„The Länd überholt Berlin und Bayern bei den Start-up-Investments”

Interview mit Dirk Buddensiek und Guy Selbherr, MBG Baden-Württemberg

Dirk Buddensiek, Guy Selbherr, MBG Baden-Württemberg (v.l.n.r)
Dirk Buddensiek, Guy Selbherr, MBG Baden-Württemberg (v.l.n.r)

Die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen – Grund genug, ein halbes Jahrhundert Revue passieren zu lassen. Darüber hinaus werfen die beiden Geschäftsführer Dirk Buddensiek und Guy Selbherr auch einen Blick auf aktuelle Trends und die Entwicklung. 

VC Magazin: 50 Jahre MBG Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg – was waren in Ihren Augen die Highlights?
Selbherr: Ein Highlight herauszupicken ist bei einem so langen Zeitraum schwierig. Ein besonderes Datum war für mich 1984, als die verstärkte Förderung von innovativen Technologieunternehmen in Zusammenarbeit mit der KfW begann. Das war ein erster Schritt in Richtung Kompetenzaufbau für Wagnisfinanzierungen über stille Beteiligungen. Und das führte auch dazu, dass die MBGen heute mehr sind als klassischer Mittelstandsfinanzierer: Sie sind Ideenfinanzierer und Chancengeber.

Buddensiek: Ich sehe auch die Flexibilität und stetige Weiterentwicklung. Zum einen haben die 50 Jahre eine Kontinuität und Beständigkeit gebracht, aber auch die Bereitschaft, sich in besonderen Zeiten neu zu erfinden. Allein die letzten beiden großen Prüfungen – die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die Corona-Pandemie – haben gezeigt, dass wir bewährte Instrumente aufgebaut haben und auch neue Wege gehen können. Das sind für mich wichtige Meilensteine. 

VC Magazin: Woran erinnern Sie sich weniger gern?
Buddensiek: Die stetige Überzeugungsarbeit, die man immer wieder leisten muss, gerade in den Phasen, in denen die Wirtschaft gut und stetig gelaufen ist. Wenn man dann den Entscheidungsträgern in der Politik immer wieder die besondere Leistung und den Mehrwert der MBG für die Unternehmen vermitteln muss, braucht es schon Motivation und Überzeugungskraft. 

Selbherr: 2007 hat uns die beihilferechtliche Einschränkung in der so genannten De-minimis-Verordnung von heute auf morgen gestoppt. Wir waren damals völlig baff, weil wir keine Lösung in Sicht hatten und fünf Monate überbrücken mussten. Darüber hinaus natürlich der Beginn der Corona-Pandemie, als wir noch nicht wussten, wie wir unter diesen erschwerten Bedingungen tatsächlich die Bedarfe unserer Kunden treffen konnten. 

 VC Magazin: Corona hat viele Gewinner, aber auch zahlreiche Verlierer hinterlassen. Wie sind die Unternehmen aus Ihrem Portfolio aus der Krise gekommen?
Buddensiek: Im Kern gibt es drei Gruppen: diejenigen, die aufgrund ihres Geschäftsmodells unbeschadet oder verbessert aus der Krise gekommen sind; diejenigen, die in hohem Maße betroffen waren, etwa im Bereich Messebau; und jene Unternehmen, die gerade erst gegründet wurden und zum Beispiel über die Förderprogramme erreicht werden mussten. 

Selbherr: Bei solchen Krisen ist es für Unternehmen von Vorteil, dass sich diese in einem starken Netzwerk befinden, unter anderem mit der Bürgschaftsbank. Die Bürgschaftsbank hat allein im vergangenen Jahr 708 Mio. EUR Finanzierungsvolumen besichert; hier sind auch viele MBG-Kunden dabei. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass viele Unternehmen die Krise genutzt haben, um sich zu digitalisieren und neue Chancen zu suchen. Daraus ergeben sich für uns wieder neue Finanzierungsanlässe. Wir haben ein sehr breites Portfolio mit 800 Unternehmen – da ist die volle Bandbreite dabei.

VC Magazin: Ihre Einschätzung: Wie viele der 800 Unternehmen sind gut, mittelgut oder notleidend aus der Krise gekommen?
Buddensiek: Nur eine sehr überschaubare Anzahl von Unternehmen wurde von der Krise existenziell betroffen und geschädigt. Die Anzahl ist jedoch an einer Hand abzuzählen. Nach den ersten Finanzierungsangeboten von Banken und Investoren kamen die staatlichen Hilfen – das hat vielen Unternehmen geholfen.

Selbherr: Auf der Gegenseite stehen viele Gewinner mit einem Geschäftsmodell, das von Kontaktbeschränkungen profitierte, oder Unternehmen, die mit einer Mischung aus Flexibilität, Agilität und Mut kurzfristig in relevante Segmente wie in die Maskenproduktion oder Luftreinigung investiert haben, wobei hier natürlich die Nachhaltigkeit der Maßnahmen im Auge behalten werden muss. Wir haben jedenfalls eindrucksvoll lernen dürfen, dass kleine und mittlere Unternehmen sehr schnell reagieren und schwierige Phasen meistern können. 

VC Magazin: Digitalisierung, Fachkräftemangel, Rohstoff- und Lieferengpässe – was hemmt die deutsche Wirtschaft derzeit am stärksten?
Buddensiek: Auf unserer Jubiläumsveranstaltung hat es unsere Wirtschaftsministerin gut mit „den drei Ds“ zusammengefasst: Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Faktor. Ich würde auch eher von Herausforderungen als von Hemmnissen sprechen – und Herausforderungen lösen ist die klassische Aufgabe eines Unternehmers und die Stärke des Mittelstands, der hier ja stark ausgeprägt ist. Natürlich sollte die Politik aber flankieren und unternehmerisches Agieren im Blick haben. 

Selbherr: Der Digitalisierung hat die Corona-Pandemie einen ordentlichen Schub gegeben, wenngleich es noch immer Restriktionen gibt. Ein großes Problem, das die Pandemie hingegen verschlimmert hat, ist der Fachkräftemangel. Viele haben sich während der Schließungen durch die Lockdowns umorientiert, weshalb einige Branchen jetzt noch stärker leiden. Das ist eine große Wachstumsbremse für die Betriebe. Beim Blick auf Rohstoffverfügbarkeit und Lieferketten muss die Abhängigkeit weiter reduziert und teilweise die Wertschöpfung zurück ins Haus geholt werden. Ich denke, da ist viel Veränderung zu erwarten. Außerdem ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um seine Finanzierung breiter aufzustellen. Wir gehen davon aus, dass der Bedarf an Mezzanine-Kapital zunehmen wird. 

VC Magazin: Aus vielen Ecken kommt Kritik, Deutschland hätte die Digitalisierung verschlafen – zu Recht?
Buddensiek: Das ist eine recht pauschale Bewertung. Man muss zwischen dem staatlichen, dem unternehmerischen, dem privaten Sektor und natürlich der Frage der Infrastruktur differenzieren. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren die Digitalisierung vorangetrieben und auch erkannt, wie wichtig das ist. Hinsichtlich einer funktionierenden Infrastruktur in Deutschland sind vor allem Investitionen in den Glasfaserausbau notwendig, und das in größerem Maße. 

Selbherr: Der Schub in letzter Zeit hat auf jeden Fall gezeigt, dass ein Geschäftsmodell resilienter ist, wenn man auf verschiedenen Kanälen unterwegs ist. Ich sehe in Deutschland beziehungsweise Europa Optimierungspotenzial beim Thema Datenschutz. Hier stehen wir uns manchmal selbst im Weg. 

VC Magazin: Welche Technologien haben Sie als MBG in den kommenden Monaten besonders im Blick?
Selbherr: Unsere Aufgabe ist es, Technologieunternehmen die Möglichkeit zu geben, sich auf eine nachhaltige und zukunftsorientierte Wirtschaft einzustellen. Bei diesen Transformationsprozessen unterstützen wir. Ansonsten legen wir einen großen Schwerpunkt auf die Bereiche Medizintechnik, IT und Engineering. Wir sehen auch eine gegenseitige Beflügelung dieser Wirtschaftszweige. Wir können den großen Mittelstand durch Start-ups ein Stück weit verjüngen und mit innovativen Ideen zusätzliche Potenziale schaffen. 

VC Magazin: Sie haben kürzlich das First Closing des Start-up BW Innovation Fonds bekannt gegeben. Worauf zielen Sie ab?
Buddensiek: Wir hatten vor einigen Jahren einen sehr erfolgreichen Start mit unserem „VC BW Fonds“. Diese Erfolgsgeschichte hat uns dazu veranlasst, einen Folgefonds zu initiieren. Das First Closing erfolgte bei etwa 30 Mio. EUR – mit Investoren aus den unterschiedlichsten Bereichen. Das Second Closing läuft aktuell, unser Ziel liegt bei 50 Mio. EUR. Es soll kein monostrukturierter Fonds werden, sondern wir möchten etwas breiter unterwegs sein. Wir streben bis Jahresende das erste Investment an.

Selbherr: Wir haben unser Team signifikant aufgestockt und bieten viel Kompetenz, Mehrwert und Erfahrung in diesem Segment. Es gibt in Baden-Württemberg keine Stelle, die mehr Gründungsvorhaben begleitet, analysiert und prüft.

VC Magazin: Welche Schlagzeile würden Sie als MBG-Geschäftsführer Ende 2022 besonders gerne im VentureCapital Magazin lesen?
Selbherr: „Wir können alles außer Hochdeutsch“ war eine frühere Werbekampagne, die neueste lautet „The Länd“, wohl angelehnt ans Ländle. Eine schöne Schlagzeile zum Jahresende 2022 wäre doch „The Länd überholt Berlin und Bayern bei den Start-up-Investments”.

Buddensiek: Da möchte ich nichts hinzufügen.

VC Magazin: Vielen Dank für das Interview!

Dirk Buddensiek und Guy Selbherr sind Geschäftsführer der in Stuttgart ansässigen MBG Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg. Mit rund 800 Unternehmen hat die MBG das zahlenmäßig größte Portfolio in Deutschland.