, wie die Finanzierung von Start-ups sich unterscheidet – nach Geschlecht der Gründer: Auch hier sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Sie haben mehr als 1 Mio. USD weniger Kapital eingesammelt als Männer. Warum diese Lücke?
Achleitner: Es gibt sehr starke unbewusste Gründe für diese Finanzierungslücke. Frauen werden von – in der Regel männlichen – Venture Capital-Gebern anders beurteilt. Bei einem Mann wird eher in das Potenzial investiert, während eine Frau erst einmal gezeigt haben muss, dass sie bestimmte Dinge kann. Diejenigen, die beurteilen, sind sich laut Studien oft gar nicht bewusst, dass sie unterschiedliche Maßstäbe an Männer und Frauen anlegen. Das ist eine Sache, die mir immer mehr auffällt: Wie stark Unbewusstes den Ausschlag gibt. Und unbewusste Vorurteile sind sehr viel schwerer anzugehen – weil man sie schlicht gar nicht so sehr ansprechen kann. Das sind keine klaren Ausgrenzungen, wie ich sie noch kenne aus der Zeit, als ich selbst begonnen habe zu arbeiten. Als man mir klar sagte, Frauen sollten das oder jenes nicht tun. Heute ist es häufig so, dass Dinge nicht klar gesagt werden, aber ohne sich dessen bewusst zu sein, legen viele noch immer einen unterschiedlichen Bewertungsmaßstab an.

VC Magazin: Frauen erhalten weniger Kapital und liefern laut BCG dennoch die bessere Leistung: Sie haben über einen Betrachtungszeitraum von fünf Jahren einen höheren Umsatz erwirtschaftet als ihre männlichen Kollegen. Warum findet diese Tatsache ihren Weg in die Köpfe der Investoren nicht?
Achleitner: Die Finanzierungswelt ist noch sehr stark Männerdomäne. Es gibt vor allem weniger weibliche Entscheider in Venture Capital-Gesellschaften. Das spielt mit Sicherheit hinein. Denn man neigt dazu, Menschen an seinem eigenen Beispiel zu messen. Das sehen wir ja auch in vielen anderen Berufsfeldern oder Lebenssituationen – den Hang zu replizieren, statt Neues zu versuchen.