Interview mit Philip Rürup, troy

„Inkasso ist keine Frage der Zahlungsmoral“

„Inkasso ist keine Frage der Zahlungsmoral“ – Interview mit Philip Rürup, troy
„Inkasso ist keine Frage der Zahlungsmoral“ – Interview mit Philip Rürup, troy

Bildnachweis: troy.

Das Fintech troy hat vor gut vier Wochen in der dritten Finanzierungsrunde mit der Hannover Digital Investments GmbH, der Venture Capital-Gesellschaft des Versicherungskonzerns HDI Group, einen wichtigen Partner aus der Versicherungsbranche gewonnen. Das 2017 in Lippstadt gegründete Unternehmen kombiniert jahrzehntelange Inkassoerfahrung mit neuester Technologie und erfolgserprobten Methoden aus Marketing und CRM. Der Investorenkreis von troy umfasst namhafte Adressen wie eCapital, High-Tech Gründerfonds, Avala Capital, Born2Grow sowie unter anderem die Business Angels und Raisin-Gründer Tamaz Georgadze, Frank Freund und Michael Stephan.

VC Magazin: Vor Kurzem hat troy hat die dritte Finanzierungsrunde abgeschlossen, mit dem Venture Capital-Arm der HDI-Versicherung als Lead-Investor sowie bestehenden Investoren. Was planen Sie mit den neu eingeworbenen Finanzierungsmitteln?
Rürup: Wir freuen uns sehr über unseren neuen Investor HDI und das fortgesetzte Vertrauen unserer Bestandsinvestoren. Obwohl laut dem Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen die Inkassovolumina deutschlandweit zurückgehen, wachsen wir seit dem letzten Jahr durchschnittlich um zweistellige Prozentwerte pro Monat. Wir nehmen also insgesamt eine stark zunehmende Nachfrage nach unserem kundenerhaltenden Inkasso wahr, weshalb wir weiter offensiv investieren werden, um unsere Marktposition als freundlichstes Inkassounternehmen Europas auszubauen.

VC Magazin: Wie schwierig gestaltete sich die aktuelle Finanzierungsrunde in Zeiten von Corona?
Rürup: Weil klar war, dass in diesem Jahr wieder eine Finanzierungsrunde anstand, kam schon kurz eine gewisse Unsicherheit auf. Dazu kam, dass wir für etwa drei Monate zu Beginn von Corona eine kleine Wachstumsdelle hatten, weil neue Mandanten andere Prioritäten hatten, als mit uns live zu gehen. Da diese Projekte nicht abgesagt, sondern nur aufgeschoben waren, dürfen wir uns seitdem aber über stärkeres Wachstum freuen. Auch die Nachfrage hat merklich zugenommen, weil viele Unternehmen Corona zum Anlass genommen haben, ihre Mahnprozesse in Frage zu stellen. Das hat uns das Fundraising sicher deutlich erleichtert. Am Ende wurde die Runde sogar größer als geplant und wir mussten einige interessierte Fonds auf die nächste Runde vertrösten.

VC Magazin: Sie wollen den Inkassoprozess revolutionieren. Wie hat sich die Zahlungsmoral in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt und was ändert Corona daran?
Rürup: Inkasso ist keine Frage der Zahlungsmoral. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass ungefähr die Hälfte aller Kunden nur aufgrund eines zeitweiligen Engpasses oder wegen besonderer Lebensumstände in Zahlungsverzug gerät. Die Kunden sind also prinzipiell zahlungsfähig und -willig. Durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise ändert sich das jetzt. Es kann passieren, dass Privatpersonen und Unternehmen, die in ihrem Leben bislang jede Verbindlichkeit eingehalten und jede Forderung rechtzeitig gezahlt haben, innerhalb kürzester Zeit in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

VC Magazin: Wie gehen Unternehmen in der Regel mit säumigen Zahlern um?
Rürup: Viele Unternehmen machen sich wenig Gedanken darüber, wie sie mit ihren säumigen Zahlern umgehen. Sie denken erstens, dass nur relativ wenige Kunden mit dem Mahnwesen in Kontakt kommen und zweitens, dass Kunden, die ihre Rechnung nicht bezahlen, auch keinen Wert mehr haben. Dabei zahlen statistisch 15% bis 20% der Kunden – und damit ein sehr relevanter Teil – verspätet. Und Studien zeigen, dass rund 60% der Kunden entweder nur einen zeitweiligen Engpass hatten oder sie die Zahlung schlicht vergessen haben. Das zeigt, dass Unternehmen dem Mahnprozess deutlich mehr Aufmerksamkeit widmen sollten.

VC Magazin: Wird das Mahnwesen in zu vielen Unternehmen vernachlässigt oder 0815 abgewickelt?
Rürup: Das lässt sich nicht pauschalisieren, aber beides ist nach wie vor gängige Praxis. Lassen Sie mich das mit ein paar Zahlen einordnen. Knapp 70% der deutschen Unternehmen haben ihr Mahnwesen kaum oder nur zum Teil digitalisiert, nur 1% behauptet, das Mahnwesen vollständig digitalisiert zu haben. Zudem wird die Ansprache im Mahnwesen bislang kaum individualisiert – weder in Abhängigkeit vom Kundenwert, noch bezüglich der Kommunikationskanäle, und erst recht nicht hinsichtlich semantischer Präferenzen. Und das hat natürlich auch seine Gründe. In den vergangenen Jahren wurden weltweit hunderte Milliarden Euro in die Verbesserung der Customer Experience investiert, alleine 2019 waren es laut der International Data Corporation (IDC) über 500 Mrd. USD. Unternehmen investieren diese Beträge allerdings fast ausschließlich in Vertriebs- und CRM-Prozesse. Das Mahnwesen und das Inkasso haben bislang kaum Budgets erhalten. Auch das ist kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass laut dem Global Customer Experience Benchmark NTT nur rund 30% der Mitarbeiter in Unternehmen verstanden haben, dass Customer Experience ein Alle-Mann-Manöver ist; 70% der Mitarbeiter glauben, das wäre Aufgabe eine Stabsabteilung, des Marketings oder des Vertriebs.

VC Magazin: Wie schafft troy Abhilfe?
Rürup: Wir haben troy mit dem Motto und Ziel gegründet, dass wir das Inkasso durch Digitalisierung und Kundenfreundlichkeit revolutionieren wollen. Wir haben verstanden, dass es sich bei einem Kunden immer um einen Kunden handelt, auch, wenn er in die Rolle des Schuldners kommt. Einen Kunden, für dessen Gewinnung unsere Mandanten viel Geld bezahlt haben. Deshalb wenden wir konsequent die Erfolgsrezepte an, die Einfluss auf die Customer Experience haben. Das reicht von Individualisierung der Kommunikation und der Kanäle, über vollständige Transparenz zum Prozess bis zu Methoden aus der Verhaltensforschung. Der wichtigste Treiber, um dies hochwertig und massenfähig zu realisieren, ist Technologie. Unsere Cloud-basierte Plattform ermöglicht es uns, bei der Kommunikation individuelle Präferenzen zu berücksichtigen, den Kunden in Echtzeit jederzeit Einblick in ihren Status und den bisherigen Prozessverlauf zu gewähren, dies aber auch mit den eher asynchronen Prozessen gerichtlicher Inkassoprozesse zu verbinden. Im Ergebnis haben wir aktuell einen Zufriedenheits-Score der Kunden von über acht von zehn, was wir über eine flächendeckende Befragung erheben. Und seit Ende November ist die „troy experience“ sogar Award-prämiert: Sie wurde mit dem renommierten „International Customer Experience Award (Bronze)“ ausgezeichnet – einem Wettbewerb, bei dem sich die weltweit kundenorientiertesten Unternehmen einer Jury der führenden Customer Experience-Experten stellen. Da dieser Award die erfolgreiche Umsetzung exzellenter Kundenorientierung bewertet, Customer Experience aber nicht als Selbstzweck versteht, standen auch die quantitativ messbaren Verbesserungen im Fokus. Und hier konnte troy nachweisen, dass die „troy experience“ zu hoher Kundenzufriedenheit, zu signifikanter Verbesserung der Zahlungsquoten und zum Erhalt noch immer werthaltiger Kundenbeziehungen führt.

VC Magazin: Wie setzen Sie das in der Praxis mit Hilfe von künstlicher Intelligenz für Ihre Mandanten um?
Rürup: Bei uns kommen Machine Learning und künstliche Intelligenz an unterschiedlichen Stellen zum Einsatz. Der Einsatz von Machine Learning ermöglicht es uns, externe Datenquellen mit eigenen Erfahrungsdaten zu veredeln, um die Kundenkommunikation zu individualisieren. Dabei berücksichtigen wir persönliche Präferenzen zu Botschaften, Kanälen und Zeiten, zu denen die Kommunikation erfolgt. Wir nutzen Machine Learning auch zur massenfähigen Qualitätskontrolle und zur Definition der „next best action“. Künstliche Intelligenz kommt in Text- und Voice-Bots zum Einsatz, mit denen wir vorrangig ebenfalls die Customer Experience verbessern, weil Kunden ihre Anliegen extrem schnell umsetzen können.

VC Magazin: Was sind die nächsten Meilensteine. Wo sehen Sie troy im Jahr 2025?
Rürup: Wir werden weiter in Customer Experience investieren, um unsere Marktposition als „freundlichstes“ Inkassounternehmen Europas auszubauen. Wir werden weitere europäische Ländermärkte erschließen und eine Expansion in die USA bewerten. Mit diesen Stichworten kann man vermutlich bereits ableiten, wo wir in 2025 stehen wollen. Das gesamte Team ist in jedem Fall hochgradig motiviert, unseren tollen Kurs fortzuführen und die Welt mit freundlichem Inkasso ein kleines bisschen besser zu machen.

VC Magazin: Herr Rürup, vielen Dank für das Interview.

 

Philip Rürup ist Gründer und Geschäftsführer der troy GmbH, einem 2017 in Lippstadt gegründeten Fintech-Unternehmen, das sich auf kundenfreundliches, digitales Inkasso spezialisiert hat.